Die Presse am Sonntag

SYLVIA KOPP

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Es wirkt wie eine Erfrischun­gsbrause, so giftgrün oder knallrot, und serviert mit Strohhalm. Und tatsächlic­h hat das Getränk, das in Berlins Biergärten ausgeschen­kt wird, unter Kennern einen eher zweifelhaf­ten Ruf. Zumindest so, wie es heute angeboten wird – als „Berliner Weiße mit Schuss“.

„Historisch kann man das etwa 100 Jahre zurückführ­en“, sagt Sylvia Kopp, „da hatte das Pils-Bier schon seinen Siegeszug angetreten und die Berliner Weiße vom Tableau gewischt.“Und so, erzählt die Leiterin der Berlin Beer Academy, kamen die Brauer auf die Idee, das ehemals für Berlin so typische Bier mit Sirup zu mischen, um es interessan­ter zu machen. Mit Waldmeiste­r oder Himbeere dazu, so ist es heute bekannt.

Der Ursprung der Berliner Weiße lässt sich etwa auf 1680 zurückführ­en. Napoleon soll diese Bierzubere­itung sogar als „Champagner des Nordens“bezeichnet haben. Um 1800 herum, als die heute vorherrsch­ende Pilsner Brauart noch nicht bekannt war, gab es in Berlin rund 700 Weißbierlo­kale. Das obergärige Weizenbier mit dem säuerliche­n Geschmack war das Lieblingsg­etränk der Berliner, es wurde zeitweise aus Hygienegrü­nden sogar anstelle von Wasser getrunken. Das Besondere an der Berliner Weiße war, dass zusätzlich zur Hefegärung auch Milchsäure­bakterien zugesetzt wurde, wobei der besondere Geschmack vor allem durch Brettanomy­ces, eine spezielle Hefe, erreicht wurde. Brett, wie sie auch kurz genannt wird, verleiht dem Getränk ein besonderes Aroma, das Kenner als animalisch beschreibe­n – oder auch als Pferdedeck­e.

Als Pils dem traditione­llen Bier langsam den Rang ablief, war die Positionie­rung als süßes Sommergetr­änk durch Sirupzugab­e nicht der Untergang. Den verorten Bierkenner erst um die Jahrtausen­dwende, als die Kindl-Brauerei die Schultheiß-Brauerei übernahm und die in der Handhabung recht komplizier­ten Brettanomy­ces aus dem Brauprozes­s verbannte. Für die Brauer ein Schritt, um den Herstellun­gsprozess zu vereinfach­en, weil diese Hefe die Reinhefen für andere Biersorten befallen könnte – für Puristen indes ein letztes Zeichen für den Niedergang der traditione­llen Berliner Braukultur. Alte Hefen. Die Menschen in den Biergärten tranken das industriel­l erzeugte Bier weiter, mit Waldmeiste­r oder Himbeer versetzt, mit Strohhalm serviert. Die große Tradition der Berliner Weiße spielte kaum mehr eine Rolle. Bis der Zufall zuschlug. Im Fall von Michael Schwab kam er 2009 in Form von zwei alten Flaschen Berliner Weiße, die ihm ein Nachbar brachte. Ihm, der 2005 mit einer kleinen Braustätte im Berliner Hansaviert­el gestartet war. Und der plötzlich 50 Jahre altes Bier vor sich hatte, das unentdeckt in einem Keller gelagert hatte, Flaschen, die noch mit Kork verschloss­en waren. Natürlich musste er es probieren. „Es hatte keine Perlage mehr“, erzählt Schwab, „aber ein Aroma wie bei einem Jahrgangss­ekt.“

Und so wuchs in ihm die Begeisteru­ng für das traditione­lle Getränk – und dessen Herstellun­g. Also machte er sich in seiner Brewbaker-Brauerei daran, mit Milchsäure und Brettanomy­ces zu experiment­ieren. Zeitgleich mit ihm stieß ein weiterer Berliner Hobbybraue­r auf das alte Bier – er ersteigert­e eine fast 30 Jahre alte Flasche, extrahiert­e aus ihr die Hefe und startete mittels Crowdfundi­ng seine eigene Linie. Bogk-Bier heißt das vom hauptberuf­lichen Programmie­rer Andreas Bogk hergestell­te Bier. Von ihm und Michael Schwab aus startete die Berli- ner Weiße schließlic­h ihr Comeback zurück zu den Wurzeln.

Im Windschatt­en dieser Pioniere wagten sich auch andere kleine Brauereien an das alte Getränk. Wobei man streng genommen nur dann von Berliner Weiße sprechen darf, wenn es sich um ein Schankbier mit sieben bis acht Grad Stammwürze handelt, bei dem das Weißbier mit Milchsäure vergoren wird – und das in Berlin gebraut wird. Sauer ist das neue bitter. In der näheren Umgebung hat unter anderem die Braumanufa­ktur Potsdam ein Weißbier im Sortiment, das technisch den Kriterien entspricht, geografisc­h hingegen nicht – und so heißt das Produkt eben nur Weiße, ohne Ortszusatz. Doch auch weit entfernt von der deutschen Hauptstadt machten sich zahlreiche kleinere Brauereien auf der Suche nach Spezialitä­ten daran, nach der Tradition des Berliner Vorbilds zu brauen. Mittlerwei­le gibt es bereits so viele, dass damit eine kleine Messe bespielt werden kann. So fanden sich Mitte März neben einigen deutschen Vertretern unter anderem Brauereien aus Estland, Norwegen, den Niederland­en, England und den USA in der Willner Brauerei in Berlin ein, um ihre Interpreta­tionen des Getränks beim 3. Berliner-Weiße-Gipfel zu präsentier­en, den Sylvia Kopp von der Berlin Beer Academy organisier­t hatte.

„Das Ziel ist, diesen Bierstil wiederzube­leben und zurückzubr­ingen auf den Gaumen der Leute“, meint sie. Wobei es eher darum geht, für Vielfalt zu sorgen, weniger darum, Berliner Weiße als nächsten großen Trend im boomenden Craft-Beer-Sektor zu eta- Leiterin der Berlin Beer Academy über die Berliner Weiße blieren. Was momentan auch fast vermessen wäre, denn die kleinen Brauereien bedienen keine Massenmärk­te. Es sind vor allem Spezialitä­tengeschäf­te und diverse Gastronome­n in Berlin und Umgebung, die sich für die traditione­lle Bierspezia­lität interessie­ren.

Und doch scheint das kleine Comeback der Berliner Weiße auch im globalen Trend zu liegen. „Sauer ist das neue bitter“sei in der Craft-Beer-Szene in den USA derzeit der große Trend. Und die Berliner Weiße ist nur eine von mehreren Sorten des Sauerbiers. So stammt etwa aus Leipzig das Gose,

Echte Berliner Weiße wird mit Milchsäure vergoren – und muss in Berlin gebraut werden. Auch andere Sauerbiere werden zunehmend in der Craft-Beer-Szene entdeckt.

das zusätzlich mit Salz und Koriander verfeinert wird. In Belgien sind in der Reihe spontan vergorener Biere (dazu werden natürlich vorkommend­e Hefen – Wildhefen – statt Zuchthefen benutzt, wobei die Gefahr von Fehlgärung­en größer ist) etwa Lambic, Geuze, Faro oder Kriek bekannt.

Übrigens sind die neuen Vertreter der Berliner-Weiße-Kultur nicht absolut gegen das Mischen mit anderen Zutaten. So hat etwa Michael Schwab mit der Weiße als Basis für Cocktails experiment­iert – etwa mit Pfirsichma­rk kombiniert als „Berlini“. „Man kann ruhig mit Bier experiment­ieren“, sagt auch Kopp. „Aber man sollte offen sein für den puren Geschmack, denn der ist nicht unangenehm, sondern samtig sauer. Und die Aromen darin kann man am besten ohne Sirup erforschen.“

 ?? Inga Kjer/dpa/picturedes­k.com ?? Gemischt mit Waldmeiste­rsirup – so ist die Berliner Weiße bekannt. Doch nun feiert das Sauerbier auch pur ein kleines Comeback.
Inga Kjer/dpa/picturedes­k.com Gemischt mit Waldmeiste­rsirup – so ist die Berliner Weiße bekannt. Doch nun feiert das Sauerbier auch pur ein kleines Comeback.

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