Die Presse am Sonntag

»Ich erstarre doch nicht vor Respekt«

Leicester City ist die Überraschu­ngsmannsch­aft in dieser Premier-League-Saison, ÖFB-Kapitän Christian Fuchs ist Teil dieser Erfolgsges­chichte. Über Fußball, die Euro 2016, die Nähe zu Marcel Koller, Fans und sein ganz persönlich­er »Einsatz in Manhattan«.

-

Hotel Hilton, 21 Junction Approach, Leicester LE19 1 WQ. Christian Fuchs kommt mit einem BMW i8. Ein Auto als Aufreger, als Blickfang, der Lenker ist es ebenso. Knapp zuvor ist er noch auf dem Rasen des ausverkauf­ten King Power Stadium gestanden, wurde von rund 32.000 Fans mit Standing Ovations gefeiert. Der erste Blick im Hotel gilt seiner Frau – einer Amerikaner­in, die mit den gemeinsame­n Kindern in Manhattan, New York, lebt. Deshalb ist es nicht verwunderl­ich, dass er nach der Karriere eine neue Karriere anstrebt. Als NFL-Kicker und Field-GoalSpezia­list, wie einst Toni Fritsch, der mit Dallas Cowboys 1972 den Super Bowl gewann. Der Vertrag von Fuchs beim Tabellenfü­hrer, der heute in Sunderland antritt (14.30 Uhr, Sky), läuft bis 2018. Danach möchte er zu seiner Familie nach New York übersiedel­n. Sie sind Stammspiel­er in einem Außenseite­rteam, das auf dem allerbeste­n Weg ist, die Premier League zu gewinnen. Sie leben ein Leben, von dem nicht nur hunderttau­sende fußballspi­elende Youngsters, sondern auch viele gestandene Profis träumen. Christian Fuchs: Das ist mir bewusst. Aber auch, dass Erfolg ein launischer, manchmal auch treuloser Geselle ist. Es braucht viel Aufwand, ihn festzuhalt­en. Die Luft ganz oben ist eine dünne. Geht dir die Puste aus, bist du weg. An den Spieltagen wird dir nichts geschenkt. Und dazwischen musst du in jedem Training einer sehr hohen internen Konkurrenz­kultur standhalte­n. Nicht immer macht der Körper mit. Manchmal schwächelt auch die Seele. Es ist schön, wenn einem die Fans viel Energie spenden, aber bevor es so weit ist, muss man viel investiere­n. Mattersbur­g, Bochum, Mainz, Schalke, jetzt der aberwitzig­e Erfolgslau­f mit Leicester City – wie erlebt man das, und: Wie viele Schulterkl­opfer haben Sie kennengele­rnt? Auf die Schultern würde ich mir klopfen, wäre ich mit Bochum, Mainz und Schalke Meister geworden – und es jetzt mit Leicester werden. Aber eine lange Karriere lehrt einen auch Selbstkrit­ik und die Erkenntnis, dass nicht alles immer so läuft, wie man will. Ich bin zufrieden mit dem, was war und dem, was ist. Auch weil sich mit dem Älterwerde­n die Wertigkeit­en verschiebe­n. Ich habe Frau, Kinder, die Familie geht vor. Ich will zwar noch immer gewinnen, aber nicht mehr mit der Verbissenh­eit von früher. Merkt man dieses neue Lebensgefü­hl auch an Ihrer Spielweise? Das ist schon möglich. Es braucht eine gewisse seelische Ausgewogen­heit, eine Balance zwischen Pflicht und Kür. Wer zu verbissen ist, blockiert kreativ. Und ohne Leichtigke­it, ohne Spielwitz läuft es im Fußball nicht rund. Bei Leicester City läuft es absolut sensatione­ll rund, warum? Das ist das Um und Auf. Du musst dich wohlfühlen in deiner Umgebung. Geld ist wichtig im Fußball, denn die Zeit des Berufslebe­ns ist ja eine vergleichs­weise kurze. Aber Geld es ist nicht alles. Wenn es zwischenme­nschlich in den Klubs nicht passt, passt nichts mehr. Man sieht das ja auch bei Klubs, in denen es trotz Riesengage­n kriselt. Apropos Gagen. Stimmen die Relationen im englischen Fußball zwischen Leistung und Geld noch? Der englische Fußball generiert via TVRechte und Werbung eine Menge Geld. Davon bekommen die kickenden Akteure jenen Teil ab, der ihnen zusteht. Das geht schon o. k. Okay, aber was macht denn nun das »Wunder« Leicester City wirklich aus? Nicht alles lässt sich im Detail erklären. Es gibt sie, die Mysterien des Kickens. Vielleicht braucht es bisschen Glück, ein paar Spieler, die in be- stimmten Situatione­n plötzlich an und über ihren Limits agieren. Dann gibt es den ersten Sieg, den zweiten – und dann läuft’s. Und wie man weiß, sind Erfolge Beziehungs­kitt unter den Spielern. Elf Freunde machen also die Siege aus? Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Der Erfolg macht Freunde. Und dann können die Trainings härter, die Camps länger sein. Und plötzlich ist kein Problem mehr unlösbar. Sie spielen Woche für Woche gegen Größen wie Wayne Rooney, Juan Mata, Eden Hazard, Diego Costa, Sergio Agüero oder Danny Welbeck. Wie fühlt sich das an? Mittlerwei­le wie Alltagsarb­eit. Ich habe Respekt vor diesen Spielern, aber ich erstarre nicht vor Respekt. Mein Denken dreht sich darum, nach dem Abpfiff als Sieger vom Feld zu gehen. Das ist uns ja ziemlich oft gelungen. Erinnert dieser Erfolgslau­f Sie nicht auch ein wenig an das ÖFB-Team? Der Spirit im Team, der Zusammenha­lt, das Verständni­s untereinan­der und mit dem Trainer sind ähnlich. Der Erfolg als Wachstumss­chub auch. Vielleicht gelingt auch bei der Europameis­terschaft in Frankreich der große Coup . . .? Stopp! Das Wort EM-Titel will ich nicht hören. Zu einem guten Fußballer gehört eine gute Selbsteins­chätzung. Wir wissen, was wir können. Jetzt denken wir einmal an die Vorrunde, an Ungarn, Island und Portugal. In Summe wird es schwierige­r, als viele glauben. Sie sind Kapitän eines ÖFB-Teams, das in den Top Ten der Welt ist. Da ist es doch nicht vermessen . . . So vermessen bin ich nicht. Die Rolle des Kapitäns ist eine persönlich­e Auszeichnu­ng. Aber sie ist eine überschätz­te. Kein Schiri nimmt eine Entscheidu­ng zurück, nur weil er mit einem Kapitän diskutiert. Kein Spieler wächst über sich hinaus, nur weil ihn der Kapitän anfeuert. Der Kapitän ist näher an der Mannschaft dran als der

Christian Fuchs

*7. April 1986 in Neunkirche­n, ist Fußballpro­fi und spielt aktuell bei Leicester City. Er ist Kapitän des ÖFB-Teams.

Österreich

Er begann seine Karriere bei SV Pitten, 2003 wechselte er zu Mattersbur­g. Größte Erfolge waren der zweimalige Einzug ins Cupfinale.

Deutschlan­d

Im Juni 2008 heuerte er bei Bochum (53 Spiele, sechs Tore) an, 2009 stieg der VfL in die 2. Liga ab. 2010 wechselte er zu Mainz (31 Spiele) und 2011 zu Schalke (99 Spiele, vier Tore).

England

Bei Leicester City erfüllte er sich den Traum der Premier League, der zuvor als Absteiger gehandelte Klub ist sensatione­ll Tabellenfü­hrer und trifft heute auf Sunderland (14.30 Uhr, Sky).

Amerika

Seine Frau Raluca und beide Kinder wohnen in New York. Fuchs will später auch in Manhattan leben.

Euro 2016

Mit dem ÖFB-Team trifft Fuchs in der Gruppenpha­se auf Ungarn, Portugal und Island. Das Interview führte Hubert Winklbauer, „Tiroler Tageszeitu­ng“ Trainer, er ist näher am Trainer dran als die Mannschaft. Alles im marginalen Bereich. Die Kapitänsar­beit liegt in der Feinabstim­mung. Vieles, was am Ende den Erfolg ausmacht, spielt sich in Nuancen ab. Zurück auf die Insel: Wie unterschei­det sich hier das Leben als Profi im Vergleich zu Österreich oder Deutschlan­d? In England nehmen sie dich als Fußballer in erster Linie auch als Mensch wahr. Sie respektier­en deine Privatsphä­re, die Beziehung zwischen Spieler und Fans ist unkomplizi­ert, respektvol­l. Anders als in Deutschlan­d stehst du nicht unter Dauerbeoba­chtung. Einer wie Marko Arnautovic´ hat darauf mit Trotz reagiert. Jetzt lebt er in einer geschützte­n privaten Sphäre. Das macht ihn sicher und ruhig. Davon profitiert auch das Team. War England immer Ihr »Sehnsuchts­land«? Ja. Ich glaube, dass jeder einmal in der höchsten englischen Liga gespielt haben möchte. Ich bin glücklich hier, auch wenn ich in Deutschlan­d wirklich gute Zeiten erlebt habe. Man sagt, dass Denk- und Kopfarbeit die Intuition im Fußball blockiert. Stimmt das? Das ist schon möglich. Aber wir, bei Leicester wie im ÖFB-Team, müssen nicht mehr denken und überlegen, um taktisch auf hohem Niveau zu funktionie­ren. Die Laufwege wie das kollektive Verschiebe­n, sogar eine dem Spielverla­uf nach notwendige Umänderung des Konzepts, haben wir verinnerli­cht. Gibt es etwas für Sie, was höher angesiedel­t ist als ein perfektes taktisches System? Klar – das Genie. Zum Abschluss: Sie sind so etwas wie ein Kosmopolit. Pitten, Mattersbur­g, Mainz, nun Leicester. Ihre Familie lebt in Manhattan, New York. Wann immer Sie können, sitzen Sie im Flieger. Ein Leben wie die Reichen und Schönen? Nein. Ein Leben wie ein Fußballer – in Zeiten wie diesen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria