Zwei Rpchwestern fürs Zweithaar
In Mariahilf führt das Schwesternpaar Brennig den gleichnamigen Perückenmacher Generation – eine Schatzkammer der Anekdoten in einer aussterbenden Zunft. in dritter
Wie ein handgroßes, äußerst ungemütliches Fakirbett sieht die Kardätsche aus, durch die das Echthaar für die Perücken des Hauses Brennig gezogen wird. Fast könnte man Mitleid mit den Haaren bekommen. Doch anders ginge es nicht beim Perückenbau, erklärt Eva Schrempf-Brennig, die den meisterlichen Familienbetrieb gemeinsam mit ihrer Schwester Johanna Brennig in dritter Generation führt. Wenn nur ein Härchen aus der Reihe tanzt und nicht richtig gespannt ist, verwirrt sich die gesamte Zweithaarpracht. Und bei extravaganten Aufträgen wie dem eines Wiener Theaterregisseurs, der sich für ein Stück eine wallende Mähne von 1,15 Metern Länge wünschte, könnte man sich das folgende Dilemma vorstellen.
1907 erkannte der kaiserlich-königliche Hoffriseur Fritz Brennig senior bereits das Geschäft mit den Echthaarteilen und stattete bald die gesamte vornehme Gesellschaft mit Toupets und Perücken aus. Dass es das Unternehmen auch heute, mehr als hundert Jahre später, noch in der Wiener Magdalenenstraße gibt, verdankt es der Durchsetzungskraft seines Gründers. „Unser Vater war Diplomingenieur für Flugzeugbau – aber auch das einzige Kind“, erzählt die gelernte Friseurin und Perückenmacherin Eva mit vielsagendem Ton. Da habe es keine Debatte gegeben, dass Sohn Fritz 1955 umlernte und in die Fußstapfen von Vater Fritz trat, als sich dieser zur Ruhe setzte. „Auch wir sind gar nicht viel gefragt worden“, ergänzt Johanna die Geschichte der Schwester. So wie sie es meistens tut. Roter Samt, violettes Haar. Die beiden älteren Damen sind ein kongeniales unternehmerisches Zweigespann in einer aussterbenden Zunft. Während sich Eva mit violett leuchtendem Schopf im rotsamten bestuhlten Erdgeschoß um die Kundschaft kümmert, Köpfe vermisst und Farbschattierungen mit den Teints der Kunden abgleicht, ist ihre Schwester „auf der ganzen Welt unterwegs“– hauptsächlich telefonisch – und kümmert sich ein Stockwerk höher um die Auslandskorrespondenz und den Ankauf des Rohhaars.
Obwohl der einzige in Österreich und einer der wenigen Perückenmacher in ganz Europa, ist der Brennig’sche Betrieb wie die gesamte Zunft vom Erlöschen bedroht. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass das Schwesterngespann die Nachfolge nie so autokratisch regelte, wie es der Großvater tat. „Es hat sich alles geändert“, betont Johanna immer wieder. Und in diesem Satz steckt vieles auf einmal, was das ursprüngliche Handwerk zunehmend erschwert: Die großen Bühnen des Landes, die Filmstudios und der ORF, allesamt Kunden des Hauses Brennig, haben weniger Budget für ihre Requisiten. Immer mehr Perücken werden allerorts auf der Welt maschinell gefertigt. Die Kunsthaarperücken, die man selbst auch im Repertoire führt, erreichen zunehmend eine ähnliche Qualität. Der Produktionsstandort Österreich wird teurer, die Zollbestimmungen schärfer, Haarimporteure aus China und Indien machen der selbst importierenden Firma Konkurrenz. Und, so Eva: „Heute glaubt jeder, er hat ein Vermögen auf dem Kopf.“
Die Preise für qualitativ hochwertiges Echthaar, das das Unternehmen in mindestens 35 bis 40 Zentimeter langen Zöpfen bevorzugt aus Schweden, Tschechien oder Russland kauft, stiegen in den vergangenen Jahren in unerschwingliche Höhen. „Kosmetikherstellung“– das zweite Standbein der Firma, die sich seit der Kommandoübernahme durch die zwei Schwestern auch auf Camouflage- und Bühnenschminke spezialisierte – „kostet einen Bettel dagegen“, sagt Johanna.
Die glanzvollen Tage der europäischen Perruquiers sind vorbei, längst reisen nicht mehr die hauseigenen Einkäufer auf der Suche nach den feinsten Haaren durch die Lande. Doch obwohl das Unternehmen von einst 100 auf 15 Mitarbeiter zusammengeschrumpft ist, beliefert man als Branchengröße noch immer die gesamte Welt mit handgefertigten Haarkreationen. Großteils fliegen die Knüpfnadeln allerdings unter asiatischen Lupen durch Frauenhände. „Bei uns knüpfen die Mütter, und ihre Kinder sind währenddessen im Kindergarten“, betont Eva Schrempf-Brennig. Man erzeuge zwar nur einen Bruchteil in Österreich, aber alles fair.
„Die Firma Brennig ist eine Firma, die hilft“, stellt sie das Motto des Hauses auch im Umgang mit der Kundschaft klar. Diese besteht nicht zuletzt zu einem guten Teil aus Chemotherapiepatientinnen. „Wenn sie weinend reinkommt und lachend wieder hinausgeht, dann habe ich gewonnen“, sagt sie und erzählt von frohen Kundinnen, deren Friseure glaubten, die Chemo stehe erst noch bevor.
„Aber was wird danach mit unseren Kunden sein?“Unvorstellbar sei es für sie beide, dass ihr vierstöckiges Unternehmen mit seiner Werkstatt, seinen Verkaufsräumen, einigen Kilo Haar im Depot und Schminke in den Regalen einmal nicht mehr sein könnte. Mit dem Gedanken wollen sich die Schwestern noch nicht befassen.
Lieber erzählen sie von den Jahrzehnten an Erfahrung in der Perückenwerkstatt. „Das ist so umfangreich, da müssten Sie uns jede Woche besuchen“, sagt Johanna lachend. Doch auch an einem Vormittag bekommt man ein Gefühl für alles Mögliche und Unmögliche, das den beiden in diesen Räumen schon passiert ist. Da sind die Burgtheater-Doyens mit ihren Allüren – einzelne Namen werden aus Diskretion nie genannt, aber es gibt wohl wenige Schauspielgrößen in Österreich, die sich bei den Schwestern Brennig noch nicht die Ehre gegeben haben – nicht viel schlimmer als der „Normalkunde“. „Alles schon gehabt“. Herren mit schütteren Häuptern, die umständlich nach einem Toupet für ihren besten Freund fragen und am Schluss selbst mit einer neuen Frisur das Geschäft verlassen. Stundenlang zwischen Perücken gustierende Damen, die am Ende zugeben, eigentlich bloß die perfekte Haarfarbe vor dem bevorstehenden Friseurbesuch finden zu wollen. Ein Kunde, dessen Schnauzer kurz nach dem Kauf vom Hund aufgefressen wurde. Ein Kunde, dessen Toupet vom Installateur irrtümlich mit Stopfmaterial verwechselt und für den Wasserrohrbruch im Badezimmer eingesetzt wurde. „Alles schon gehabt“, lautet der lakonisch-verschmitzte Kommentar der beiden.
Mit dem Gedanken, dass all das eines Tages ein Ende haben soll, mag man sich nach einem Besuch in der Magdalenenstraße mindestens genauso wenig befassen wie die zwei letzten Perückenmacherinnen Österreichs.
»Wenn sie weinend reinkommt und lachend hinausgeht, dann habe ich gewonnen.«