Aufstieg und Fall des Hauses Schlecker
Einst war Anton Schlecker Milliardär, unter anderem, weil er seine Mitarbeiter ausnutzte. Ob er rund um die Insolvenz der Drogeriekette auch Geld abgezweigt hat, soll nun ein Gerichtsverfahren klären.
Sympathie ist nicht die wichtigste Eigenschaft, die man mitbringen muss, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das wusste auch Anton Schlecker. Es dürfte ihn nie allzu sehr gestört haben, dass er in Medien als „Deutschlands meistgehasster Unternehmer“bezeichnet wurde. Für ihn zählten andere Werte – und er war damit auch lang, bis zur Pleite des Unternehmens Anfang 2012, erfolgreich. 50.000 Mitarbeiter hatte die nach ihm benannte Drogeriekette zu ihren besten Zeiten, an die 14.000 Filialen gehörten ihm. Das Familienvermögen soll am Höhepunkt 1,65 Milliarden Euro betragen haben.
Von derartigen Summen kann längst keine Rede mehr sein. Im Rahmen der drohenden Insolvenz, so glaubt die Staatsanwaltschaft Stuttgart, habe der ehemalige Milliardär noch erhebliche Vermögenswerte beiseitegeschafft und damit dem Zugriff der Gläubiger entzogen. Nach vier Jahren Ermittlungen wurde nun Anklage erhoben. Konkret geht es um das Delikt des vorsätzlichen Bankrotts nach dem § 283 des deutschen Strafgesetzbuchs, das mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Insgesamt soll es laut der Anklage 36 Fälle geben, 13 davon sogar wegen besonders schweren Bankrotts – hier liegt das Strafmaß sogar bei zehn Jahren. Der billigste Anbieter. Die Anklage ist der vorläufige Tiefpunkt in der Geschichte von Anton Schleckers Karriere. Sie hatte einst so Erfolg versprechend begonnen: Als er mit 21 Jahren seine Ausbildung beendete, galt er als jüngster Metzgermeister Baden-Württembergs – der elterliche Betrieb, der aus 17 Metzgereien und einer Fleischfabrik bestand, war ihm aber bald nicht genug. Er eröffnete einen Supermarkt – und 1975 legte er schließlich die Grundlage für sein Imperium: Er eröffnete in Kirchheim unter Teck, etwa 25 Kilometer von Stuttgart entfernt, seinen ersten Drogeriemarkt.
Sein Rezept für den Erfolg war ein simples: „Wir wollen der billigste Anbieter sein“, wie er in einem Interview sagte. Das erreichte er damit, dass sei- ne Filialen eben nur das Nötigste an Komfort boten – Waren lieblos auf Regale geschlichtet, dazu ein schlichtes, man könnte auch sagen, billiges Design, mehr nicht. Man muss, so die dahinter stehende Idee, die Kosten so gering wie möglich halten.
Er schien mit dem Konzept auch erfolgreich zu sein – schon nach zwei Jahren hatte er an die 100 Filialen aufgebaut. Das alles natürlich mit möglichst geringen Aufwand. Was so weit ging, dass seine Filialen bis in die 1990er-Jahre nicht einmal Telefonanschlüsse hatten. Doch das Spartanische galt nicht nur für Einrichtung und Infrastruktur, sondern auch beim Personal war sein Ziel, die Kosten möglichst gering zu halten. Überstunden seiner Mitarbeiter wurden nicht honoriert. Bei Krankheit wurde auch schon der Lohn gestrichen. Selbst Filialleiter verdienten nicht mehr als einfache Verkäufer.
Die Schlecker-Filialen funktionierten nach einem ähnlichen Prinzip, so wie das auch bei anderen Diskontern der Fall ist. Inklusive Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften, die von den Vorgängen in den Filialen naturgemäß nicht begeistert waren. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warf Schlecker sogar vor, dass es Abschusslisten für unliebsame Mitarbeiter gab. Dazu herrschte ein Verhältnis des Misstrauens. Mitarbeiter wurden laufend kontrolliert, ihre Spinde und Taschen wurden durchsucht, sogar in ihre privaten Autos schaute man, ob nicht jemand etwas aus einer Filiale hatte mitgehen lassen. Ein konkreter Verdacht war dazu nicht nötig.
Schleckers Umgang mit seinen Mitarbeitern brachte ihn schließlich auch vor Gericht – 1998 wurden er und seine Frau, Christa, wegen Betrugs zu je zehn Monaten Haft auf Bewährung und zur Zahlung von zwei Millionen Mark (einer Million Euro) verurteilt. Die beiden, so entschied das Amtsgericht Stuttgart, hatten bis 1995 Hunderten Verkäufern in ihren Arbeitsverträgen vorgegaukelt, dass sie nach Tarif entlohnt würden, tatsächlich bekamen sie aber weniger. Eine Entschuldigung dafür gab es nie.
Ein beliebter Arbeitgeber war Anton Schlecker jedenfalls nicht. Seine Mitarbeiter bekamen ihn in der Regel nicht zu Gesicht, wenn man von den Fotos in den Filialen absieht. Selbst über die Insolvenz erfuhren sie im Jänner 2012 nicht vom Chef selbst oder von der Geschäftsführung, sondern über die Medien. Die ohnehin nicht hohen Sympathiewerte sollten dadurch noch weiter sinken. „Es ist nichts mehr da.“Es war schließlich seine Tochter, Meike, die im Namen der Familie vor die Presse trat und verkündete: „Es ist nichts mehr da.“Alles weg, das einstige Imperium, aber auch das Privatvermögen. Mitleid durfte die Familie aber nicht erwarten. Dieses galt eher den Mitarbeitern, die ihre Jobs verloren. Ob die Aussage, dass nichts mehr da war, tatsächlich stimmte, muss nun vor Gericht geklärt werden. In 36 Fällen, so die Anklage, soll Schlecker trotz bevorstehender Insolvenz noch Finanzmittel aus dem Unternehmen genommen haben. Und nicht nur diese – der ehemalige Firmenchef soll auch im Zusammenhang mit der Insolvenz falsche Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen gemacht haben. Auch Schleckers Ehefrau ist angeklagt, ihr wird Beihilfe zum vorsätzlichen Bankrott vorgeworfen.
Auch gegen die Kinder, Meike und Lars Schlecker, gibt es Vorwürfe. Sie betrieben Firmen, mit denen das Vermögen zur Seite geschafft worden sein soll, etwa eine Logistikfirma, die der Drogeriekette als einzigem Kunden weit überhöhte Preise verrechnet haben soll. Trotz Überschuldung sollen sie sich auch noch eine Gewinnausschüttung von mehreren Millionen Euro genehmigt haben. Der Mutter wiederum soll Geld als Honorar für Beratungen ausgezahlt worden sein.
Abseits all dieser Vorwürfe, die nun vor Gericht verhandelt werden, hatte
Anton Schlecker
(geb. 1944) gründete 1975 die nach ihm benannte Drogeriekette, die zu ihren besten Zeiten 50.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von sieben Mrd. Euro hatte.
Erfolg
hatte er vor allem, weil er seine Kosten extrem niedrig hielt – dies ging auch zulasten der Mitarbeiter, die zum Teil gesetzeswidrig ausgenutzt wurden. 1998 wurde er dafür sogar verurteilt.
Die Insolvenz
im Jahr 2012 hatte sich bereits abgezeichnet. Schlecker machte strategische Fehler in der Expansion. Während die Konkurrenz bereits auf größere, attraktivere Filialen setzte, eröffnete er weiter kleine Läden in umsatzschwachen Gebieten. Schließlich ging das Geld aus. die Schlecker-Kette aber noch eine weitere Besonderheit, nämlich die Rechtsform des Unternehmens, den eingetragenen Kaufmann (e. K.). Im Gegensatz zu einer AG ist hier nur eine Person alleiniger Inhaber – das hat den Vorteil, dass ihm niemand in seine Entscheidungen hineinreden kann. Genauso wenig müssen Geschäftsberichte veröffentlicht werden, in denen zentrale Kennziffern, etwa Umsatz oder Mitarbeiterzahlen, angeführt sind.
Allerdings hat diese Rechtsform auch einen gewichtigen Nachteil, nämlich jenen, dass Anton Schlecker mit seinem kompletten Privatvermögen haftet. Als absehbar wurde, dass das Unternehmen in Schwierigkeiten geraten würde, hätte der Patriarch noch eine andere Rechtsform wählen können, etwa eine GmbH, in der er nicht unbegrenzt für die Schulden hätte geradestehen müssen. Das hat Schlecker nicht getan. Die Staatsanwaltschaft vermutet dahinter ein weiteres Vergehen – mit familieninternen Krediten, die in den Büchern als Eigenkapital verbucht worden sein sollen.
Bei Schlecker herrschte ein Verhältnis des Misstrauens gegenüber den Mitarbeitern. Die deutschen Steuerzahler müssen einen dreistelligen Millionenbetrag beisteuern.
Bis es tatsächlich zu einem Verfahren kommt, kann es allerdings noch dauern. Das Landesgericht Stuttgart muss nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt. Da sie sehr umfangreich ist, könnte bis zum Abschluss der Prüfung noch einige Zeit vergehen. Selbst, wenn es zum Prozess kommen sollte, wird er wohl angesichts der komplexen Verhältnisse recht lang dauern. Fix ist bisher nur, dass die Folgen der Schlecker-Pleite vor allem die deutschen Steuerzahler tragen werden. Von einem hohen dreistelligen Millionenbetrag ist die Rede, die vor allem bei der Bundesagentur für Arbeit anfielen, die monatelang Insolvenzgeld an mehr als 20.000 Mitarbeiter zahlen musste. Mit einer Rückzahlung des Geldes durch die Familie Schlecker ist eher nicht mehr zu rechnen.