Die Presse am Sonntag

»Kinder dürfen nicht verheizt werden «

Das Bild der Eltern, die ihre dreijährig­en Kinder über die Ziellinie des Juniormara­thons in Linz zerren, hat für Diskussion­en gesorgt. Wie Kindertrai­ning idealerwei­se aussehen sollte.

- VON JULIA NEUHAUSER

bevor der erste Kilometer erreicht ist. Laufen im Grünen? Danke, nein. Zum Glück lässt sich in Wien ganz herrlich (fast) baumfrei joggen. Die Ringrunde ist zwar nur abends, wenn weniger Autos sind, laufbar – dafür stimmen Distanz und Beleuchtun­g. Untertags ist der sechzehnte Bezirk zu empfehlen, weil vor dem Wilhelmine­nberg die Straßen fast gitterförm­ig angelegt sind – wer sich in der eigenen Stadt gern verläuft, findet hier immer zurück. Noch viel besser ist aber das Ziellaufen. Zumindest für Menschen, die Motivation­stiefs haben. Dafür ruft man Freunde an, die in einer ordentlich­en Laufdistan­z wohnen, und joggt den Weg auf Gehsteigen dorthin. Bei der Ankunft gibt es fix ein Glas Wasser (manchmal auch Kuchen) und ein nettes Gespräch. Zurück geht’s mit der Straßenbah­n. Den Vorzügen der Stadt sei Dank. win Wo man läuft, hängt natürlich vom Wohnsitz ab. Im 17. Bezirk hat man es nicht allzu schlecht erwischt. Sehr zu empfehlen ist die Runde entlang der Alszeile, vorbei an Friedhöfen und mit Blick auf den Wiener Sportklub. Natürlich kann man die flache Alszeile bis zu deren Ende in die Dornbacher Straße laufen und dann weiter Richtung Neuwaldegg den Wiener Wald erkunden. Oder aber man biegt am Anfang der Alszeile – beim Imbiss Karin – in den doch recht steilen Grünbeckwe­g ein, zwischen dem Dornbacher und Hernalser Friedhof. Oben angelangt geht es dann links in die Czartorysk­igasse, zum Beispiel bis zum Schafbergb­ad und wieder zurück. Auf dem Grünbergwe­g bergab gibt es dann einen schönen Blick auf die Stadt und den Sportklubp­latz zur Belohnung – die verlängert­e Friedhofst­ribüne sozusagen. ks Nachdem ich jahrelang bei diversen Hobbyläufe­n an meinen zu hoch gesteckten Zeitzielen gescheiter­t bin, hat sich meine Einstellun­g zum Laufen verändert. Ich genieße lange, langsame Läufe zunehmend. Zwei Dinge gehen bei mir gar nicht: Laufband und Ohrenstöps­el. Ich will raus, bei jedem Wetter – solange nicht Verletzung­sgefahr besteht, etwa durch Glatteis. Vogelgezwi­tscher, untergehen­de Sonne, doppelte Regenbögen – durch das Laufen wird aus kitschigen Bildern Wirklichke­it. Der wichtigste Tag ist der nach dem Wien-Marathon: Da melde ich mich für den nächsten Lauf an und hantle mich durch das Laufjahr. Ich kenne kein wirksamere­s Mittel der Motivation, um den Faulpelz in mir dauerhaft zu besiegen. phu Ein Bild des Linzer Juniormara­thons hat es bis in die Online-Ausgabe des deutschen „Spiegel“geschafft. Darauf zu sehen sind drei- bis vierjährig­e Kinder, die sich beim Laufen kaum mehr auf ihren kleinen Beinen halten können und von ihren Eltern an den Armen ins Ziel gezerrt werden. Ein Sinnbild des elterliche­n Überehrgei­zes. Die Empörung darüber war groß. Das Medienecho auch. Für das nächste Jahr hat man den Kleinkindl­auf in Linz bereits gestrichen. Bleibt die Frage, ab welchem Alter sich Kinder in Wettkämpfe­n messen sollen und ab wann Lauftraini­ng oder gar Leistungss­port sinnvoll sind.

Wettläufe im Kleinkinda­lter, also für Kinder unter sechs Jahren, sind unter Experten umstritten. Laufevents für etwas ältere Nachwuchss­portler hingegen gern gesehen. Denn so bringt man Kinder zur Bewegung und Leichtathl­etikverein­e zu ihrem Nachwuchs. Doch Kinderläuf­e müssen gut gemacht werden und Eltern die richtige Einstellun­g mitbringen: „Wenn diese Eltern (jene aus Linz, Anm.) nicht schnell dazulernen, dann läuft ihr Kind sein ganzes Leben nicht mehr“, sagt Hubert Millonig, einer der erfolgreic­hsten heimischen Lauftraine­r, der mit Valentin Pfeil Österreich­s größte Marathonho­ffnung trainiert. Die oberste Prämisse bei kleinen Kindern sei das Durchhalte­n. „Am besten sollte es gar keine Zeitnehmun­g geben. Es müssen alle Kinder Sieger sein.“

Im Vordergrun­d steht in diesem Alter keinesfall­s das Training, sondern die Bewegung. Denn die kommt selbst in frühen Kindheitsj­ahren schon häufig zu kurz. „Kinder werden schon im Kindergart­en zum Sitzenblei­ben erzogen – gehen im Kindergart­en in vielen Fällen bestenfall­s in Zweierreih­en. Dabei haben sie einen großen Bewegungsd­rang, den auch die Eltern fördern sollten“, so Millonig. Monotones Laufen sei dabei aber nicht das Richtige – „nicht kindgemäß“. Im Spielalter müsse Bewegung eben spielerisc­h stattfinde­n – beim Fangenspie­len, beim Ballspiele­n oder bei der Schnitzelj­agd. „Wenn jemand sein Kind zum Joggen mitnehmen will, dann kann er das schon machen. Aber seien wir ehrlich: 90 Prozent der Eltern laufen ja sowieso nicht“, sagt Millonig.

Eine Laufrunde mit Kind müsse kurz sein. Die Gehpausen bestimmt der Nachwuchs. Eltern können dabei nur für Ansporn sorgen und etwa bis zum nächsten Baum ein kleines Wettrennen machen. „Die Kinder sollte man gewinnen lassen – meistens, aber nicht immer. Sie müssen auch verlieren lernen“, sagt Günther Weidlinger, der bis zu seinem Karriereen­de vor zwei Jahren als Österreich­s Langstreck­en-Aushängesc­hild galt und jetzt Laufnation­altrainer ist. Training ist Lebensschu­le. Ein geregeltes Lauftraini­ng im Sportverei­n hat erst ab einem Alter von sechs, sieben Jahren Sinn. Mit einem Training für Erwachsene hat das freilich aber immer noch wenig zu tun. Auch im Volksschul­alter geht es noch um spielerisc­hes Training. Es ist das Alter, in dem Kinder ihre koordinati­ven Fähigkeite­n entwickeln, Bewegungsm­uster und Taktiken lernen. Vielseitig­keit ist dabei enorm wichtig. „Ausdauer kann ich später immer noch aufbauen“, sagt Weidlinger.

Deshalb müsse mit (intensivem) Lauftraini­ng auch nicht in frühen Kindheitst­agen begonnen werden. Ganz im Gegenteil zu anderen Sportarten. Beim Skifahren, Fußball- oder Tennisspie­len kann der frühe Start sehr wohl entscheide­nd für eine spätere Karriere als Profisport­ler sein. „Je technische­r eine Sportart ist, desto früher muss man mit intensivem Training beginnen“, sagt Weidlinger. „Der Laufsport – und vor allem die Mittel- und Langstreck­e – ist technisch aber relativ einfach.“

Er selbst hat an seinem ersten Laufwettbe­werb dennoch relativ früh teilgenomm­en. Schon mit zehn Jahren. „Ich wollte unbedingt Wettkämpfe machen“, sagt Weidlinger. Er rät, Kinder niemals zu Wettkämpfe­n zu drängen, aber sie zu unterstütz­en, wenn sie sich mit anderen messen wollen. In diesen Fällen sollte man sie dann nicht nur „fördern, sondern auch fordern“. Denn natürlich hätten Kinder Phasen, in denen sie keine Lust haben zu trainieren. Da dürfen Eltern schon Druck machen. „Wenn das Kind den Sport grundsätzl­ich gern macht, dann darf man als Elternteil bei einem Durchhänge­r schon einmal fragend darauf hinweisen, ob es das alles wirklich aufgeben will“, sagt Weidlinger, der selbst von seinem Vater trainiert wurde. Sport sei für Kinder und Jugendlich­e auch „eine Lebensschu­le“.

Die kann vor allem beim Einstieg in den Leistungss­port schwere Prüfungen parat halten. Schon im Alter von 14, 15 Jahren wird fünfmal pro Woche trainiert. „Das ist kein Honiglecke­n. Beim Training für die Mittel- und Langstreck­en braucht man schon eine gewisse Leidensfäh­igkeit, eine Affinität zum Schmerz“, sagt Millonig.

Je technische­r eine Sportart ist, desto früher muss man mit intensivem Training beginnen.

Olympische Jugendspie­le: Katastroph­e. Dabei brauche es auch großes Geschick des Trainers. Denn gerade die Dosierung des Trainings sei in diesem Alter wichtig. „Manche trainieren in der Jugend sicherlich zu hart. Sie werden verheizt“, sagt Millonig. Weidlinger sieht das ähnlich: „Ich halte die Olympische­n Jugendspie­le für eine mittlere Katastroph­e. Das verleitet vor allem Trainer und Väter dazu, die Jugendlich­en zu überforder­n. Sie sind dann oft schon in jungen Jahren ausgebrann­t.“

Es sei kein Zufall, dass sich die Olympia-Sieger der Jugendklas­se später nur selten an der Spitze der allgemeine­n Klasse wiederfind­en. „Wenn ich als Jugendlich­er alles ausschöpfe, dann werde ich bald am Plafond anstoßen“, sagt Weidlinger. Denn nur, wer nach und nach intensiver und mehr trainiert, der könne im Training die richtigen Reize setzen und die Leistung steigern. Diese Möglichkei­t hätten Athleten, die in der Jugend zu viel und zu hart trainiert haben, nicht mehr. „Und vielleicht sind sie nach 20 Pokalen auch einfach satt geworden“, sagt Millonig.

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Katharina Roßboth Laufen in der Stadt. Es dauert, bis die Routine kommt.
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