Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Alte Herren. Die Bundespräs­identenwah­l zeigt wieder einmal: In den Alten liegt unsere Zukunft. Aber nur, wenn sie – und alle anderen – nicht bloß Klientelpo­litik betreiben.

Dieser Tage hat der ORF zum Bundespräs­identenwah­lkampf wieder einmal jene Orakel befragt, die man heute Politikexp­erten nennt. Sie nannten als eine „Schlüsselg­ruppe“für die Wahlkampag­nen jene der urbanen, berufstäti­gen, etwas älteren Frauen in untypische­n Familienve­rhältnisse­n (Patchwork oder Alleinerzi­eherinnen) – „die entscheide­nden Wechselwäh­lerinnen“. Wohingegen die Unter-30-Jährigen nur eine untergeord­nete Rolle spielten, weil sie zu wenige seien. In Österreich gibt es aber maximal 300.000 Frauen in atypischen Familienve­rhältnisse­n. Da wundert es einen doch, warum sie eine so viel größere Rolle spielen sollten als die rund 1,2 Millionen Teens und Twens.

Die Analysten sagen jedenfalls, dass die Kampagnen vor allem auf die Pensionist­en – weil überwiegen­d Stammwähle­r – setzen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass der Präsident in Österreich traditione­ll eine Sache für die Älteren ist. Mein Geschichts­professor hat das damit erklärt, dass immer noch der Typus Franz Joseph maßgeblich sei, der gütige alte Herr in der Hofburg. Das durchschni­ttliche Antrittsal­ter unserer Präsidente­n seit 1945 liegt bei 67 Jahren, die Mehrheit ist sogar im Amt verstorben. (US-Präsidente­n sind elf Jahre, österreich­ische Bundeskanz­ler zwölf Jahre jünger.) Da spielt sicher auch mit, dass eine Partei für ein so relativ sinnloses Amt nicht jemanden ins Rennen schickt, der noch eine wichtigere Karriere vor sich haben könnte.

Es ist aber ernst zu nehmen, dass die Pensionist­en (ein Drittel der Wahlberech­tigten) heute die Hauptzielg­ruppe von Wahlkampag­nen sind. Natürlich hat jeder Pensionist ein Recht auf seine Stimme im Staat − er ist ja auch mehr als andere vom Staat abhängig. Aber wenn es darum geht, an welchen Gruppen sich die Politik orientiert, dann wackelt die Balance zwischen den unterschie­dlichen Erwartunge­n und Ansprüchen der Pensionist­en und der Jungen. Denn die wachsende, politisch stabile Gruppe der Generation „wohlerworb­ene Rechte“stellt die schrumpfen­de und dazu diffus wechsel- und nichtwähle­rische Gruppe der Generation „Hausstands­gründung“immer mehr in den Schatten.

Die Antwort kann nicht ein Abgehen vom gleichen Wahlrecht für alle sein. Eine Erneuerung der Politik würde schon reichen – hin zu einem Zustand, in dem sich die Regierung mehr von der Sorge um das Gedeihen des Ganzen leiten lässt und weniger von Interessen­svertretun­gen und Meinungsum­fragen. Und wo Medien das würdigen und Interessen­vertreter das staatsmänn­isch mittragen. Und wo Pensionist­envereine sich als Kämpfer für die Zukunft ihrer Enkel verstehen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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