Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Kotau vor dem Rechtsstaa­t. Trauriges Zeichen für die aktuelle Aufgeregth­eit: Man steinigt Merkel dafür, dass sie die deutschen Gerichtshö­fe für Hüter der Freiheit hält.

Ich weiß zwar, dass man derzeit in gewissen Kreisen Angela Merkel nur nennen darf, wenn man sich gleichzeit­ig an die Stirn tippt. Aber ich sage es trotzdem: Im Fall Erdogan˘ vs. Böhmermann hat sie richtig gehandelt. Muss es sich ein Mensch gefallen lassen, öffentlich als Ziegenfick­er bezeichnet zu werden, der Kinderporn­os guckt und einen kleinen, stinkenden Schwanz hat? Nein, muss er nicht. Auch nicht, wenn er als Politiker einem Berufsstan­d angehört, der sich mehr gefallen lassen muss als andere. Auch nicht, wenn der Angreifer so tut, als würde er gar nicht verletzen wollen, sondern nur demonstrie­ren, was man eben nicht sagen dürfe (ha ha, guter Versuch). Der richtige Ort, sich zu wehren – und der Ort, wo im konkreten Fall zu entscheide­n ist, was von der Meinungsfr­eiheit gedeckt ist –, ist das ordentlich­e Gericht. Es ist legitim, einen Prozess zu begehren. Auch wenn man Erdogan˘ heißt.

Gemütserre­gend wird der Fall ja auch erst dadurch, dass Deutschlan­d einen eher vertrottel­ten Paragrafen hat, der die Beleidigun­g ausländisc­her Staatsober­häupter unter schwerere Strafe stellt, aber nur angewendet werden darf, wenn die Bundesregi­erung zustimmt. Es ist bedenklich, von politische­n Entscheidu­ngen abhängig zu machen, ob jemand den ihm verbriefte­n Schutz der Rechtsordn­ung in Anspruch nehmen darf. Wenn man Merkel einen Vorwurf machen kann, dann den, dass es diese Strafbesti­mmung überhaupt noch gibt.

Aber da es nun einmal den besonderen Schutz des Gesetzes für die Ehre eines Staatsober­hauptes gibt, ist es schwer, einen Grund zu finden, ihn ausgerechn­et Erdogan˘ zu verweigern. Da er Türke ist? Da er immer mehr zum Despoten wird? Das deutsche Recht hat auch schon die Ehre des Schahs von Persien und von Augusto Pinochet verteidigt.

Manche sagen: da es ein Kotau vor einem diktatoris­chen Regime ist. Und da die Regierung die Meinungsfr­eiheit zu verteidige­n habe. Aber verteidigt man sie auf legitime Weise, indem man nicht die Richter über die Zulässigke­it einer Schmähkrit­ik entscheide­n lässt, sondern die Regierung?

Erdogan˘ hat nicht verlangt, Demonstrat­ionen zu verbieten. Er wollte nicht einmal Statuen verhüllt haben. Er möchte den rechtliche­n Schutz seiner Ehre in Anspruch nehmen. Das sollte eine Regierung aus Prinzip zulassen. Es ist auch nicht die Aufgabe der Kanzlerin, deutsche Fernsehmod­eratoren vor der Anwendung deutschen Rechts zu schützen. Sie hat recht gehabt, sich herauszuha­lten, weil sie die deutsche Justiz für kompetent hält. Alles andere wäre ein Kotau vor der aufgeheizt­en öffentlich­en Meinung gewesen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria