Hüter von Herz und Hirn
Lang galt es nur als Gift, dann bemerkte man seinen Segen: Stickstoffmonoxid. Nun verblüfft es wieder: Es stärkt bei Bedarf die Blut-Hirn-Schranke.
Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass mir N/G 1 verschrieben wurde, zum Einnehmen! Sie nennen es Trinitrin, um den Apotheker und die Öffentlichkeit nicht zu erschrecken!“Das schrieb Alfred Nobel in einem Brief im Oktober 1896, die Ironie lag im „N/G 1“, er benutzte es als Abkürzung für Nitroglycerin, den Sprengstoff, der ihn reich gemacht hatte. Erfunden hatte ihn 1847 der italienische Arzt und Chemiker Asciano Sobrero. Er spürte üble Nebenwirkungen – Kopfschmerzen –, und bei der Hauptwirkung war höchste Vorsicht geboten, leichteste Erschütterungen lösten schwerste Explosionen aus. Auch in den Fabriken Nobels in Schweden gab es so böse Unfälle, dass die Regierung das Hantieren mit dem brisanten Zeug verbot. Deshalb zog Nobel sich damit in eine Fabrik bei Hamburg zurück, dort lief ein Fass aus, schadlos. Es stand zufällig auf einer Lage Kieselgur, das saugte es auf. Mit dieser Mischung konnte dosiert gesprengt werden.
Zu Ehren des Problemlösers wurde sie Gur-Dynamit genannt, bald entfiel das Gur: Das Nitroglycerin war gebändigt – und wurde als Nobel’s Safety Blasting Powder vermarktet –, über die Verwendung machte sich der Erfinder nicht allzu viele Kopfschmerzen. Aber das Nitroglyzerin machte sie ihm, wie Sobrero, ganz unmetaphorische. Deshalb nahm er nicht, was ihm die Ärzte gegen seine Angina pectoris verschrieben – die vom Herzen kommende bedrückende Beengung der Brust –, keine zwei Monate später war er tot.
Hätte er länger gelebt, wenn er den Sprengstoff geschluckt hätte? Zu seiner Zeit waren organische Stickstoffverbindungen wie Nitroglycerin bei diesem Leiden die Mittel der Wahl, bei Bluthochdruck auch. Sie blieben es, sie wirken, aber was in ihnen wirkt, blieb fast hundert Jahre ein Rätsel. In den frühen 1980er-Jahren bekam es einen Namen – „endothelium-derived relaxing factor“–, und 1987 wurde geklärt, was das Endothel, die Innenwand der Blutgefäße, entspannt: Stickstoffmonoxid, NO. Das war bis dahin nur als Gift bekannt bzw. als aggressives freies Radikal, und als Luftschadstoff, der in der Sommerhitze Ozonbelastung bringt. Nun zeigte es Segen, mitten im Körper und in so vielen Rollen, dass Science es 1992 zum „Molecule of the Year“ausrief: „NO News is good news“(258, S. 1862).
Die guten Neuigkeiten beschränkten sich nicht auf die entspannende Wirkung auf Blutgefäße, über die umwegig auch Viagra wirkt, NO ist zudem eine Waffe des Immunsystems, NO ist ein Neurotransmitter, und NO sorgt, zurück zum Blut, dafür, dass überhaupt etwas durch die Gefäße fließt. Es ist an der Bildung von Blut beteiligt: Dessen Vorläuferzellen reifen im Embryo in der Aorta des Herzens. Aber sie tun das nur, wenn in der Aortawand NO freigesetzt wird, und das wird es nur, wenn die Wand unter Druck gerät, durch schon fließendes Blut: NO ist das chemische Bindeglied zwischen physikalischem Druck und biologischer Genaktivität, Leonard Zon (Harvard) hat es an Zebrafischen gezeigt, ihre Jungen sind transparent, man sieht das Herz mit bloßem Auge (Cell 137, S. 736). Entgifter Hämoglobin. Und NO ist bzw. war in einem noch viel tieferen Sinn an der Bildung von Blut beteiligt: Heute wird es vom Immunsystem seiner Aggressivität wegen als Waffe gegen Bakterien eingesetzt. Aber es wirkt nicht gegen alle: Manche haben sehr früh, vor etwa 3,8 Milliarden Jahren, einen Schutz gegen NO entwickelt, das hing in der Ur-Atmosphäre, freien Sauerstoff gab es noch nicht. Und doch hatten Bakterien Hämoglobin, das kugelförmige („globular“) Protein mit dem Eisen, das heute unser Blut rot färbt und Sauerstoff transportiert. Wozu war es da, als es diesen noch gar nicht gab?
