Die Presse am Sonntag

Das digitale Phrasensch­wein

Mit ©en richtigen Worten l´sst sich Żuch NegŻtives schön ©Żrstellen. Zwei Autoren wollen solche verschleie­rn©en Formulieru­ngen ãewusst mŻchen.

- VON ERICH KOCINA

Vielen Dank für Ihr Verständni­s. Das klingt gut, nur ist es eine Unterstell­ung. Denn kann man tatsächlic­h wohlwollen­d nachvollzi­ehen, warum der Zug mit einer Stunde Verspätung ankommen wird? Eigentlich wäre ja eher die Bitte um Verständni­s angebracht. Es mag eine sprachlich­e Kleinigkei­t sein, aber genau die kann einen Unterschie­d ausmachen. Denn Sprache transporti­ert immer eine Botschaft – und die kann durch die richtige Wortwahl auch in verschiede­ne Richtungen gesteuert werden.

Sebastian Pertsch und Udo Stiehl widmen sich genau solchen sprachlich­en Phänomenen. Die beiden Journalist­en haben vor zwei Jahren damit begonnen, Floskeln, Phrasen und Formulieru­ngen zu sammeln, die abgedrosch­en, missverstä­ndlich oder sogar manipulati­v sind, und sie in einem Webprojekt veröffentl­icht. Die „Floskelwol­ke“bietet täglich aktualisie­rt einen Überblick, welche Begriffe und sprachlich­en Bilder in deutschspr­achigen Medien besonders häufig verwendet werden. Was unter anderem zeigt, wie wenig kreativ oft an eigenen Formulieru­ngen gearbeitet wird. Da wird etwa „mit Hochdruck gearbeitet“, bis man „wie durch ein Wunder“endlich „grünes Licht“bekommt. Da gibt es jedenfalls, meinen die beiden, noch „Luft nach oben“. Sich vor Gericht verŻntwort­en. Doch neben dieser harmlosen Stilkritik, die außer dem Aufzeigen platter Formulieru­ngen keine größere Wirkung hat, wird in der Floskelwol­ke auch auf sprachlich­e Bilder hingewiese­n, die unterschwe­llig oder auch ganz offen eine Wertung in sich tragen. „Wenn sich jemand ,vor Gericht verantwort­en‘ muss, schwingt mit, dass er tatsächlic­h etwas getan hat“, sagt Pertsch. Die Möglichkei­t, dass er unschuldig ist, ist in dieser Formulieru­ng jedenfalls nicht enthalten. Umgehen ließe sich das etwa damit, dass man davon spricht, dass jemand wegen eines bestimmten Vergehens angeklagt sei.

Solche Formulieru­ngen stammen aber nicht nur von Journalist­en, auch in der Wirtschaft oder Politik wird mit Begriffen gearbeitet, die etwas positiver wirken lassen sollen. Hinter dem „sozial verträglic­hen Stellenabb­au“verbirgt sich etwa, dass in einem Unternehme­n eben vornehmlic­h junge Mitarbeite­r, die keine Kinder haben, hinausgewo­rfen werden. „Sozial schwach“klingt dagegen weniger hart, als müsste man jemanden als „arm“bezeichnen. Und wird in der Politik etwa von einer Preisbrems­e gesprochen, so suggeriert das, dass eine Entwicklun­g gestoppt werden kann – in Wirklichke­it lässt sich mit derart bezeichnet­en Maßnahmen oft nur der Anstieg etwas verlangsam­en.

Umgekehrt lässt sich etwa mit dem Bild einer „Flüchtling­swelle“oder gar eines „Flüchtling­stsunamis“ein negatives Bild von Menschen auf der Flucht zeichnen. Auf der anderen Seite kann mit derartigen Begriffen auch Schönfärbu­ng betrieben werden, wenn etwa Menschen, die ausländerf­eindlich agieren, als „Asylgegner“oder „Asylkritik­er“bezeichnet werden. Derartige Dinge aufzuzeige­n, haben sich Pertsch und Stiehl vorgenomme­n. Wobei sie sich nicht als Sprachpoli­zei sehen. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Stiehl. „Man muss sich klar sein, warum man etwas so schreibt, wie man es schreibt, und es begründen können.“Problemati­sch sei vor allem, wenn man nicht darüber reflektier­e, was man über derartige Begriffe mittranspo­rtiert, wenn man sie gedankenlo­s nachplappe­rt.

Die Website soll dabei eine Grundlage für Debatten liefern. User schicken Vorschläge, welche Worthülsen oder Sprachbild­er sie für problemati­sch halten. Die beiden Betreiber übernehmen die besten Begriffe und Redewendun­gen und messen über eine Schnittste­lle mit Google, wie häufig sie eingesetzt werden. Insgesamt werten sie dabei 1972 deutschspr­achige Medien aus. Am Ende steht oft eine Diskussion, die zum Beispiel auf Twitter geführt wird. Und gelegentli­ch bei manchen die Erkenntnis, dass man einige Begriffe eben nicht mehr verwenden wird.

Abseits der Website haben Pertsch und Stiehl nun auch ein Buch geschriebe­n, in dem sie sich in verschiede­nsten Bereichen auf die Suche nach Plattitüde­n und verschleie­rnden Formulieru­ngen gemacht haben. „Ihr Anliegen ist uns wichtig“versammelt unter anderem auch Beispiele aus Wirtschaft und Werbung. Wenn etwa in Flugzeugen der „Economy“-Class ein „Premium“verpasst wird – was für ein paar Zentimeter mehr Beinfreihe­it steht und viel- leicht für Porzellant­eller statt Plastikges­chirr. Lässt sich aber gleich teurer verkaufen. Wird bei Lebensmitt­eln eine „neue Rezeptur“angepriese­n, sei das meist nur ein Code dafür, dass irgendeine natürliche Zutat durch eine künstliche – und billigere – ersetzt wurde. Und auch das in der Wirtschaft gelegentli­ch verkündete „Nullwachst­um“ist – genau in der Mitte zwischen „Minuswachs­tum“und „Positivver­lust“vor allem heiße Luft. Da wird es wohl „schmerzhaf­te Einschnitt­e“brauchen. PhrŻsen live Żuf Sen©ung. Die Floskelwol­ke hat in den vergangene­n Monaten viele Fans gewonnen – Journalist­en, Öffentlich­keitsarbei­ter, aber auch einfach Menschen, die Spaß an der Sprache haben. Das Datenjourn­alismuspro­jekt wurde bereits mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalism­uskritik ausgezeich­net und war für den Grimme Online Award nominiert. Wobei die Macher ihre Idee noch ausbauen möchten. Etwa mit einer Spracherke­nnung, die während einer Sendung die Verwendung von verschleie­rnden Begriffen misst – und man live darauf reagieren kann: „Jetzt sagen Sie doch endlich, was Sie wirklich meinen!“Spannend wäre auch, die Geschichte der Verwendung von Begriffen nachvollzi­ehen zu können. Wann etwa eine Floskel erstmals verwendet wurde und sich danach, vielleicht sogar regional separat ausgewerte­t, ausgebreit­et hat. Aber, um das mit einer hübschen Floskel zu beenden, das ist noch Zukunftsmu­sik.

Eine »neue Rezeptur« ist oft nur ©er Co©e, ©Żss nun eine ãilligere ZutŻt verwen©et wir©.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria