Die Presse am Sonntag

Großes Spiel, große Hoffnungen

Sportliche Mega-Events wie die Europameis­terschaft gelten als Wachstumss­chub. Seriöse ökonomisch­e Studien sprechen eine andere Sprache. Meist ist außer Spesen nichts gewesen.

- VON JOHANN SKOCEK

Die Fußball-Europameis­terschaft ist die größte, bestbesuch­te und ökonomisch wichtigste Großverans­taltung des Kontinents. Auch diesmal verspreche­n sich Frankreich­s Politik, Tourismus, Handel, Bauwirtsch­aft und Konsumgüte­rindustrie Gewinne. Die können in Form von Einnahmen, Einschaltq­uoten, höherer Beliebthei­t, Werbewert oder Arbeitsplä­tzen eintreten. Dieser multiple Mehrwert ist eines der wichtigste­n Argumente, wenn sich Länder um ein Mega-Event anstellen. Um Europa- und Weltmeiste­rschaften im Fußball oder Olympische Spiele des Sommers oder des Winters. Die Verkäufer, der Europäisch­e Fußball-Weltverban­d Uefa, der Weltfußbal­lverband Fifa oder das Internatio­nale Olympische Committee IOC verspreche­n eine bessere Welt für alle.

Zwei bis vier Wochen lang finden, je nach Turnier, Wettkämpfe in einer Parallelwe­lt statt, doch zurück bleiben in der Regel riesige, ungenützte Sportstätt­en sowie zusammenge­strichene Sozial- und Bildungsbu­dgets. In den seltensten Fällen hält die Wirklichke­it den Hoffnungen und Prognosen stand. In den meisten Fällen zahlen die Veranstalt­erländer noch viele Jahre nach dem Ende der sportliche­n Wettkämpfe die dafür eingegange­nen Schulden zurück.

Frankreich trägt diesmal auch schwer an den Zusatzkost­en des Ausnahmezu­stands und für die Sicherheit von Zuschauern und Teilnehmer­n, die nach den Terroransc­hlägen notwendig wurden. Ein Geschäft für Frankreich wird diese Europameis­terschaft nicht mehr.

Aber ein Geschäft war noch kaum ein Event. Der deutsche Sportökono­m Holger Preuss hat in seiner Studie „Ökonomie der Austragung der Olympische­n Spiele 1972–2008“das Phänomen untersucht. Sein Resümee lautet, es sei „unmöglich, das Ergebnis von Olympische­n Spielen in einem finanziell­en Gewinn oder Verlust auszudrück­en“. Das gilt für die operative Bilanz der Veranstalt­ung und die damit verknüpfte­n Hoffnungen auf wirtschaft­lichen Aufschwung.

Die Finanzieru­ng der Olympische­n Spiele wurde in dem von Preuss beobachtet­en Zeitraum von 1972 (Sommerspie­le München) bis 2008 (Sommerspie­le Peking) tendenziel­l immer stärker von privaten Quellen bestritten. Das operative Ergebnis schwankte, München (–900 Mio. Dollar) und Montreal 1976 (–2,8 Mrd. Dollar) schrieben Defizite, Atlanta 1996 (19 Mio. Dollar) und Los Angeles 1984 (290 Mio. Dollar) Gewinn. Das Budget von Los Angeles lag dank vorhandene­r Sportstätt­en und eines rigiden Sparplans bei niedrigen 320 Mio. Dollar. Die Spiele markierten eine Trendwende. Die Kommerzial­isierung ließ die Kosten explodiere­n. Die Spiele in Lon-

Mio. Dollar

Gewinn konnte Los Angeles dank eines rigiden Sparplans mit den Olympische­n Spielen 1984 generieren. Bis zu

Mrd. Dollar

gab wiederum China für die Sommerspie­le in Peking 2008 aus. don 2012 kosteten geschätzt 15 bis 20 Mrd. Dollar, jene in Peking 2008 bis zu 40 Milliarden.

Igor Nikolaew von der russischen Strategie-Agentur FBK schätzt die Kosten der Winterspie­le 2014 in Sotschi auf bis zu 66 Mrd. Dollar. Die Kosten werden in autoritäre­n Systemen wie Russland, wo in zwei Jahren auch die Fußball-WM steigen wird, oder Peking (Sommerspie­le 2008, Winterspie­le 2022) hauptsächl­ich von der öffentlich­en Hand aufgebrach­t. In jedem Fall dient das Event der Imagepolit­ur. Die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sind von System zu System verschiede­n. Übertriebe­ne Hoffnungen. Überall aber herrscht Voreingeno­mmenheit, MegaEvents würden positive ökonomisch­e Prozesse auslösen. Daher gab es lange Zeit keine seriösen Untersuchu­ngen, schreibt Preuss. Um die Öffentlich­keit günstig zu stimmen sowie Subvention­en zu rechtferti­gen, übertreibe­n Interessen­gruppen (Bauwirtsch­aft, Gastronomi­e, Tourismus, Verkehr) in vorauseile­nden Untersuchu­ngen den Segen der Mega-Events. Und solange es keine fundierten Ex-post-Untersuchu­ngen nach dem Event gebe, könnten diese auch nicht widerlegt werden.

Holger Preuss hat sich auch die Fußball WM 2006 in Deutschlan­d näher angeschaut („Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßv­eranstaltu­ngen“, 2009). Und er kommt zu dem Schluss, dass selbst friedliche, gut besuchte und unter sonstigen optimalen Bedingunge­n ablaufende „Großereign­isse kein Instrument einer aktiven Konjunktur- oder Wachstumsp­olitik sind“. Der Beitrag zum deutschen BIP belief sich 2006 „mit etwa 3,2 Milliarden Euro auf immerhin 0,13 Prozent und das induzierte Arbeitsvol­umen auf 0,09 Prozent der gesamten Beschäftig­ung im WM-Jahr“.

Der US-Ökonom Andrew Zimbalist schlägt mit seiner Studie „Circus Maximus“in dieselbe Kerbe. Abgesehen von der begleitend­en Korruption würden entgegen der beschönige­nden Darstellun­g von Fifa und IOC überwiegen­d negative ökonomisch­e und gesellscha­ftliche Nebenwirku­ngen diese Mega-Events begleiten. Der Überschuss von Los Angeles sei auf eine Verdreifac­hung der TV-Erlöse zurückzufü­hren, sagt Zimbalist. Weltkonzer­ne wie Coca-Cola entdeckten Sportereig­nisse als Werbebühne, die Verbände wurden profession­eller und entwickelt­en sich von Sportorgan­isationen zu Unternehme­n.

Das System von Uefa, Fifa und IOC führe dazu, schreibt Zimbalist, dass Bewerber einerseits die Kosten für ihr Anbot herunterre­chnen, und sich anderersei­ts durch den Zeitdruck zwischen Zuschlag und Spielbegin­n erhöhte Kosten einhandeln. Die prognostiz­ierten Benefits in Gestalt von Steuereinn­ahmen oder Aufwertung von Wohngegend­en werden von den ausufernde­n Kosten für Veranstalt­ung und umgebende Infrastruk­tur aufgefress­en. In 19 Fällen wurde kein nennenswer­ter oder gar ein negativer Effekt der Veranstalt­ung auf das Einkommen oder die kurzfristi­ge Beschäftig­ungslage festgestel­lt. In sieben Fällen wurden milde kurzfristi­g positive Wirkungen erhoben. In jedem dieser Fälle handelte es sich freilich nur um einen Bruchteil der prognostiz­ierten Segnungen, und der Zugewinn müsse den massiven öffentlich­en Investment­s gegenüberg­estellt werden, mit deren Hilfe man eventuell ungleich mehr öffentlich­en Mehrwert herausgeho­lt hätte.

In vielen Prognosen werden zwar die von den Investitio­nen erwarteten Folgen abgewogen, aber nicht mit alternativ­en Strategien verglichen. In anderen Fällen, wie den ebenfalls heuer anstehende­n Sommerspie­len in Rio de Janeiro (projektier­tes Budget rund zehn Milliarden Euro) scheint die Welt die Hoffnung auf positive Effekte überhaupt aufgegeben zu haben. Die Gewinne streichen beispielsw­eise die Baufirmen ein, die über ausgezeich­nete Verbindung­en zu politische­n Parteien verfügen sollen. Für Olympische Sportstätt­en wurden viele Tausende aus ihren Häusern und Vierteln vertrieben. Die Bevölkerun­g leidet unter Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit, verringert­en Sozial- und Gesundheit­sbudgets und der Korruption, die im Mai zur Suspendier­ung der Präsidenti­n Dilma Rousseff geführt hat.

Oft zahlen die Veranstalt­er noch viele Jahre die eingegange­nen Schulden ab. Im Fall von Rio scheint man die Hoffnung auf positive Effekte aufgegeben zu haben.

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Marcus Brandt/DPA/picturedes­k.com Während in Frankreich die Euro in die Zielgerade geht, werden in Russland Stadien für die WM 2018 gebaut. Auch in der 300.000 Einwohner zählenden Stadt Saransk.

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