Großes Spiel, große Hoffnungen
Sportliche Mega-Events wie die Europameisterschaft gelten als Wachstumsschub. Seriöse ökonomische Studien sprechen eine andere Sprache. Meist ist außer Spesen nichts gewesen.
Die Fußball-Europameisterschaft ist die größte, bestbesuchte und ökonomisch wichtigste Großveranstaltung des Kontinents. Auch diesmal versprechen sich Frankreichs Politik, Tourismus, Handel, Bauwirtschaft und Konsumgüterindustrie Gewinne. Die können in Form von Einnahmen, Einschaltquoten, höherer Beliebtheit, Werbewert oder Arbeitsplätzen eintreten. Dieser multiple Mehrwert ist eines der wichtigsten Argumente, wenn sich Länder um ein Mega-Event anstellen. Um Europa- und Weltmeisterschaften im Fußball oder Olympische Spiele des Sommers oder des Winters. Die Verkäufer, der Europäische Fußball-Weltverband Uefa, der Weltfußballverband Fifa oder das Internationale Olympische Committee IOC versprechen eine bessere Welt für alle.
Zwei bis vier Wochen lang finden, je nach Turnier, Wettkämpfe in einer Parallelwelt statt, doch zurück bleiben in der Regel riesige, ungenützte Sportstätten sowie zusammengestrichene Sozial- und Bildungsbudgets. In den seltensten Fällen hält die Wirklichkeit den Hoffnungen und Prognosen stand. In den meisten Fällen zahlen die Veranstalterländer noch viele Jahre nach dem Ende der sportlichen Wettkämpfe die dafür eingegangenen Schulden zurück.
Frankreich trägt diesmal auch schwer an den Zusatzkosten des Ausnahmezustands und für die Sicherheit von Zuschauern und Teilnehmern, die nach den Terroranschlägen notwendig wurden. Ein Geschäft für Frankreich wird diese Europameisterschaft nicht mehr.
Aber ein Geschäft war noch kaum ein Event. Der deutsche Sportökonom Holger Preuss hat in seiner Studie „Ökonomie der Austragung der Olympischen Spiele 1972–2008“das Phänomen untersucht. Sein Resümee lautet, es sei „unmöglich, das Ergebnis von Olympischen Spielen in einem finanziellen Gewinn oder Verlust auszudrücken“. Das gilt für die operative Bilanz der Veranstaltung und die damit verknüpften Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung.
Die Finanzierung der Olympischen Spiele wurde in dem von Preuss beobachteten Zeitraum von 1972 (Sommerspiele München) bis 2008 (Sommerspiele Peking) tendenziell immer stärker von privaten Quellen bestritten. Das operative Ergebnis schwankte, München (–900 Mio. Dollar) und Montreal 1976 (–2,8 Mrd. Dollar) schrieben Defizite, Atlanta 1996 (19 Mio. Dollar) und Los Angeles 1984 (290 Mio. Dollar) Gewinn. Das Budget von Los Angeles lag dank vorhandener Sportstätten und eines rigiden Sparplans bei niedrigen 320 Mio. Dollar. Die Spiele markierten eine Trendwende. Die Kommerzialisierung ließ die Kosten explodieren. Die Spiele in Lon-
Mio. Dollar
Gewinn konnte Los Angeles dank eines rigiden Sparplans mit den Olympischen Spielen 1984 generieren. Bis zu
Mrd. Dollar
gab wiederum China für die Sommerspiele in Peking 2008 aus. don 2012 kosteten geschätzt 15 bis 20 Mrd. Dollar, jene in Peking 2008 bis zu 40 Milliarden.
