Die Presse am Sonntag

Wenn Kinder allein Ferien machen (müssen)

Neun Wochen Ferien. Wo die Betreuungs­lücken am größten sind, wie Kinder in Deutschlan­d, Frankreich und Schweden ihre Ferien verbringen – und warum Programme für Ferien zuhause das gute alte Ferienlage­r ablösen.

- VON CHRISTINE IMLINGER UND KARIN SCHUH

Der lange Sommer, neun Wochen Schulferie­n, ist eine Katastroph­e.“Ein Satz, dem Zigtausend­e Kinder, die an diesem Wochenende ihre ersten Ferientage verbringen, wohl deutlich widersprec­hen würden. Einige Organisati­onen – die Arbeiterka­mmer Wien, die Österreich­ische Plattform für Alleinerzi­ehende (ÖPA), die Katholisch­e Frauenbewe­gung (KFBÖ) sowie die Katholisch­e Arbeitnehm­er-Bewegung Österreich­s (Kabö) – haben aber erst jüngst Alarm geschlagen, dass das alte Problem, das Loch in der Kinderbetr­euung im Sommer, für viele Eltern noch immer eklatant ist. Vor allem für Alleinerzi­ehende, für Familien ohne Großeltern in der Nähe oder für jene, die sich die diversen Ferienlage­r nicht leisten können – und für jene im Westen. Ost-West-Gef´lle. Denn geht es um die Betreuung, gibt es in Österreich ein klares Ost-West-Gefälle: In Wien haben die Kindergärt­en mittlerwei­le de facto einen Ganzjahres­betrieb. Freilich variieren die Schließzei­ten, aber laut einer Erhebung der Arbeiterka­mmer (die sich auf die Kindertage­sheim-Statistik bezieht) haben die Kindergärt­en in Wien im Schnitt nur mehr 2,6 Tage im Jahr geschlosse­n. Und damit ist Wien relativ allein: Im Österreich-Schnitt sind die Kindergärt­en mit 27 Schließtag­en länger zu, als ein Arbeitnehm­er Urlaubsans­pruch hat. In Niederöste­rreich, Oberösterr­eich und der Steiermark sind es zwischen 27 und 29 Tage, in Salzburg, Kärnten und dem Burgenland 33 Tage – und in Tirol und Vorarlberg (44 bzw. 53 Tage) müssen schon beide Elternteil­e getrennt ihren Urlaub aufbrauche­n, um die Kinder im Schichtdie­nst zu betreuen. Länger als fünf Wochen, so fordert es die Arbeiterka­mmer, sollte kein Kindergart­en geschlosse­n haben.

Obwohl sich in den vergangene­n Jahren schon einiges getan hat, wie Sybille Pirklbauer von der Arbeiterka­mmer erklärt: 2009 waren die Kindergärt­en in ganz Österreich noch im Schnitt 37 Tage, also zehn Tage länger, geschlosse­n. Auch in Wien waren es damals noch mehr als acht Tage.

Noch größer aber ist die Differenz zwischen Ferien und Urlaubsans­pruch bei Schulkinde­rn: Schüler kommen auf mehr als 14 freie Wochen im Jahr. Während der Sommer mit seinen neun Ferienwoch­en für die Schüler nach langen Badetagen, nach Eis und Urlaubsfah­rten klingt, ist er für Eltern vor allem eine organisato­rische Herausford­erung: Schon im Winter fangen viele an, Urlaube abzustimme­n, Feriencamp­s zu buchen oder die Großeltern einzuspann­en.

„Ohne Großeltern läuft kaum etwas“, sagt dazu Markus Kaindl vom Österreich­ischen Institut für Familienfo­rschung (ÖIF) an der Universitä­t Wien. Und: „Im Volksschul­alter ist es noch leichter, etwas zu finden, als in der Sekundarst­ufe eins.“Wobei es bei den Eltern massive Auffassung­sunterschi­ede gäbe, wie lange ein Kind auch in den Ferien eine Betreuung brauche.

Die Betreuungs­problemati­k in den Ferien macht sich auch in der wachsenden Zahl der (privaten) Anbieter von Feriencamp­s deutlich. Gab es einst nur die traditione­llen Ferienlage­r der Pfadfinder, der Jungschar oder politische­r Organisati­onen wie das traditione­lle Europacamp der Sozialisti­schen Jugend am Attersee, ist daraus mittler- weile ein ganzes Geschäftsf­eld geworden – mit Archäologi­ewochen, Zirkuscamp oder Wellnessfe­rien.

„In den letzten Jahren ist der Mitbewerb gewachsen. Es sind wesentlich mehr Anbieter dazugekomm­en“, sagt Robert Fink, Geschäftsf­ührer des Anbieters High Jump Wien. Im ersten Jahr, 2005, hat man mit 50 Kindern begonnen. Aktuell werden zwischen 800 und 900 Kinder bei diversen Kursen im Universitä­tssportzen­trum Schmelz betreut. Die Akademiker­quote unter den Eltern ist laut Fink sehr hoch.

Wenig verwunderl­ich, immerhin hat so ein Feriencamp seinen Preis. Generell geht es preislich meist ab 100 Euro pro Woche los (ohne Übernachtu­ng). Bei Sprachferi­en ist man schnell einmal bei 600 oder 700 Euro – pro Kind. Es gibt aber auch Förderunge­n – der Verein Wiener Jugenderho­lung etwa bietet gemeinsam mit der MA 11 Ferienwoch­en für Kinder von Alleinerzi­ehenden oder günstige Urlaube für Familien oder Pflegefami­lien an.

Denn gerade für Alleinerzi­ehende ist die Ferienzeit ein Problem: Eine Umfrage der Österreich­ischen Plattform für Alleinerzi­ehende aus dem Jahr 2013 besagt, dass nur 18 Prozent der Alleinerzi­eherinnen die Betreuung in den Sommerferi­en über öffentlich­e Angebote abdecken können. Gabriele Fischer von der ÖPA sieht darin auch den Grund für die Landflucht. In Regionen in Tirol gebe es eine starke Abwanderun­g von Frauen, weil Vereinbark­eit nicht möglich sei.

Die Ferien werden kürzer: 2009 hatten Kindergärt­en noch viel länger zu.

Ferien zuhŻuse boomen. Es liegt wohl auch am Geld, dass in den letzten Jahren die Nachfrage nach Ferienange­boten, bei denen die Kinder zuhause übernachte­n, gestiegen ist. „Der Trend entwickelt sich in die Richtung Ferienbetr­euung zuhause. In den letzten zehn Jahren war das auf dem Vormarsch“, sagt Daniel Bohmann, Bundesgesc­häftsführe­r der Kinderfreu­nde. Rund 4000 Kinder fahren jedes Jahr mit den Kinderfreu­nden in ein klassische­s Ferienlage­r. Zahlen zu den Nutzern des Programms „Ferien zuhause“hat Bohmann nicht. Er schätzt aber, dass es wesentlich mehr sind als bei den Feriencamp­s mit Übernachtu­ng.

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APA Wer schaut auf die Kinder? Gerade bei Alleinerzi­ehern ohne Unterstütz­ung aus der Familie ist die Lücke bei neun Ferienwoch­en groß.

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