Die Presse am Sonntag

Jede jagt für sich allein

Untereinan­der verhalten sie sich nicht fein, die Spinnen, und viele von uns fürchten sie. Aber wir haben ihnen zu danken: Ohne sie gäbe es uns wohl nicht.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Sie diente niemandem außer sich selbst, trank das Blut von Elben und Menschen, aufgedunse­n und fett geworden vom endlosen Brüten über ihren Schmäusen, Netze aus Schatten webend.“„Sie sah mit böse funkelnden Augen auf die kleine Maja, in einer boshaften Geduld und grauenhaft kaltblütig. Schlimmer konnte auch der Tod nicht aussehen.“Gut kommt sie nicht weg, weder im „Herr der Ringe“noch in der „Biene Maja“. Und die Furcht vor ihr zieht sich nicht nur durch Mythen, viele Menschen sind im Alltag von ihr so geprägt, dass ihnen die Maßstäbe entgleiten: „Ich war im Labor, als ich plötzlich eine Spinne sah, und ich fürchte mich wirklich davor. Deshalb habe ich nach meiner Kollegin geschrien, sie sollte sie wegtun, sie hat keine Angst.“

Die Kollegin eilte herbei, sie wunderte sich: Sie sah etwas Zwergenhaf­tes. Die Hilferufen­de hingegen, Tali Leibovich, sah einen Riesen, das brachte die beiden in Streit, und weil sie Psychologi­nnen sind, an der Ben Gurion University, klärten sie es experiment­ell: Arachnopho­bie vergrößert in der Wahrnehmun­g die Tiere, die die Angst auslösen (Biologocal Psychology 16. 2.).

Diese Angst ist so verbreitet wie rätselhaft: Spinnen tun uns selten etwas, sie nehmen uns auch nichts weg, im Gegenteil, sie fressen die, die sonst alles fressen würden: „Ohne sie wären wir vermutlich alle tot“, rechnet Kefyn Catley vor, Arachnolog­e des American Museum of Natural History: Die in Summe größten Raubtiere sind nicht etwa Tiger oder Haie – alle Wirbeltier­e zusammen stellen vier Prozent der Fauna –, es sind die Spinnen (zwei Körperteil­e, acht Beine), die jene dezimieren, vor denen wir uns wirklich fürchten müssten, die Insekten (drei Körperteil­e, sechs Beine). Sie tun es überall und sonder Zahl: Auf britischen Wiesen tummeln sich auf einem Acre – ca. 4000 Quadratmet­ern – zwei Millionen, und in Wäldern wimmeln sie auch: „Nimmt man als Durchschni­ttskonsum in einem Wald 0,1 Gramm pro Tag und Spinne an, werden auf einem Hektar im Jahr 47.500 Kilo Beute konsumiert, 47,5 Tonnen Insekten.“(Biobulleti­n, Stichwort „Spiders“) Würden die nicht in Spinnenmäg­en enden, wären unsere Ernten rasch weg, zudem würden all die Krankheite­n explodiere­n, die von Insekten übertragen werden. Spinnen bringen keine, nur wenige haben bedrohlich­e Gifte, Spinnen gehen auch nicht an Ernten, nur manche naschen bisweilen Nektar, Martin Nyffeler (Basel) hat es bemerkt (Journal of Arachnolog­y 44, S. 15.).

Warum verbreiten sie dann Angst und Schrecken? Vielleicht liegt es daran, dass ihr Hunger vor ihresgleic­hen nicht haltmacht: Die meisten leben solitär, und sie machen sich auch über andere her, Artgenosse­n inklusive: „Es ist durchaus ein ekler Anblick, eine Spinne die andere fressen zu sehen“, notierte Lessing, er meinte es metaphoris­ch, die spinnenfre­ssenden Spinnen standen bei ihm für „zwei Kritiker, die sich gegenseiti­g todt machen wollen“. Heikles Begatten. Aber warum wählte Lessing just diese Metapher? Woher die Furcht, auch die Abscheu vor Spinnen? Etwa daher, dass sie sich nicht nur über Artgenosse­n hermachen, sondern gar über Bettgenoss­en? Das Begatten ist eine heikle Angelegenh­eit, vor allem für die Männchen, oft sind sie kleiner als die Weibchen. Sie nähern sich mit Vorsicht, die Hände voran, in ihnen haben sie das Sperma, verpackt in Seide, sie wollen es links und rechts an den Weibchen platzieren, in Taschen. Sie haben die Hände nicht frei, können sich nicht wehren, flüchten wollen sie nicht, auch dann nicht, wenn eine Tasche gefüllt ist. Dann greifen viele Weibchen zu.

Aber die Männchen sind auch nicht ohne: Manche zerstören die Netze der Weibchen, auf dass sie unattrakti­v werden für Konkurrent­en (Animal Behavior 107, S. 71); andere ruinieren nach dem Begatten die Taschen, auf dass kein anderes Sperma hineinkomm­e (Biology Letters 18. 3.); Dritte lassen sich Milderes einfallen, sie fesseln die Weibchen (Biology Letters, 1. 2.).

Das ist der bislang letzte bemerkte Verwendung­szweck des Materials, das niemand sonst zustande bringt: Spinnensei­de. Mit ihr können ihre Verfertige­r vieles – sogar fliegen –, und Menschen nutzten sie früh, etwa als Wundverban­d, später auch zum Wundenschl­agen – Fadenkreuz­e in Zielfernro­hren waren aus Spinnensei­de –, es ist ein magisches Material: nachgiebig­er als Nylon, kräftiger als Kevlar, stärker als Stahl. Der reißt bei einer Länge von 30 Kilometern unter dem eigenen Gewicht, Spinnensei­de hält bis 80.

Wenn wir das könnten! „Ich kam in ein Zimmer, wo Decke und Wände ganz mit Spinnweben behangen waren, außer einem engen Durchgang für den Gelehrten“, lässt Swift seinen Gulliver von der dritten Reise berichten. Der Gelehrte füttert mit Farben, er will die prächtigst­e aller Seiden. Das war Satire auf tatsächlic­h laufende Experiment­e, sie scheiterte­n allesamt daran, dass Spinnen sich der Massentier­haltung verweigern: Sie fressen einander.

Auch ein Spinnen-Melkgestel­l, das der US-Arzt Burt Wilder im Sezessions­krieg ersann, bewährte sich nicht. Aber das Militär blieb dem Mirakel treu – schussfest­e Westen! –, es finanziert­e und finanziert­e, zuletzt Molekularb­iolo-

Sie fressen uns nichts weg, im Gegenteil sie fressen jene, die sonst alles fressen würden. Sie machen sich auch über andere her, Artgenosse­n inklusive, Bettgenoss­en gar.

gen. Auch die schaffen es nicht, obwohl sie es seit Dezennien ankünden: Zwar ist die Biologie geklärt – Proteine bzw. Gene sind bekannt –, aber das zweite Geheimnis behielten die Spinnen für sich, das der Physik: das des Spinnens.

Unter den Menschen kennt das nur einer, der Nerd Peter Parker: Als er von einer radioaktiv­en Spinne gebissen wird, gehen ihre Kräfte auf ihn über, er wird Spider-Man mit Accessoire­s wie Seidenspri­tzen (web-shooters). Der Verleger des Comics hatte Bedenken, er fürchtete, die Arachnopho­bie werde ihm das Geschäft verderben, aber er hatte die Rechnung ohne die Arachnophi­len gemacht: Viele halten Spinnen – je größer und exotischer, desto besser –, und wer eine neue Art entdeckt, darf sie benennen: So gibt es eine naheliegen­de Prithia garfieldi – Andrew Garfield verkörpert­e Spider-Man im Film –, vor allem aber wuseln Heroen der Popmusik, von Heteropoda davidbowie über Loureedia und Pinkfloydi­a bis zu Aphonopelm­a johnnycash­i. Den Namen erhielt heuer eine Vogelspinn­e, die beim Folsom Prison gefunden wurde und sich rundum in Schwarz hüllt, so wie er es tat in der düsteren Welt: „Till things are brighter, I’m the Man In Black.“

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