Zum Entgiften von NO: Das erste Hämoglobin wandelte es anaerob in Lachgas um (N2O). Dieses Hämoglobin hätte NO auch aerob entschärfen können, aber freien Sauerstoff gab es ja nicht. Als der kam – durch fotosynthesetreibende Bakterien –, war auch er ein Gift. Wieder half Hämoglobin, nun machte es mit der Hilfe von NO das O2 unschädlich. Wie, das zeigt ein uralter ekliger Parasit, der heute noch Menschen in vielen Regionen plagt, der Wurm Ascaris: Er hat sein Hämoglobin so umgebaut, dass es Sauerstoff extrem stark an sich bindet, 20.000-mal stärker als unser Hämoglobin, dann wird er mit NO schadlos gemacht, in zehn Schritten, zu Nitraten: „Das Ascaris-Hämoglobin funktioniert als ,Dioxygenase‘, die NO verwendet, um Sauerstoff zu entgiften“, erklärt Jonathan Stamler (Duke): „Damit scheint es eine Brücke in der Evolution zu sein, die zwischen dem Hämoglobin der frühen Bakterien und dem der Wirbeltiere, insbesondere der Säugetiere“(Nature 401, 497).
Die Wirbeltiere bauten noch einmal um: Mit ihrem Hämoglobin neutralisieren sie weder NO noch O2, sie transportieren sie damit, beide, und die spielen zusammen: NO ist der Scout, der bemerkt, wo Sauerstoff gebraucht wird, und dort zum besseren Durchlass die Gefäßwand erweitert. So ist das grundsätzlich auch im Gehirn, das mit 600 Kilometern Gefäßen durchzogen ist, sie versorgen jede Zelle mit Blut. Aber nicht alles, was in diesen ist, darf in das Gehirn hinein, darüber wacht die Blut- Hirn-Schranke. Sie lässt nur kleine Moleküle durch, das soll das Zentralorgan vor Krankheitserregern schützen (und stellt die Pharmakologie vor Probleme: 98 Prozent der in Tierversuchen vielversprechenden Wirkstoffe schaffen es nicht durch die Schranke, sie sind zu groß). Dringen doch Erreger ein – mit vielen Tricks –, kommt wieder NO ins Spiel, als Waffe des Immunsystems. Es wird von Abwehrzellen sehr rasch produziert, mit dem Enzym NO-Synthase aus der Aminosäure L-Arginin (so wird es in allen Zellen produziert, in den Abwehrzellen nur bei Bedarf ).
Aber das Arsenal ist zweischneidig, Abwehr ist oft mit Entzündung verbunden, und die ist vor allem im Gehirn unerwünscht. Deshalb übernimmt NO im Gehirn bei Bedrohung eine zweite Rolle, eine ganz konträre zu der im Rest des Körpers: Im Gehirn macht es die Gefäßwände – in diesem Fall die der Blut-Hirn-Schranke – nicht durchlässiger, im Gegenteil, es stärkt sie, und zwar dort, wo Aggressoren sie durchbrochen haben (PLoS Pathogens 25. 2.). Martin Rottenberg (Stockholm) hat es bei Experimenten mit Trypanosomen bemerkt, den Erregern der Schlafkrankheit.
»NO news is good news«: Das Gas entspannt Blutgefäße und hilft, Bakterien abzuwehren. Gegen alle Bakterien hilft NO nicht, manche neutralisieren es, mit ihrem Hämoglobin.