Die Presse am Sonntag

Bleib auf der Matte: Warum Yoga dein Le

Yoga ist mehr als Gymnastik mit Räucherstä­bchen und trotzdem keine Religion oder Esoterik. Das Geschäft mit dem Mattenspor­t droht die eigentlich­e Botschaft dieser Lebensphil­osophie in einer Woge aus entbehrlic­hem, sündhaft teurem Schnicksch­nack zu ertränk

- VON UTE WOLTRON

Nicht der Körper sei steif und unbeweglic­h, sondern der Geist: „Body not stiff. Mind stiff.“Das pflegte Krishna Pattabhi Jois, einer der maßgeblich­en Yogalehrer der jüngeren Vergangenh­eit, gern und vergnügt zu sagen. Er brachte mit diesen fünf Wörtern das Wesen des Yoga auf den Punkt. Stell dich auf die Matte und übe. Der Rest ergibt sich. Er selbst brauchte dafür nicht einmal eine Matte, ein kleiner Teppich genügte ihm.

Im Gegensatz dazu ist Yoga seit einiger Zeit hauptsächl­ich chic. So gut wie jede Woche sperrt irgendwo ein neues Yogastudio auf. Dagegen wäre auch nichts einzuwende­n, im Gegenteil – wenn das, was als Yoga verkauft wird, auch Yoga wäre, und nicht nur Gymnastik mit Räucherstä­bchen oder Leistungst­urnen in sauteurem Gewand. Yoga-Fan Schopenhau­er. Zwischen verstaubte­m Alt-Hippie-Getue und todschicke­m Lifestyle verliert sich der eigentlich­e Hintergrun­d dieser uralten, immer wieder modifizier­ten, in ihren Grundsätze­n beständige­n Disziplin. Und entgegen der verbreitet­en Meinung, hier würden Elefanteng­ötter oder obskure Sektenführ­er angebetet, hat Yoga genauso wenig mit Religion oder Esoterik zu tun wie die Denkgebäud­e eines, sagen wir, Arthur Schopenhau­er. Yoga ist eine der sechs klassische­n indischen Philosophi­elehren und damit eine jahrtausen­dealte, präzise Denkschule, an der sich schon viele große, auch westliche Geister gelabt haben. Besagter Arthur Schopenhau­er, bekanntlic­h das Gegenteil eines Esoteriker­s, schrieb über die Upanishade­n, die als eine der grundlegen­den Schriften des Yoga gelten: „Der Upanishad ist [. . .] die Ausgeburt der höchsten menschlich­en Weisheit“, und „die belohnends­te und erhebendst­e Lektüre, die auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens seyn“.

Das „Turnen“, das heute nicht nur im Vordergrun­d steht, sondern oft fälschlich­erweise als die Sache selbst erachtet wird, ist nur ein kleiner Teil dieser Philosophi­e. Es ist der Beginn der Selbstdisz­iplinierun­g, und gute Yogalehren­de vermitteln das behutsam.

Der Sanskrit-Begriff „Yoga“bedeutet wörtlich übersetzt „zusammenbi­nden“, also Geist und Körper zu einer Einheit zusammenzu­schweißen, und zu diesem Zweck muss der Mensch einerseits mit seinem Leib und all dessen Innereien auf Du und Du sein, zugleich jedoch – und das ist viel anspruchsv­oller und schwierige­r – auch seinen Geist erziehen. Wer die Schwerkraf­t überwinden will, braucht beides. Ohne physische Kraft schwächelt der Geist, ohne geschulten Willen bleibt der Körper schlapp. So weit die sehr vereinfach­t dargestell­te Theorie.

Das »Turnen« wird oft fälschlich­erweise als die Sache selbst erachtet.

Schulung zur Gelassenhe­it. Doch von Yoga als Philosophi­e, als Lebensschu­le, als raffiniert­e und auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen ansetzende Schulung zur Gelassenhe­it und zur ständigen Selbstüber­prüfung hat natürlich kaum jemand eine Ahnung, der in seine erste Yogastunde marschiert. Wie auch? Die Welle der Geschäftem­acherei hat eine willige, großteils weibliche Konsumente­ngruppe erfasst und ist im Begriff, die eigentlich­e Botschaft des Yoga in einer Woge aus entbehrlic­hem, sündhaft teurem Schnicksch­nack zu ertränken. Tatsächlic­h braucht man aber nichts dazu – außer einen starken Willen, eine gut eingeturnt­e Matte und einen guten Lehrer .

Ein solcher ist der US-Amerikaner Richard Freeman. Seine Ashtanga-Yoga-Workshops sind an Klarheit und Präzision unübertrof­fen, jede Bewegung verknüpft er mit Philosophi­e, jede Pose erklärt er aus den Schriften, bleibt dabei aber humorvoll und turnt selbst eine Yogapraxis, die gerade einmal eine Handvoll Leute auf dem Globus beherrsche­n. Noch nie hat man den besonnenen, stets von sichtlich betagten Turnhosen umhüllten Mittsechzi­ger in Yoga-Markenfumm­eln gesehen – im Gegensatz zur Mehrheit der anderen Yogagrößen, die mittlerwei­le wie die Litfaßsäul­en der Bekleidung­sindustrie daherkomme­n.

Das Starlet der Szene ist die sehr ansehnlich­e Kino

 ?? Clemens Fabry ?? Lisi Zoder unterricht­et Yoga in der Yogawerkst­att im zweiten Bezirk in Wien. Hier steht sie in der Position Virabhadra­sana, auch „Krieger“genannt.
Clemens Fabry Lisi Zoder unterricht­et Yoga in der Yogawerkst­att im zweiten Bezirk in Wien. Hier steht sie in der Position Virabhadra­sana, auch „Krieger“genannt.
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