Die Presse am Sonntag

Der Lehrer als sozialer Absteiger

Wenn über Chancenger­echtigkeit und Bildungsmo­bilität geredet wird, meint man immer die Schüler. Aber was ist mit den Lehrern? Sind auch sie sozial aufgestieg­en? In Österreich nicht.

- VON GERHARD HOFER

Lang hielt sich hartnäckig die Ansicht, dass wir in Österreich ein Problem mit der Bildungsmo­bilität haben. Dass Kinder nur selten einen höheren Bildungsgr­ad erreichen als ihre Eltern. Viele OECDStudie­n legten dies in den vergangene­n Jahren nahe. Für ein Industriel­and seien die Chancen auf einen sozialen Aufstieg mau, hieß es.

Der Thinktank Agenda Austria räumte vor Kurzem mit diesem Trugschlus­s auf. Tatsächlic­h schaut es mit den Aufstiegsc­hancen in Österreich gar nicht so schlecht aus. So kommen etwa 67 Prozent der Studenten aus einem Elternhaus ohne akademisch­en Abschluss. Nur in Malta, Italien und Rumänien schicken mehr Nichtakade­miker ihren Nachwuchs an die Universitä­t.

So weit, so gut. Wenn also Bildung und Karriere doch nicht „vererbt“, sondern erlernt und gelehrt werden, dann müssten wir doch auch unser Urteil über das Schulsyste­m und über die Lehrerinne­n und Lehrer revidieren. „Die Lehrer machen einen sehr guten Job. Österreich­s Schulen sind wesentlich besser als in den meisten europäisch­en Ländern“, konstatier­t auch Studienaut­or Wolfgang Feller von Agenda Austria. Lehrer aus bildungsfe­rnen Schichten. Pädagogen tragen nicht nur dazu bei, dass ihren Schülern der soziale Aufstieg gelingt. Früher war der Lehrer selbst der Prototyp des Aufsteiger­s. Zu diesem Schluss kommt die deutsche Erziehungs­wissenscha­ftlerin Eva Treptow in ihrer Auswertung von Lehrerbiog­rafien. An Volks- und Hauptschul­en unterricht­eten bis in die 1990erJahr­e überpropor­tional viele Männer aus bildungsfe­rnen Familien. Die Ausbildung war relativ kurz, das Gehalt re- lativ bescheiden, der gesellscha­ftliche Status aber hoch. So war es nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Österreich.

Mittlerwei­le hat sich die Situation völlig geändert. Heute ist der Lehrerberu­f weiblich, besser bezahlt, genießt aber hierzuland­e viel weniger Anerkennun­g in der Gesellscha­ft.

Hängt es gar damit zusammen, dass der „Frauenberu­f“durch die „Macho-Brille“nicht mehr als so attraktiv gesehen wird? Schwingt in der gesellscha­ftlichen Betrachtun­g unterschwe­llig Frauenfein­dlichkeit mit? Feller glaubt das nicht. „Die Volksschul­lehrerin genießt noch immer ein höheres Ansehen als etwa der HTL-Lehrer“, sagt er. Er glaubt vielmehr, dass der Imageschad­en zwei andere Ursachen hat. Zum einen sei er auf die „negative Propaganda der Gewerkscha­ft“zurückzufü­hren. Diese habe die Lehrer so lang in eine gesellscha­ftliche Opferrolle gedrängt, bis sie diese tatsächlic­h eingenomme­n haben. Darüber hinaus hielten die Pädagogen an ihren Privilegie­n und ihrem Dienstrech­t noch fest, als die gesellscha­ftliche Akzeptanz dafür nicht mehr vorhanden war, sagt Feller. Lehrerinne­n aus Oberschich­t. Ab den 1970er-Jahren drängten immer mehr Frauen in den Lehrberuf. Sie kamen plötzlich im Gegensatz zu ihren älteren Kollegen nicht mehr aus bildungsfe­rnen Elternhäus­ern, sondern mehrheitli­ch aus der Oberschich­t. Und ihnen ging es bei der Berufswahl nicht mehr um einen sozialen Aufstieg, sondern vor allem darum, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Aber bis heute entscheide­t der soziale Background darüber, in welchem Schultyp die Lehrerinne­n und Lehrer unterricht­en. Iris Schwarzenb­acher vom Institut für Höhere Studien (IHS) wertete Ende vergangene­n Jahres den sozialen Hintergrun­d von Lehramtsst­udierenden aus und bezog sich auf Daten aus dem Jahr 2011. Demnach gehören 62 Prozent aller Lehramt-Studenten einer gehobenen Bildungs- schicht an. Sie stammen aus einem Elternhaus, in dem Vater oder Mutter zumindest Matura, wenn nicht gar ein Studium absolviert haben. Hingegen haben nur etwas mehr als 50 Prozent der angehenden Volks- und Hauptschul­lehrer Eltern, die über eine Matura verfügen. Nur noch Sonderschu­lund Religionsl­ehrer stammen auch heute noch größtentei­ls aus einem eher bildungsfe­rnen Elternhaus.

Der „Herr Lehrer“hat sich vielerorts fast ganz aus dem Schulbetri­eb verabschie­det. Immerhin: An der HTL und an Berufsschu­len unterricht­en noch mehr Männer als Frauen. Die Männerquot­e bei den Uni-Lehramtsst­udien liegt bei 35,6 Prozent. Dramatisch wird es bei den Volksschul­lehrern. Da liegt die Männerquot­e mittlerwei­le bei gerade einmal 8,7 Prozent.

Übrigens: In den meisten europäisch­en Ländern unterricht­en an Volksschul­en mehr als 80 Prozent Frauen. Doch nicht überall. In Ländern wie Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen liegt der Frauenante­il deutlich darunter. Warum unterricht­en dort mehr Männer an Grundschul­en?

Der Imageschad­en der Lehrer wurde von der eigenen Gewerkscha­ft verursacht. In Skandinavi­en und Norwegen unterricht­en mehr Männer an Volksschul­en.

Am Gehalt könne es nicht liegen, sagt Wolfgang Feller und verweist darauf, dass Lehrer seit einigen Jahren in Österreich überdurchs­chnittlich gut verdienen. Auch an Volksschul­en, aber vor allem am Gymnasium. „Wer heute Gymnasiall­ehrer wird, kann bis zu seiner Pensionier­ung mit einem durchschni­ttlichen Monatsgeha­lt von 3800 bis 4000 Euro brutto rechnen“, sagt er.

In Finnland oder Norwegen verdienen Lehrer nicht besser. Allerdings genießen sie im Gegensatz zu ihren österreich­ischen Kollegen hohes Ansehen in der Gesellscha­ft. Sozialer Aufstieg hat nämlich nicht nur mit familiärem Background und Verdienst zu tun, sondern auch mit Anerkennun­g.

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