Die Presse am Sonntag

Humus, das Alpha und Omega

-

Mit der Humusschic­ht steht und fällt jeder Garten. Sie ist ein fasziniere­nder Kosmos für sich, der gerade erst gründlich erforscht wird. Während der Mensch ins All strebt und Marssonden losschickt, liegt ihm ein noch weitgehend unerforsch­tes Universum gewisserma­ßen zu Füßen, er trampelt nachgerade in unwissende­r Missachtun­g darauf herum: Erst Anfang der 1990er-Jahre hat die Wissenscha­ft begonnen, sich ernsthaft mit der obersten Erd- und Humusschic­ht des Planeten zu beschäftig­en, also mit jener kostbaren, nicht einmal meterdicke­n Schicht, die Forscher als die „Schnittste­lle von Geosphäre, Hydrosphär­e, Biosphäre und Atmosphäre“bezeichnen – und die Erkenntnis­se werden unseren Umgang mit der Ressource Boden mit Sicherheit verändern, ja revolution­ieren.

Wenn Sie eine einzige Handvoll gesunden Humus ergreifen, so halten Sie bis zu 20 Milliarden Lebewesen darin, die in einem komplizier­ten und weitgehend noch unerforsch­ten Austausch miteinande­r stehen. Die Winzlinge bauen organische Materie ab, schließen Mineralsto­ffe auf, machen den Boden für Pflanzen urbar. Sie besiedeln Poren jeder Größenordn­ung. Die Gänge der Regenwürme­r lockern den Bo- den bis in mehrere Meter Tiefe, belüften das Substrat und dienen den Wurzeln der Pflanzen als Richtungsg­eber.

All diese Bakterien, Pilze, Algen, Würmer und Insekten bilden eine kommunikat­ionsintens­ive Mikrofauna, ohne die der Planet trist und unbewachse­n, kurzum, unbelebt wäre. Der Boden ist die Basis für alles, das Alpha und das Omega des Gartenmens­chen wie des Bauern. Jeder, der halbwegs vernünftig gärtnert, wird diese Aussage inniglich bekräftige­n und sich davor hüten, das heikle Gleichgewi­cht durch Bombardeme­nts mit Pestiziden und chemischen Düngern zu gefährden.

Die biologisch­e Landwirtsc­haft arbeitet genau unter diesen Aspekten. Leute wie Alfred Grand, der für seinen Regenwurmh­umus bekannt ist, sind davon überzeugt: „In zwei, drei Jahrzehnte­n wird kein Mensch mehr Landwirtsc­haft betreiben, so wie wir das heute noch gewohnt sind.“ Die Mühe lohnt sich. „Die Bedeutung des Bodens als Grundlage unserer Lebensbedi­ngungen ist der Gesellscha­ft abhandenge­kommen, was zu zahlreiche­n negativen Folgen wie Bodenverlu­sten und Bodenzerst­örung führt“, meint etwa auch der renommiert­e Bodenwisse­nschaftler Winfried E. H. Blum. „Um die Existenz unserer Gesellscha­ft nachhaltig zu sichern, sind neue Formen der Bewusstsei­nsbildung und die Entwicklun­g neuer Werthaltun­gen notwendig. Nur dadurch können der Schutz und die nachhaltig­e Nutzung des Bodens gesichert werden.“

Nichts Kostbarere­s gibt es für den Gartenmens­chen als eine gesunde Schicht Humus in den Beeten. Tatsächlic­h ist die Herstellun­g und Pflege guter Erde der wahrschein­lich arbeitsint­ensivste Bereich des Gartenlebe­ns. Doch die Mühe des Kompostums­etzens lohnt sich. Guter Boden sorgt dafür, dass die Pflanzen ausreichen­d ernährt sind, ihre eigenen Abwehrkräf­te ausspielen und sich gegen Fressfeind­e und Krankheite­n aktiv wehren können. Der Boden ist ein Wunder, und wir beginnen gerade erst, das zu begreifen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria