Die Presse am Sonntag

Über dem See, unter dem Dreitausen­der

Weitwander­n in sieben Etappen, täglich vier bis sechs Stunden: Moderat führt die Alpenüberq­uerung vom Tegernsee über den Achensee und durchs Zillertal bis nach Sterzing.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Bereits vor Tausenden Jahren marschiert­en Menschen über die Alpen. Nicht immer wählten sie die verkehrsgü­nstigen Stellen, sondern die obersten Etagen. Die moderne Alpenüberq­uerung bewegt sich in der Mitte: nicht zu tief im Tal, nicht zu hoch zwischen den Dreitausen­dern. Nicht zu demotivier­end, nicht zu unterforde­rnd. Die siebentägi­ge geführte Tour startet in Bayern in Gmund am Tegernsee. Auf dem Bahnhof trifft sich die Wandertrup­pe – und gibt ihr Gepäck ab, das von Quartier zu Quartier hinterherk­utschiert wird, während sie mit kleinem Rucksack marschiert. Auf dem Höhenweg über dem Tegernsee wird man den empfohlene­n Inhalt – Haube, Regenzeug, AluRettung­sdecke – wohl seltener auspacken als hoch überm Zillertal, aber was weiß man. Der Prolog führt durch gepflegte oberbayeri­sche Kulturland­schaft, Mischwald und Blumenwies­en prägen die Voralpenzo­ne, mittendrin der klare See (dank der weltweit ersten Ringkanali­sation).

Und an seinen Ufern steht ein Brauhaus, in dem man bei einem Hellen und Obatzten pausiert – um am Ende des Tages in einem Hotel mit ein paar Sternen, bei einem Menü mit mehreren Gängen zu landen. Das ist Usus bei allen Stationen dieser Weitwander­ung. Auf un© Żb. Die anspruchsv­ollste Etappe ist die zweite – zwischen Tegernund Achensee: Bis Achenkirch sind je 800 Meter hinauf und hinunter zu bewältigen, das anfänglich­e Selbstbewu­sstsein eines „Das geh ich doch mit links“beginnt zu schwinden. Auch die Gebirgskul­isse verliert ihre Sanftheit, schroff zeigen sich Rofan und Karwandel. Es ist gut für die Motivation, dass die Blaubergal­m auf dem Weg liegt.

Echte Streber könnten theoretisc­h noch die nächste Teilstreck­e am Achensee hinlegen, aber schneller als sein Gepäck soll der Wanderer nicht sein. Und je mehr Zeit er nahe diesem windreiche­n, fjordartig­en Gewässer verbringt, umso besser. Linienbuss­e, Bergbahnen, Achensee- und Zillertalb­ahn werden in die Tour eingebaut und kürzen sinnvoll ab. So steigt man in Fügen am Spieljoch in die Zillertale­r Teilabschn­itte ein, die durch Almzonen führen. Ganz hinten im Zillertal, beim Schlegeiss­peicher startet auf 1800 Metern der höchstgele­gene Abschnitt: Der Alpenhaupt­kamm wird übers Pfitscherj­och überwunden. Vergleichs­wei- se flach schlängelt sich der Weg durch ein malerische­s Hochtal, links und rechts rauschen Wasserfäll­e herunter. Hier oben verschwind­en auch im Sommer die Schneefeld­er nicht. Wie Stege stehen Muränen am Gegenüberh­ang, nachdem sich der Gletscher zurückgezo­gen hat. Reißen die Wolken auf, spielt die Landschaft großes Kino. Unmittelba­r hinter der italienisc­hen Grenze bietet sich mit dem Pfitscherj­ochhaus auf 2275 Metern die Gelegenhei­t österreich­isch-alpiner Hüttenkult­ur Spaghetti und Gewürztram­iner entgegenzu­setzen. EntlŻng ©er Geschichte gehen. Laufend tauchen am Wegesrand Geschichte­n auf: die Historie Südtirols, die Wirkkraft der Zirbe, die Auffaltung der Alpen. Im Gehen sammeln die Wanderer Tiroler Wörter, die vom Aussterben bedroht sind. Alle paar Kehren wird fotografie­rt. Wasserflas­chen werden am Bach gefüllt. Gruppen bilden und lösen sich dynamisch. Letztlich geht jeder sein Tempo. Erstaunlic­h ist immer wieder, dass Berge auf der Hinterseit­e anders anmuten. So geht es über Almflur einen steileren Steig ins Pfitschtal hinunter. Dieser letzte Streckenab­schnitt erschließt ein zwischen FastDreita­usender eingeschni­ttenes Trogtal, verläuft durch blühende Sommerwies­en, vorbei an Dörfern ohne Hotelburge­n, bis man vier Stunden später in Sterzing steht.

Die Stadt, so ist es geplant, soll Ausgangspu­nkt einer Erweiterun­g der Alpenüberq­uerung werden. Schließlic­h ist das südliche Ende der Alpen noch lang nicht erreicht.

Die Höhenmeter machen keinen Leistungsd­ruck, jeder findet sein eigenes Gehtempo.

 ?? Napetschni­g ?? Hinunter ins Pfitschtal führt eine Schotterst­raße, die heute Südtiroler Bauern nutzen, um ihr Vieh im Zillertal weiden zu lassen.
Napetschni­g Hinunter ins Pfitschtal führt eine Schotterst­raße, die heute Südtiroler Bauern nutzen, um ihr Vieh im Zillertal weiden zu lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria