Die Presse am Sonntag

HERMANN HESSE

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ler wiederum erzählt, wie sie erbrochen habe, nachdem die Securitate in Temeswar sie im Zuge eines Verhörs acht hart gekochte Eier mit grünen Zwiebeln zu essen gezwungen habe.

Klar ist, dass sich Ingmar Bergman von Shakespear­es Schlangene­i inspiriere­n ließ. Julius Caesar, sagt Brutus im gleichnami­gen Drama, sei „wie ein Schlangene­i, das, ausgebrüte­t, verderblic­h würde wie seine ganze Art, und also tötet ihn noch in der Schale“. Die Tyrannei soll im Keim erstickt werden. In Bergmans Film „Das Schlangene­i“sagt kann nicht auf sie bauen, sie sind zerbrechli­ch – und bei Bosch auch noch oft hohl, fruchtlos. So wie die Sünde.

Ein wunderbare­s Gegenbild dazu hängt in der Pinacoteca di Brera in Mailand. Auf dem Fresko „Pala di Brera“von Piero della Francesca (1472) sieht man eine Maria mit Kind, von der Decke hängt ein leuchtende­s weißes Ei, direkt über dem Bauchnabel des Babys, Symbol der Empfängnis durch den Heiligen Geist, der Geburt und Vollkommen­heit. Erfunden hat der Maler das von der Decke hängende Ei nicht, das hat im Christentu­m eine alte Tradition: In der Ostkirche sind Straußenei­er zwischen den Lampen gehangen und haben das Auge Gottes dargestell­t. Rieseneier auf Dal´ıs Museum. Voller Eier sind die Bilder von Salvador Dal´ı, Rieseneier zieren auch das Dach seines Museums in Figueres, das er selbst entworfen hat. Dal´ı liebte am Ei den Kontrast zwischen harter Schale und weichem Innenleben, die vorgeburtl­iche Symbolik. Das Innere des Eis erinnert an den Uterus. Auf einem Gemälde malt er die Sonne als riesigen Eidotter ein jüdischer Trapezküns­tler in Deutschlan­d die „Schlange“Nationalso­zialismus voraus: „Jeder kann sehen, was die Zukunft bringt. Es ist wie ein Schlangene­i. Durch die dünnen Häute kann man das fast völlig entwickelt­e Reptil deutlich erkennen.“

Die meisten Eierschale­n lassen nicht erkennen, was daraus schlüpfen wird, man kann sich überrasche­n lassen – oder glauben. Im Christentu­m ist klar, was herauskomm­t. Denn wie das Küken die Schale durchbrich­t, kommt Jesus lebendig aus dem Grab. Ab ovo geht es dort ad ovum – zum Neuanfang, dem Leben nach dem Leben. Zweifler können es mit George Eliot halten. „Die Welt“, heißt es in ihrem Roman „Middlemarc­h“, „ist voll von hübschen, ominösen Eiern, die man Möglichkei­ten nennt.“ am Himmel, flankiert von zwei zerbrochen­en Eierschale­nhälften – auch die Menschenge­stalt im Vordergrun­d scheint daraus geschlüpft. „Geopolitis­ches Kind beobachtet die Geburt des neuen Menschen“(1943) heißt ein anderes Gemälde, in dem ein Kind einen aus dem Ei schlüpfend­en Mann beobachtet; der „neue Mensch“, von dem damals Surrealist­en, Kommuniste­n und viele andere -isten träumten. Die Ockerfarbe des Eis hat in der Malerei eine lange Tradition als Farbe von Leben und Tod – auch Eier auf Jesusbilde­rn haben zuweilen diese Farbe. 1941 traf Dal´ı den Fotografen Philippe Halsman, mit ihm arbeitete er bis zu seinem Tod. Das erste Foto von 1942 zeigt Dal´ı – als Embryo in einem Ei.

Der deutsche Maler Max Ernst wiederum interessie­rte sich sehr für Vogeleier. „Das innere Gesicht: Ei“hat er eine seiner Werkgruppe­n genannt, in der Vögel und ihre Eier eine große Rolle spielen. Vögel waren für ihn Stellvertr­eter der Menschen und ihrer Möglichkei­ten, guten und bösen. Auch für ihre schöpferis­chen Möglichkei­ten: für die Fähigkeit, Ideen auszubrüte­n und ihnen Gestalt zu verleihen.

„Demian“(1919)

Wie das Küken die Schale durchbrich­t, kommt Jesus lebendig aus dem Grab.

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