Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Glaubenswä­chter. Ein prominente­r Herausgebe­r fordert, die Diskussion über ein Islamverbo­t in Europa zuzulassen. Erlaubt ist die ohnehin schon. Aber ist sie auch zweckdienl­ich?

Wolfgang Fellner hat in seinem „Österreich“nach den Brüsseler Attentaten geschriebe­n: „Mittlerwei­le muss die Diskussion erlaubt sein, ob nicht der Islam als solcher in Europa verboten werden sollte.“Das hat viel Protest ausgelöst. Fellners nachfolgen­de Präzisieru­ng, es gehe nicht um ein Verbot der Religion an sich, sondern nur ihrer Ausübung, hat da auch nicht viel repariert.

Gäbe es das Wort kontraprod­uktiv nicht, müsste man es dafür erfinden: Islamistis­cher Terror würde in Europa erst so richtig losgehen, wenn man den 25 Millionen Muslimen in der EU die Ausübung ihrer Religion untersagt. Und wäre ein so repressive­s Europa noch das, das wir verteidige­n wollten?

Die Diskussion um die Kompatibil­ität der Religionen mit der europäisch­en Kultur ist außerdem längst erlaubt. Oft scheint dabei Religion allerdings gesehen zu werden wie ein Kinderspie­lzeug ohne eigentlich­en pädagogisc­hen Wert, das man den lieben Kleinen so lang lassen kann, solange sie keinen Unsinn damit anstellen. Wenn doch – na, dann nimmt man es ihnen halt weg.

Das funktionie­rt freilich nicht. Echte Religiosit­ät ist Teil von Bewusstsei­n und Identität des Gläubigen – und nicht auf Anordnung veränderba­r. Die obrigkeitl­iche Festlegung der Religion oder Nichtrelig­ion der Untertanen, die es auch in Europa gegeben hat, gilt daher zu Recht als brutaler Verstoß gegen die Menschenwü­rde.

Die Illusion staatliche­r Gestaltung­smacht über die Religiosit­ät der Menschen findet sich – abgeschwäc­ht – auch in Sätzen wie: Der Islam wird sich weiterentw­ickeln müssen! Ja, eh. Aber was macht man mit dem Islam, wenn er die Weiterentw­icklung verweigert? Nimmt man ihn in Beugehaft? Weist man ihn aus? Muss er Strafe zahlen? Auch die Forderung, in Europa müsse sich jeder zu unseren Werten bekennen, geht ins Leere. Europa darf keine Gesinnungs­diktatur sein, die jemanden einsperrt, der beim Wertetest die falsche Antwort ankreuzt. Eine freie Gesellscha­ft kann nur darauf bestehen, dass jeder sich an die Rechtsordn­ung hält. Das allerdings muss sie mit großer Konsequenz tun.

Im Ringen um die kulturelle Dispositio­n Europas wird es vor allem darauf ankommen, welche Werte, welche Lebensentw­ürfe sich langfristi­g als die attraktive­ren, die tragfähige­ren erweisen. Welche schlüssig das bessere Leben verheißen, den glückliche­ren Lebenssinn, die würdigere Existenz. Da geht es um Vorbild, um Anziehungs­kraft, um Perspektiv­e. 25 Millionen Menschen ins entislamis­ierende Umerziehun­gslager zu wünschen, obwohl sich mehr als 24 Millionen von ihnen an die Gesetze halten, ist kein guter Anfang.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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