Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Kotau vor dem Rechtsstaat. Trauriges Zeichen für die aktuelle Aufgeregtheit: Man steinigt Merkel dafür, dass sie die deutschen Gerichtshöfe für Hüter der Freiheit hält.
Ich weiß zwar, dass man derzeit in gewissen Kreisen Angela Merkel nur nennen darf, wenn man sich gleichzeitig an die Stirn tippt. Aber ich sage es trotzdem: Im Fall Erdogan˘ vs. Böhmermann hat sie richtig gehandelt. Muss es sich ein Mensch gefallen lassen, öffentlich als Ziegenficker bezeichnet zu werden, der Kinderpornos guckt und einen kleinen, stinkenden Schwanz hat? Nein, muss er nicht. Auch nicht, wenn er als Politiker einem Berufsstand angehört, der sich mehr gefallen lassen muss als andere. Auch nicht, wenn der Angreifer so tut, als würde er gar nicht verletzen wollen, sondern nur demonstrieren, was man eben nicht sagen dürfe (ha ha, guter Versuch). Der richtige Ort, sich zu wehren – und der Ort, wo im konkreten Fall zu entscheiden ist, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist –, ist das ordentliche Gericht. Es ist legitim, einen Prozess zu begehren. Auch wenn man Erdogan˘ heißt.
Gemütserregend wird der Fall ja auch erst dadurch, dass Deutschland einen eher vertrottelten Paragrafen hat, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter schwerere Strafe stellt, aber nur angewendet werden darf, wenn die Bundesregierung zustimmt. Es ist bedenklich, von politischen Entscheidungen abhängig zu machen, ob jemand den ihm verbrieften Schutz der Rechtsordnung in Anspruch nehmen darf. Wenn man Merkel einen Vorwurf machen kann, dann den, dass es diese Strafbestimmung überhaupt noch gibt.
Aber da es nun einmal den besonderen Schutz des Gesetzes für die Ehre eines Staatsoberhauptes gibt, ist es schwer, einen Grund zu finden, ihn ausgerechnet Erdogan˘ zu verweigern. Da er Türke ist? Da er immer mehr zum Despoten wird? Das deutsche Recht hat auch schon die Ehre des Schahs von Persien und von Augusto Pinochet verteidigt.
Manche sagen: da es ein Kotau vor einem diktatorischen Regime ist. Und da die Regierung die Meinungsfreiheit zu verteidigen habe. Aber verteidigt man sie auf legitime Weise, indem man nicht die Richter über die Zulässigkeit einer Schmähkritik entscheiden lässt, sondern die Regierung?
Erdogan˘ hat nicht verlangt, Demonstrationen zu verbieten. Er wollte nicht einmal Statuen verhüllt haben. Er möchte den rechtlichen Schutz seiner Ehre in Anspruch nehmen. Das sollte eine Regierung aus Prinzip zulassen. Es ist auch nicht die Aufgabe der Kanzlerin, deutsche Fernsehmoderatoren vor der Anwendung deutschen Rechts zu schützen. Sie hat recht gehabt, sich herauszuhalten, weil sie die deutsche Justiz für kompetent hält. Alles andere wäre ein Kotau vor der aufgeheizten öffentlichen Meinung gewesen. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.