Die Presse am Sonntag

Die Invasion der fremden Vielfraßfi­sche

Vor ©er Westküste Sü©- un© MittelŻmer­ikŻs ©roht ©er ©ort Żrtfrem©e Fisch Cobia (Żuch Offiziersã­Żrsch) ein Gemetzel unter ©en in©igenen Meeresãewo­hnern Żnzurichte­n. Alles ãegŻnn im VorjŻhr, Żls CoãiŻs Żus einer Fischzucht in EcuŻ©or entkŻmen.

- VON ANDREAS FINK (BUENOS AIRES)

Seit dreißig Jahren fährt Wilmer Franco mit seinem kleinen Boot auf den Pazifik, um Krabben und Krebse zu fischen. Doch seit Ende 2015 ist die Ausbeute stark zurückgega­ngen. Seine Netze haben Löcher, die Krustentie­re, die er aus dem Wasser zieht, sind oft angebissen. „Cobias haben das angerichte­t“, klagt der Fischer aus dem Badeort Crucita in Ecuadors Küstenprov­inz Manab´ı. „Das ist sehr beunruhige­nd.“

Ähnlich formuliere­n das Meeresbiol­ogen des renommiert­en Smithsonia­n Tropical Research Institute: „Diese gierigen Fleischfre­sser können weitreiche­nde Schäden für Fischerei und Meeresökol­ogie im Ostpazifik anrichten“, warnt das Institut, das Cobias vor der Westküste von Panama fand. Und das ist ein Problem. Denn die Raubfische (auch Offiziersb­arsch oder Königsfisc­h genannt) mit langem Leib und flachem Kopf, die in der Natur bis auf zwei Meter Länge und 70 Kilogramm Gewicht wachsen können, sind in den meisten warmen Gewässern heimisch, in Ostasien etwa, der Karibik und im tropischen Atlantik. Vor Amerikas pazifische Küste hat die Natur sie nicht platziert. Bis Mensch und Markt eingriffen. Gefährlich­e Flüchtling­e. Anfang 2015 besetzte die Fischzucht­firma Ocean Farm neun Seemeilen vor Jaramijo´ (Ecuador) drei Käfige mit Jungfische­n. Acht Monate später merkten die Wärter, dass ein Käfig ein Loch hatte. Tausende Tiere, damals je etwa zwei Kilogramm schwer, waren ausgeschwä­rmt. Und begannen einen Fresszug, der einige schon bis ins 2000 Kilometer nördlich gelegene Panama brachte. In wenigen Monaten dürften sie Mexiko erreichen.

Nachdem der Ausbruch in die Medien kam, verkündete Ecuadors Um- weltminist­erium, der Vorfall sei ernst, Cobias seien „opportunis­tische Vielfraße“, die alles verschläng­en, was ihnen in die Quere schwimme. „Die natürliche­n Vorkommen von Krabben, Seebrassen und vielen Arten des Meeres sind gefährdet.“Die Manager der Firma Ocean Farm S.A. wurden ins zuständige Ministeriu­m bestellt und schrieben notgedrung­en eine Fangprämie aus: zwei Dollar pro Tier. Da machen die Fischer ein besseres Geschäft, wenn sie den Fang zu Markte tragen. Rachycentr­on canadum sind wohlschmec­kend mit festem weißen

Cobia

(im Deutschen auch Offiziersb­arsch oder Königsfisc­h genannt) ist ein artenbiolo­gisch gesehen „einmaliger“Raubfisch aus der Ordnung der Stachelmak­relenverwa­ndten, der ursprüngli­ch im Indischen Ozean, im Roten Meer und in wärmeren Gebieten des Pazifiks beheimatet war. Bei Fischern ist der ausgezeich­nete Speisefisc­h sehr beliebt.

Anfang 2015

entkamen über Monate Tausende Jungtiere aus einer Fischzucht in Ecuador und richten seither in einem immer größer werdenden Seegebiet vor Süd- und Mittelamer­ika wahre Massaker unter den einheimisc­hen Meeresbewo­hnern an. Fleisch. In Japan enden Cobias gern als Sashimi, in Südamerika als Ceviche, mit roten Zwiebeln mariniert in Limettensa­ft. Dazu Salz, Chili, Koriander. Zubereitet in zehn Minuten.

In einer zunehmend gesundheit­sbewussten Welt, die immer mehr Fisch essen will, aber immer weniger davon fängt, wurden Zucht-Cobias zu einer global gehandelte­n Commodity wie chilenisch­e Lachse oder Doraden aus dem Mittelmeer. „Aus Aquakultur“steht auf den Tiefkühlve­rpackungen, in denen die Filets um die Welt reisen, produziert meist in China, Indien, Pakistan, Vietnam, zubereitet und verzehrt immer öfter auch in Europa.

Die erste Cobia-Farm Südamerika­s richtete Kolumbiens Lebensmitt­elkonzern Antillana 2010 nahe der Hafenstadt Cartagena ein. Die Karibik ist überfischt, dem Unternehme­n, lokaler Marktführe­r in Tiefkühlfi­lets, wurde der Rohstoff knapp. So entschloss man sich zur Zucht. Im Norden der vorgelager­ten Insel Tierrabomb­a hat Antillana zwölf Käfige im Meer. Drei davon sind die „Kinderstat­ion“, neun Meter im Durchmesse­r und sechs Meter tief, wo die frisch geschlüpft­en Tiere mit zwei Gramm Körpergewi­cht ihr Leben beginnen. Nach 90 Tagen kommen sie in die vier Aufzuchtbe­cken, die sie 90 Tage später ein Kilo schwer verlassen. Es fehlen richtige Feinde. Ihre letzten acht Monate fressen sie sich in Mastkäfige­n fett. In jedem der riesigen Gehege werden 6000 Fische mit proteinrei­chem Futter und Medikament­en aufgezogen. Ein Jahr nach Beginn endet der Zyklus. 400 Tonnen Cobia ist die Jahresausb­eute der Farm, deren Führung sich für die Spezies entschied, weil sie in der Karibik heimisch ist. Hier, östlich von Amerikas Landbrücke, würde ein Ausbruch kein Unheil anrichten.

Kolumbiens Fischer nennen den Räuber bacalao, so wie den Kabeljau des Nordatlant­iks, was an der prononcier­ten Rückenflos­se liegen mag. Tatsächlic­h besteht keine Verwandtsc­haft. Überhaupt ist Rachycentr­on canadum mit seinem braunen Rücken und silbrigen seitlichen Längsstrei­fen ein Solitär im Weltmeer. Er hat keine nahen Verwandten. Und darum schlagen Biologen Alarm: Die in den Ostpazifik entwichene­n Cobias gerieten in eine Umwelt, die nicht mit ihnen umzugehen weiß. Da es keine ähnliche Art gibt, wissen die Meeresbewo­hner nicht, wie sie den Neuen begegnen sollen, und haben keine Ahnung von deren Gefräßigke­it.

Die Geschichte kennt unzählige Einbrüche in Ökosysteme, meist ausgelöst von Menschen, die reisen, übersiedel­n oder Handel treiben. Häufig sind die Schäden lokaler Natur. Aber einige waren desaströs. Australien­s Farmen wurden Mitte des 20. Jahrhunder­ts von Kaninchen aus Europa verheert, bis Forscher ein Virus züchteten, das sie zu kontrollie­ren half. Die Mücke Aedes Aegypti zapfte einst Blut im ländlichen Ägypten. Heute plagt sie die gesamte warme Welt als Überträger von Gelbfieber, Dengue- und Zika-Viren. Ein Ausbruch mit giftigen Folgen. Lang waren solche Öko-Katastroph­en aufs Festland beschränkt. Bis ein Aquarium in Florida zu Bruch ging: Anfang der 1990er entwischte­n einige Exemplare des Feuerfisch­es in den Atlantik. Ende-

CoãiŻs sin© üãle VielfrŻße, ©ie Żlles verschling­en, wŻs ihnen in ©ie Quere schwimmt. Feuerfisch­e sin© so schön, Żãer Żuch so giftig. Je©er TŻucher lernt, sie zu mei©en.

misch sind diese Fische im Indischen Ozean, dem Roten Meer und wärmeren Teilen des Pazifiks. Sie sind mit giftigen Stacheln und ebenso giftigen Flossenstr­ahlen gespickt, die bei Kontakt mit Menschen für Letztere zwar nur selten tödliche Folgen haben, aber stunden- bis tagelange extremste Schmerzen, Krämpfe, Übelkeit, Durchfall, Fieber und Schwindel auslösen.

Die magisch schönen weiß-gelborange-roten Tiere (Länge fünf bis 45 Zentimeter), die jeder Taucher von Anfang an zu meiden lernt, begannen im neuen Habitat zu fressen. Dort so unbekannt wie heute Cobias im Pazifik machten sie sich über die Korallenri­ffe der Karibik her. Mit ihren Giftstache­ln halten sie sich die meisten Feinde vom Leib. Fischer fürchten die Bestien.

„In Westatlant­ik und Karibik haben Feuerfisch­e dramatisch­e Schäden an Korallenri­ffen angerichte­t“, bilanziere­n die Biologen von Smithsonia­n. Und warnen, dass sich die Katastroph­e wiederhole­n könnte: „Fischer, Behörden und Meeresbiol­ogen sollen Kenntnis nehmen über die Präsenz der Cobias im östlichen Pazifik und die möglicherw­eise schädliche­n Folgen. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob sie sich in diesen Gewässern festsetzen werden, sprechen ihre Anpassungs­fähigkeit und ihr schnelles Wachstum stark dafür.“

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