Igor Nikolaew von der russischen Strategie-Agentur FBK schätzt die Kosten der Winterspiele 2014 in Sotschi auf bis zu 66 Mrd. Dollar. Die Kosten werden in autoritären Systemen wie Russland, wo in zwei Jahren auch die Fußball-WM steigen wird, oder Peking (Sommerspiele 2008, Winterspiele 2022) hauptsächlich von der öffentlichen Hand aufgebracht. In jedem Fall dient das Event der Imagepolitur. Die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sind von System zu System verschieden. Übertriebene Hoffnungen. Überall aber herrscht Voreingenommenheit, MegaEvents würden positive ökonomische Prozesse auslösen. Daher gab es lange Zeit keine seriösen Untersuchungen, schreibt Preuss. Um die Öffentlichkeit günstig zu stimmen sowie Subventionen zu rechtfertigen, übertreiben Interessengruppen (Bauwirtschaft, Gastronomie, Tourismus, Verkehr) in vorauseilenden Untersuchungen den Segen der Mega-Events. Und solange es keine fundierten Ex-post-Untersuchungen nach dem Event gebe, könnten diese auch nicht widerlegt werden.
Holger Preuss hat sich auch die Fußball WM 2006 in Deutschland näher angeschaut („Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßveranstaltungen“, 2009). Und er kommt zu dem Schluss, dass selbst friedliche, gut besuchte und unter sonstigen optimalen Bedingungen ablaufende „Großereignisse kein Instrument einer aktiven Konjunktur- oder Wachstumspolitik sind“. Der Beitrag zum deutschen BIP belief sich 2006 „mit etwa 3,2 Milliarden Euro auf immerhin 0,13 Prozent und das induzierte Arbeitsvolumen auf 0,09 Prozent der gesamten Beschäftigung im WM-Jahr“.
Der US-Ökonom Andrew Zimbalist schlägt mit seiner Studie „Circus Maximus“in dieselbe Kerbe. Abgesehen von der begleitenden Korruption würden entgegen der beschönigenden Darstellung von Fifa und IOC überwiegend negative ökonomische und gesellschaftliche Nebenwirkungen diese Mega-Events begleiten. Der Überschuss von Los Angeles sei auf eine Verdreifachung der TV-Erlöse zurückzuführen, sagt Zimbalist. Weltkonzerne wie Coca-Cola entdeckten Sportereignisse als Werbebühne, die Verbände wurden professioneller und entwickelten sich von Sportorganisationen zu Unternehmen.
Das System von Uefa, Fifa und IOC führe dazu, schreibt Zimbalist, dass Bewerber einerseits die Kosten für ihr Anbot herunterrechnen, und sich andererseits durch den Zeitdruck zwischen Zuschlag und Spielbeginn erhöhte Kosten einhandeln. Die prognostizierten Benefits in Gestalt von Steuereinnahmen oder Aufwertung von Wohngegenden werden von den ausufernden Kosten für Veranstaltung und umgebende Infrastruktur aufgefressen. In 19 Fällen wurde kein nennenswerter oder gar ein negativer Effekt der Veranstaltung auf das Einkommen oder die kurzfristige Beschäftigungslage festgestellt. In sieben Fällen wurden milde kurzfristig positive Wirkungen erhoben. In jedem dieser Fälle handelte es sich freilich nur um einen Bruchteil der prognostizierten Segnungen, und der Zugewinn müsse den massiven öffentlichen Investments gegenübergestellt werden, mit deren Hilfe man eventuell ungleich mehr öffentlichen Mehrwert herausgeholt hätte.
In vielen Prognosen werden zwar die von den Investitionen erwarteten Folgen abgewogen, aber nicht mit alternativen Strategien verglichen. In anderen Fällen, wie den ebenfalls heuer anstehenden Sommerspielen in Rio de Janeiro (projektiertes Budget rund zehn Milliarden Euro) scheint die Welt die Hoffnung auf positive Effekte überhaupt aufgegeben zu haben. Die Gewinne streichen beispielsweise die Baufirmen ein, die über ausgezeichnete Verbindungen zu politischen Parteien verfügen sollen. Für Olympische Sportstätten wurden viele Tausende aus ihren Häusern und Vierteln vertrieben. Die Bevölkerung leidet unter Einschränkung der Bewegungsfreiheit, verringerten Sozial- und Gesundheitsbudgets und der Korruption, die im Mai zur Suspendierung der Präsidentin Dilma Rousseff geführt hat.
Oft zahlen die Veranstalter noch viele Jahre die eingegangenen Schulden ab. Im Fall von Rio scheint man die Hoffnung auf positive Effekte aufgegeben zu haben.