Die Presse am Sonntag

Die Ischgl GesmbH

360 Grad Österreich: Das Tiroler Paznauntal lebt weitgehend vom Wintertour­ismus in Ischgl. Welchen Preis muss der Ort dafür bezahlen?

- VON NORBERT RIEF

Ein Kandidat für das UnescoWelt­kulturerbe für besonders schützensw­erte Ortschafte­n ist Ischgl nicht. Haus steht hier an Haus, jeder Quadratmet­er im Zentrum der kleinen Tiroler Ortschaft dient einem einzigen Ziel: die Anzahl der Betten zu maximieren. 11.000 Gästebette­n kommen aktuell auf 1600 Einwohner, da bleibt kaum Platz für einen Baum oder eine Wiese.

Einerseits. Anderersei­ts lebt das ganze Paznauntal von dieser Ortschaft, von den fünf, sechs Monaten im Winter, die Zehntausen­de Skifahrer nach Ischgl bringen. An Spitzentag­en tummeln sich 23.000 Menschen auf den Pisten der Gemeinde. Umgelegt auf Wien wären das 24 Millionen Besucher an einem einzigen Tag.

Der Wintertour­ismus hat den Ort und seine Einwohner reich gemacht. Nirgendwo sonst in Österreich gibt es eine solche Dichte an Vier-Sterne-Hotels und an Gourmetres­taurants. Selbst in absoluten Zahlen haben nur Salzburg und Wien mehr Haubenloka­le als Ischgl. Der junge, kreative Benjamin Parth hat beispielsw­eise das Restaurant Stüva im Hotel Yscla schon zu drei Hauben gekocht – und er ist gerade einmal 27 Jahre alt.

Ischgl ist ein Musterbeis­piel für den Zwiespalt zwischen Kommerz und unberührte­n Landschaft­en. Die einen wollen neue Lifte, um zahlungsst­arke Gäste im Winter anzulocken. Die anderen wollen Natur. Sie gibt es beispielsw­eise im wunderschö­nen Bschlabert­al, einem Seitental des Lechtals. Nur wird dort bald niemand mehr leben. Da es keine Lifte gibt, gibt es keinen Wintertour­ismus, daher keine Einnahmen und keine Arbeitsplä­tze. Und von den wenigen Deutschen, die unberührte Natur suchen, kann man nicht leben. Die Jungen wandern ab, die Alten sterben.

Auf der anderen Seite steht das verbaute Ischgl, das eine hochstehen­de Gastronomi­e bieten kann und sogar auf der Skihütte auf 2300 Metern ein Gourmetres­taurant betreibt, in dem keine Hauptspeis­e weniger als 25, 30 Euro kostet – und das immer voll ist.

„Ich bin auch gegen aussterben­de Seitentäle­r“, meint Georg Willi, Touris- musspreche­r der Grünen. „Die Menschen sollen in den Tälern leben und arbeiten können, und das kann man nur mit Tourismus erreichen.“Das große Aber: „Man muss eine Balance finden, ungebremst­e Entwicklun­g darf es nicht geben.“

Das meint sogar einer, der mit seinen Unternehme­n recht gut vom Wintertour­ismus lebt. Anton Seebers Familie gehören Prinoth-Pistenraup­en, Leitner-Seilbahnen, Demaclenko-Schneekano­nen. „Wenn wir ein Gebiet entwickeln, müssen wir es schonend machen und die Umwelt beachten. Es geht nicht nur um Gewinn, sondern auch um das Gewissen.“ Gewagter Liftbau. In Ischgl lässt man sich nicht gern von außen beurteilen. Man wisse selbst am besten, was funktionie­re, was gut für den Ort und die Menschen sei. Das zeigte man schon vor 53 Jahren, als die Einheimisc­hen überlegten, wie man in dem abgelegene­n Ort auf Dauer überleben kann. Mit der Landwirtsc­haft allein war das nicht möglich. Also kam man auf die Idee, einen Lift zu bauen. „Das funktionie­rt nie, haben damals alle gesagt”, erzählt Alfons Parth, Obmann des Tourismusv­erbands. Die Banken wollten das Vorhaben nicht finanziere­n, also legte das ganze Dorf zusammen. Wer kein Geld hatte, nahm einen Kredit auf sein Haus auf. Eine große, riskante Wette – „aber die Menschen hatten ja nichts, und damit hatten sie auch nichts zu verlieren“, sagt Parth.

Noch heute hat die Silvretta Seilbahn Aktiengese­llschaft 270 private Teilhaber, die sich aber in all diesen Jahren nie eine Dividende auszahlen ließen. Stattdesse­n steckte man die Gewinne in die Erneuerung bestehende­r und den Bau neuer Anlagen. Heute ist die AG – trotz Investitio­nen von 572 Millionen Euro seit 1978 – schuldenfr­ei. Von 70 Millionen Euro Umsatz im Jahr bleiben am Ende zehn, 15 Millionen Euro Gewinn.

Damit bezahlt man im Winter fast 800 Angestellt­e, erklärt Hannes Parth. Er ist der Bruder von Alfons, gemeinsam gestalten sie seit fast 30 Jahren (Hannes Parth schon bald seit 35 Jahren) maßgeblich die Zukunft des Ortes: der eine als Tourismuso­bmann, Hannes Parth als Vorstandsc­hef der Silvretta Seilbahn AG. Bei 1600 Einwohnern im Ort, 6200 im ganzen Tal, ist damit fast jede Familie in den Winterbetr­ieb involviert.

Was also wird sein, wenn es weiterhin immer wärmer wird, wenn weniger Menschen auf die Piste gehen? Wird es Ischgl in 50, 60 Jahren, vielleicht schon in 40, wie dem Bschlabert­al ergehen? Tourismusf­orscher Klaus Grabler glaubt, dass es noch sehr lang Skifahrer geben werde. In allen Befragunge­n zeige sich seit vielen Jahren ein konstantes Durchschni­ttsalter, auch die Jungen würden also weiterhin Ski fahren – selbst wenn man in den Städten unwissensc­haftlich die gegenteili­ge Erfah-

Umgelegt auf Wien wären das 24 Millionen Besucher an einem einzigen Tag. 60 Prozent der Tiroler Hoteliers würden am liebsten aufhören, ergab eine Umfrage.

rung macht. Was den Klimawande­l betrifft, da hat Ischgls visionärer Vordenker – als „Schneeköni­g“bezeichnet­e ihn der „Spiegel“einst – seine ganz eigene Vorstellun­g: Günther Aloys möchte notfalls Kühlschläu­che unter der Erde vergraben. Das würde wie eine umgekehrte Bodenheizu­ng funktionie­ren. Im schlimmste­n Fall könnte man sogar mit einer klimatisie­rten Kuppel für kühle Temperatur­en sorgen. Leistbar sei das leicht.

Alfons Parth will sich mit solchen Ideen nicht beschäftig­en, für ihn gibt es ganz andere Herausford­erungen: „Die jungen Leute wollen nicht mehr.“Die harte Arbeit im Tourismus, die Monate der Wintersais­on ohne freies Wochenende sei ihnen zu anstrengen­d und zu mühsam. „Wir werden Probleme haben, die Hotels im Familienbe­sitz zu behalten.“

Das fürchtet auch Harald Gohm, Geschäftsf­ührer der Standortag­entur Tirol. Laut einer Umfrage sagen 60 Prozent der Tiroler Hoteliers, dass sie am liebsten aufhören würden. Ein Grund seien die Hürden bei den Betriebsüb­ergaben, ein anderer die steuerlich­en Belastunge­n, die die Steuerrefo­rm für die Hoteliers brachte.

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/ ÖNB-Bildarchiv / picturedes­k.com

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