»Kinder dürfen nicht verheizt werden «
Das Bild der Eltern, die ihre dreijährigen Kinder über die Ziellinie des Juniormarathons in Linz zerren, hat für Diskussionen gesorgt. Wie Kindertraining idealerweise aussehen sollte.
bevor der erste Kilometer erreicht ist. Laufen im Grünen? Danke, nein. Zum Glück lässt sich in Wien ganz herrlich (fast) baumfrei joggen. Die Ringrunde ist zwar nur abends, wenn weniger Autos sind, laufbar – dafür stimmen Distanz und Beleuchtung. Untertags ist der sechzehnte Bezirk zu empfehlen, weil vor dem Wilhelminenberg die Straßen fast gitterförmig angelegt sind – wer sich in der eigenen Stadt gern verläuft, findet hier immer zurück. Noch viel besser ist aber das Ziellaufen. Zumindest für Menschen, die Motivationstiefs haben. Dafür ruft man Freunde an, die in einer ordentlichen Laufdistanz wohnen, und joggt den Weg auf Gehsteigen dorthin. Bei der Ankunft gibt es fix ein Glas Wasser (manchmal auch Kuchen) und ein nettes Gespräch. Zurück geht’s mit der Straßenbahn. Den Vorzügen der Stadt sei Dank. win Wo man läuft, hängt natürlich vom Wohnsitz ab. Im 17. Bezirk hat man es nicht allzu schlecht erwischt. Sehr zu empfehlen ist die Runde entlang der Alszeile, vorbei an Friedhöfen und mit Blick auf den Wiener Sportklub. Natürlich kann man die flache Alszeile bis zu deren Ende in die Dornbacher Straße laufen und dann weiter Richtung Neuwaldegg den Wiener Wald erkunden. Oder aber man biegt am Anfang der Alszeile – beim Imbiss Karin – in den doch recht steilen Grünbeckweg ein, zwischen dem Dornbacher und Hernalser Friedhof. Oben angelangt geht es dann links in die Czartoryskigasse, zum Beispiel bis zum Schafbergbad und wieder zurück. Auf dem Grünbergweg bergab gibt es dann einen schönen Blick auf die Stadt und den Sportklubplatz zur Belohnung – die verlängerte Friedhofstribüne sozusagen. ks Nachdem ich jahrelang bei diversen Hobbyläufen an meinen zu hoch gesteckten Zeitzielen gescheitert bin, hat sich meine Einstellung zum Laufen verändert. Ich genieße lange, langsame Läufe zunehmend. Zwei Dinge gehen bei mir gar nicht: Laufband und Ohrenstöpsel. Ich will raus, bei jedem Wetter – solange nicht Verletzungsgefahr besteht, etwa durch Glatteis. Vogelgezwitscher, untergehende Sonne, doppelte Regenbögen – durch das Laufen wird aus kitschigen Bildern Wirklichkeit. Der wichtigste Tag ist der nach dem Wien-Marathon: Da melde ich mich für den nächsten Lauf an und hantle mich durch das Laufjahr. Ich kenne kein wirksameres Mittel der Motivation, um den Faulpelz in mir dauerhaft zu besiegen. phu Ein Bild des Linzer Juniormarathons hat es bis in die Online-Ausgabe des deutschen „Spiegel“geschafft. Darauf zu sehen sind drei- bis vierjährige Kinder, die sich beim Laufen kaum mehr auf ihren kleinen Beinen halten können und von ihren Eltern an den Armen ins Ziel gezerrt werden. Ein Sinnbild des elterlichen Überehrgeizes. Die Empörung darüber war groß. Das Medienecho auch. Für das nächste Jahr hat man den Kleinkindlauf in Linz bereits gestrichen. Bleibt die Frage, ab welchem Alter sich Kinder in Wettkämpfen messen sollen und ab wann Lauftraining oder gar Leistungssport sinnvoll sind.
Wettläufe im Kleinkindalter, also für Kinder unter sechs Jahren, sind unter Experten umstritten. Laufevents für etwas ältere Nachwuchssportler hingegen gern gesehen. Denn so bringt man Kinder zur Bewegung und Leichtathletikvereine zu ihrem Nachwuchs. Doch Kinderläufe müssen gut gemacht werden und Eltern die richtige Einstellung mitbringen: „Wenn diese Eltern (jene aus Linz, Anm.) nicht schnell dazulernen, dann läuft ihr Kind sein ganzes Leben nicht mehr“, sagt Hubert Millonig, einer der erfolgreichsten heimischen Lauftrainer, der mit Valentin Pfeil Österreichs größte Marathonhoffnung trainiert. Die oberste Prämisse bei kleinen Kindern sei das Durchhalten. „Am besten sollte es gar keine Zeitnehmung geben. Es müssen alle Kinder Sieger sein.“
Im Vordergrund steht in diesem Alter keinesfalls das Training, sondern die Bewegung. Denn die kommt selbst in frühen Kindheitsjahren schon häufig zu kurz. „Kinder werden schon im Kindergarten zum Sitzenbleiben erzogen – gehen im Kindergarten in vielen Fällen bestenfalls in Zweierreihen. Dabei haben sie einen großen Bewegungsdrang, den auch die Eltern fördern sollten“, so Millonig. Monotones Laufen sei dabei aber nicht das Richtige – „nicht kindgemäß“. Im Spielalter müsse Bewegung eben spielerisch stattfinden – beim Fangenspielen, beim Ballspielen oder bei der Schnitzeljagd. „Wenn jemand sein Kind zum Joggen mitnehmen will, dann kann er das schon machen. Aber seien wir ehrlich: 90 Prozent der Eltern laufen ja sowieso nicht“, sagt Millonig.
Eine Laufrunde mit Kind müsse kurz sein. Die Gehpausen bestimmt der Nachwuchs. Eltern können dabei nur für Ansporn sorgen und etwa bis zum nächsten Baum ein kleines Wettrennen machen. „Die Kinder sollte man gewinnen lassen – meistens, aber nicht immer. Sie müssen auch verlieren lernen“, sagt Günther Weidlinger, der bis zu seinem Karriereende vor zwei Jahren als Österreichs Langstrecken-Aushängeschild galt und jetzt Laufnationaltrainer ist. Training ist Lebensschule. Ein geregeltes Lauftraining im Sportverein hat erst ab einem Alter von sechs, sieben Jahren Sinn. Mit einem Training für Erwachsene hat das freilich aber immer noch wenig zu tun. Auch im Volksschulalter geht es noch um spielerisches Training. Es ist das Alter, in dem Kinder ihre koordinativen Fähigkeiten entwickeln, Bewegungsmuster und Taktiken lernen. Vielseitigkeit ist dabei enorm wichtig. „Ausdauer kann ich später immer noch aufbauen“, sagt Weidlinger.
Deshalb müsse mit (intensivem) Lauftraining auch nicht in frühen Kindheitstagen begonnen werden. Ganz im Gegenteil zu anderen Sportarten. Beim Skifahren, Fußball- oder Tennisspielen kann der frühe Start sehr wohl entscheidend für eine spätere Karriere als Profisportler sein. „Je technischer eine Sportart ist, desto früher muss man mit intensivem Training beginnen“, sagt Weidlinger. „Der Laufsport – und vor allem die Mittel- und Langstrecke – ist technisch aber relativ einfach.“
Er selbst hat an seinem ersten Laufwettbewerb dennoch relativ früh teilgenommen. Schon mit zehn Jahren. „Ich wollte unbedingt Wettkämpfe machen“, sagt Weidlinger. Er rät, Kinder niemals zu Wettkämpfen zu drängen, aber sie zu unterstützen, wenn sie sich mit anderen messen wollen. In diesen Fällen sollte man sie dann nicht nur „fördern, sondern auch fordern“. Denn natürlich hätten Kinder Phasen, in denen sie keine Lust haben zu trainieren. Da dürfen Eltern schon Druck machen. „Wenn das Kind den Sport grundsätzlich gern macht, dann darf man als Elternteil bei einem Durchhänger schon einmal fragend darauf hinweisen, ob es das alles wirklich aufgeben will“, sagt Weidlinger, der selbst von seinem Vater trainiert wurde. Sport sei für Kinder und Jugendliche auch „eine Lebensschule“.
Die kann vor allem beim Einstieg in den Leistungssport schwere Prüfungen parat halten. Schon im Alter von 14, 15 Jahren wird fünfmal pro Woche trainiert. „Das ist kein Honiglecken. Beim Training für die Mittel- und Langstrecken braucht man schon eine gewisse Leidensfähigkeit, eine Affinität zum Schmerz“, sagt Millonig.
Je technischer eine Sportart ist, desto früher muss man mit intensivem Training beginnen.
Olympische Jugendspiele: Katastrophe. Dabei brauche es auch großes Geschick des Trainers. Denn gerade die Dosierung des Trainings sei in diesem Alter wichtig. „Manche trainieren in der Jugend sicherlich zu hart. Sie werden verheizt“, sagt Millonig. Weidlinger sieht das ähnlich: „Ich halte die Olympischen Jugendspiele für eine mittlere Katastrophe. Das verleitet vor allem Trainer und Väter dazu, die Jugendlichen zu überfordern. Sie sind dann oft schon in jungen Jahren ausgebrannt.“
Es sei kein Zufall, dass sich die Olympia-Sieger der Jugendklasse später nur selten an der Spitze der allgemeinen Klasse wiederfinden. „Wenn ich als Jugendlicher alles ausschöpfe, dann werde ich bald am Plafond anstoßen“, sagt Weidlinger. Denn nur, wer nach und nach intensiver und mehr trainiert, der könne im Training die richtigen Reize setzen und die Leistung steigern. Diese Möglichkeit hätten Athleten, die in der Jugend zu viel und zu hart trainiert haben, nicht mehr. „Und vielleicht sind sie nach 20 Pokalen auch einfach satt geworden“, sagt Millonig.