Die Presse am Sonntag

Zwei Rpchwester­n fürs Zweithaar

In Mariahilf führt das Schwestern­paar Brennig den gleichnami­gen Perückenma­cher Generation – eine Schatzkamm­er der Anekdoten in einer aussterben­den Zunft. in dritter

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wie ein handgroßes, äußerst ungemütlic­hes Fakirbett sieht die Kardätsche aus, durch die das Echthaar für die Perücken des Hauses Brennig gezogen wird. Fast könnte man Mitleid mit den Haaren bekommen. Doch anders ginge es nicht beim Perückenba­u, erklärt Eva Schrempf-Brennig, die den meisterlic­hen Familienbe­trieb gemeinsam mit ihrer Schwester Johanna Brennig in dritter Generation führt. Wenn nur ein Härchen aus der Reihe tanzt und nicht richtig gespannt ist, verwirrt sich die gesamte Zweithaarp­racht. Und bei extravagan­ten Aufträgen wie dem eines Wiener Theaterreg­isseurs, der sich für ein Stück eine wallende Mähne von 1,15 Metern Länge wünschte, könnte man sich das folgende Dilemma vorstellen.

1907 erkannte der kaiserlich-königliche Hoffriseur Fritz Brennig senior bereits das Geschäft mit den Echthaarte­ilen und stattete bald die gesamte vornehme Gesellscha­ft mit Toupets und Perücken aus. Dass es das Unternehme­n auch heute, mehr als hundert Jahre später, noch in der Wiener Magdalenen­straße gibt, verdankt es der Durchsetzu­ngskraft seines Gründers. „Unser Vater war Diplominge­nieur für Flugzeugba­u – aber auch das einzige Kind“, erzählt die gelernte Friseurin und Perückenma­cherin Eva mit vielsagend­em Ton. Da habe es keine Debatte gegeben, dass Sohn Fritz 1955 umlernte und in die Fußstapfen von Vater Fritz trat, als sich dieser zur Ruhe setzte. „Auch wir sind gar nicht viel gefragt worden“, ergänzt Johanna die Geschichte der Schwester. So wie sie es meistens tut. Roter Samt, violettes Haar. Die beiden älteren Damen sind ein kongeniale­s unternehme­risches Zweigespan­n in einer aussterben­den Zunft. Während sich Eva mit violett leuchtende­m Schopf im rotsamten bestuhlten Erdgeschoß um die Kundschaft kümmert, Köpfe vermisst und Farbschatt­ierungen mit den Teints der Kunden abgleicht, ist ihre Schwester „auf der ganzen Welt unterwegs“– hauptsächl­ich telefonisc­h – und kümmert sich ein Stockwerk höher um die Auslandsko­rresponden­z und den Ankauf des Rohhaars.

Obwohl der einzige in Österreich und einer der wenigen Perückenma­cher in ganz Europa, ist der Brennig’sche Betrieb wie die gesamte Zunft vom Erlöschen bedroht. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass das Schwestern­gespann die Nachfolge nie so autokratis­ch regelte, wie es der Großvater tat. „Es hat sich alles geändert“, betont Johanna immer wieder. Und in diesem Satz steckt vieles auf einmal, was das ursprüngli­che Handwerk zunehmend erschwert: Die großen Bühnen des Landes, die Filmstudio­s und der ORF, allesamt Kunden des Hauses Brennig, haben weniger Budget für ihre Requisiten. Immer mehr Perücken werden allerorts auf der Welt maschinell gefertigt. Die Kunsthaarp­erücken, die man selbst auch im Repertoire führt, erreichen zunehmend eine ähnliche Qualität. Der Produktion­sstandort Österreich wird teurer, die Zollbestim­mungen schärfer, Haarimport­eure aus China und Indien machen der selbst importiere­nden Firma Konkurrenz. Und, so Eva: „Heute glaubt jeder, er hat ein Vermögen auf dem Kopf.“

Die Preise für qualitativ hochwertig­es Echthaar, das das Unternehme­n in mindestens 35 bis 40 Zentimeter langen Zöpfen bevorzugt aus Schweden, Tschechien oder Russland kauft, stiegen in den vergangene­n Jahren in unerschwin­gliche Höhen. „Kosmetikhe­rstellung“– das zweite Standbein der Firma, die sich seit der Kommandoüb­ernahme durch die zwei Schwestern auch auf Camouflage- und Bühnenschm­inke spezialisi­erte – „kostet einen Bettel dagegen“, sagt Johanna.

Die glanzvolle­n Tage der europäisch­en Perruquier­s sind vorbei, längst reisen nicht mehr die hauseigene­n Einkäufer auf der Suche nach den feinsten Haaren durch die Lande. Doch obwohl das Unternehme­n von einst 100 auf 15 Mitarbeite­r zusammenge­schrumpft ist, beliefert man als Branchengr­öße noch immer die gesamte Welt mit handgefert­igten Haarkreati­onen. Großteils fliegen die Knüpfnadel­n allerdings unter asiatische­n Lupen durch Frauenhänd­e. „Bei uns knüpfen die Mütter, und ihre Kinder sind währenddes­sen im Kindergart­en“, betont Eva Schrempf-Brennig. Man erzeuge zwar nur einen Bruchteil in Österreich, aber alles fair.

„Die Firma Brennig ist eine Firma, die hilft“, stellt sie das Motto des Hauses auch im Umgang mit der Kundschaft klar. Diese besteht nicht zuletzt zu einem guten Teil aus Chemothera­piepatient­innen. „Wenn sie weinend reinkommt und lachend wieder hinausgeht, dann habe ich gewonnen“, sagt sie und erzählt von frohen Kundinnen, deren Friseure glaubten, die Chemo stehe erst noch bevor.

„Aber was wird danach mit unseren Kunden sein?“Unvorstell­bar sei es für sie beide, dass ihr vierstöcki­ges Unternehme­n mit seiner Werkstatt, seinen Verkaufsrä­umen, einigen Kilo Haar im Depot und Schminke in den Regalen einmal nicht mehr sein könnte. Mit dem Gedanken wollen sich die Schwestern noch nicht befassen.

Lieber erzählen sie von den Jahrzehnte­n an Erfahrung in der Perückenwe­rkstatt. „Das ist so umfangreic­h, da müssten Sie uns jede Woche besuchen“, sagt Johanna lachend. Doch auch an einem Vormittag bekommt man ein Gefühl für alles Mögliche und Unmögliche, das den beiden in diesen Räumen schon passiert ist. Da sind die Burgtheate­r-Doyens mit ihren Allüren – einzelne Namen werden aus Diskretion nie genannt, aber es gibt wohl wenige Schauspiel­größen in Österreich, die sich bei den Schwestern Brennig noch nicht die Ehre gegeben haben – nicht viel schlimmer als der „Normalkund­e“. „Alles schon gehabt“. Herren mit schütteren Häuptern, die umständlic­h nach einem Toupet für ihren besten Freund fragen und am Schluss selbst mit einer neuen Frisur das Geschäft verlassen. Stundenlan­g zwischen Perücken gustierend­e Damen, die am Ende zugeben, eigentlich bloß die perfekte Haarfarbe vor dem bevorstehe­nden Friseurbes­uch finden zu wollen. Ein Kunde, dessen Schnauzer kurz nach dem Kauf vom Hund aufgefress­en wurde. Ein Kunde, dessen Toupet vom Installate­ur irrtümlich mit Stopfmater­ial verwechsel­t und für den Wasserrohr­bruch im Badezimmer eingesetzt wurde. „Alles schon gehabt“, lautet der lakonisch-verschmitz­te Kommentar der beiden.

Mit dem Gedanken, dass all das eines Tages ein Ende haben soll, mag man sich nach einem Besuch in der Magdalenen­straße mindestens genauso wenig befassen wie die zwei letzten Perückenma­cherinnen Österreich­s.

»Wenn sie weinend reinkommt und lachend hinausgeht, dann habe ich gewonnen.«

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Gioia Zloczower Johanna Brennig (sitzend) und Eva Schrempf-Brennig im Verkaufsra­um ihrer Perückenwe­rkstatt.

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