Wo sich die Zeiger rückwärts drehen
Peter Hüttler ist Uhrmachermeister in achter Generation. Zu ihm kommen die Einzelkinder unter den Zeitmessern, die schweren Fälle und behäbigen Pendeluhren. Das Porträt eines Mannes, für den die Exotik seines Berufs Vorteil und Last ist.
Ein Spielzeuggeschäft für Fortgeschrittene sei seine kleine Uhrenwerkstatt in der Wiener Himmelpfortgasse. „Keinerlei Ernsthaftigkeit“, sondern „purer Spaß an der Freude“ist, was ihn hier bei seinen alten Taschen-, Pendel-, und Armbanduhren hält, sagt Peter Hüttler.
Uhrmacher sei einst ein wichtiger Beruf für Menschen gewesen, die Wert auf Pünktlichkeit legten. „Aber die Zeiten, in denen teure Uhren genauer gingen, sind vorbei.“Also verlegte sich der Uhrmachermeister in achter Generation auf das, was ihn an dem Metier immer am meisten reizte: die Liebhaberstücke, die Einzelkinder abseits der Serienproduktion, wie er sie nennt. Und die schweren Fälle, die letzten Endes bei ihm landen, weil die vorangegangenen Werkstätten Unmengen für die Reparatur der antiken Rädchen verlangten oder sie für gänzlich irreparabel erklärten. Der Wiener ist hinund hergerissen, wenn er eine Be- standsaufnahme von seinem Berufsstand macht: „Die Konkurrenzsituation ist ein Traum“, betont er. Zu hoher Aufwand, zu große Schwierigkeiten, die Ersatzteile zu bekommen, unrentable Arbeitszeiten – diese Kombination bereinige den Markt doch um ein gutes Stück. Habe es zu seiner Anfangszeit noch 165 Innungsmitglieder gegeben, halte man heute bei knapp 50 – wobei der Großteil keine eigene Werkstatt, sondern nur noch Handel betreibe. „Das Gemeine ist, dass nicht der Beruf, sondern die Unternehmensform ausstirbt“, sagt Hüttler. Drei Konzerne würden heute alle Luxusmarken führen. Ersatzteilanfragen würden von den Herstellern, die selbst an ihrem Reparaturservice verdienen wollen, mit Werkzeugs-, Schulungs- und Lizenzgebühren in den Zehntausendern beantwortet. Und die Jugend habe längst kein existenzielles Bedürfnis nach Armbanduhren mehr. Diese Umstände würden die kleinen Meisterbetriebe nach und nach in die Knie zwingen. Hüttler steht heute staunend vor der Lage seines Gewerbes: „Ich hätte nicht gedacht, dass es einmal exotisch wird, eine Werkstatt zu betreiben.“Oder, wenn man schon bei dem Thema wäre, dass er es aufgrund seiner Exotik einmal in eine Zeitung schaffen würde.
»Die Zeiten, in denen teure Uhren genauer gingen, sind vorbei.«
Das dritte Auge. Solche Befunde, halb im Scherz dahingesagt, gehen Peter Hüttler leicht über die Lippen. Mit einer Zigarette in der Hand und dem schräg aufgesetzten Vergrößerungsglas gleich einem dritten Auge auf der Stirn steht er seit 1999 im gewölbten Franziskus-Saal im Haus mit der Nummer 19 und kommentiert mit einer gewis- sen Prise Ironie das Treiben um sich herum. Etwa das grob geschnitzte Holzkreuz, das im Innenhof des Wohnhauses von seinem Vermieter, einem Ableger des Franziskaner-Ordens, aufgestellt wurde.
Dass er den sieben vorangegangenen Familiengenerationen nachfolgen würde, war nicht immer sicher. Zwar habe er sich schon mit fünf Jahren gesagt, er werde „entweder Pensionist oder Uhrmacher“, inskribierte sich aber zwischenzeitlich für das Studium der Rechtswissenschaften. Daneben fing Hüttler dann doch die Uhrmacherlehre an. Schon damals seien die Zeichen nicht auf ein Revival der Branche gestanden. Er erinnert sich zurück: „Wir waren auf ganz Österreich verteilt 65 Lehrlinge, aber ich war der einzige mit einem Meister und einem Betrieb.“Dieser Meister war naturgemäß sein Vater. Nach abgeschlossener Ausbildung in der Uhrmacherfachschule Karlstein im tiefsten Waldviertel und Lehrjahren in der Schweiz arbeitete er einige Jahre an seiner Seite im Familiengeschäft auf der Auhofstraße. Die spätere Abnabelung vom väterlichen Betrieb sei aber die richtige Entscheidung gewesen. Einerseits wollte er weg vom Hietzinger Stadtrand, wo um sechs Uhr abends die Gehsteige hochgeklappt würden, andererseits habe er sich „durch den Auszug das gute Verhältnis zu meinem Vater bewahrt“. Die Werkstatt zum Friedenszins. Noch heute erinnert ein enormes Bücherregal im hinteren Teil des gewölbten Saales an den ehemaligen Hietzinger Betrieb. Sein Vater war ein leidenschaftlicher Sammler von Spezialliteratur, die der Sohn heute bei der Arbeit schätzt: „Es ist wie beim Jusstudium. Man muss wissen, wo man nachschlägt.“Ein vollgestelltes Telefonbuchlager nahm bis kurz vor der Jahrtausendwende den Raum ein, den heute feinmechanische Geräte, ein Arbeitstisch und das Bücherregal füllen. Die Hausverwaltung suchte nach einem Mieter für die defizitären Räumlichkeiten. Nach einem, der die gesamten Renovierungsarbeiten im Erdgeschoss übernahm.
Im Gegenzug logiert Hüttler quasi zum Friedenszins bloß einen Steinwurf vom Ronacher-Theater entfernt. „Mit einer normalen Miete für den ersten Bezirk könnte ich mir das nicht leisten.“Die Gegend habe seit der Eröffnung seines Betriebs gewonnen – eine Galerie nach der anderen eröffnete im Viertel. „Das zieht das richtige Publikum mit einem Sinn für schöne Dinge an“, befindet Hüttler. Doch trotz günstiger Miete kämpft er wie der Großteil der kleinen Werkstätten ums Überleben. „Ich habe einen Mitarbeiter, ein Dienstauto aus 1990, keinen Kredit und mache keine Werbung – und dennoch sind manche Monate defizitär.“
»Als Fünfjähriger habe ich zu mir gesagt: ›Entweder Pensionist oder Uhrmacher.‹« »Das Banale hält mich über Wasser. Von der hohen Kunst kann man nicht leben.«
Fast entschuldigend erklärt er, 70 Prozent seiner Aufträge seien Armbanduhrreparaturen: „Das Banale hält mich über Wasser. Von der hohen Kunst kann man nicht leben.“In jüngster Zeit würden auch Anfragen nach Pendeluhrreparaturen wieder zunehmen. Da es sonst keiner mehr macht, folgert Hüttler, der montags auch Pendeluhren für das Dorotheum schätzt. Vier bis fünf Stunden Arbeitszeit nehme eine kompliziertere Reparatur in Anspruch. „Aber wenn irgendein Teilchen fehlt, geht es schon dahin.“Als äußerst hilfreich habe sich herausgestellt, dass er jedes Mal, wenn ein weiterer Uhrmacher zusperrt, Bananenkartons voller alter Rädchen aufkauft.
Hüttler spielt trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch lang nicht mit dem Gedanken ans Aufhören. Er erzählt gern, wie er eines Nachmittags an der Seite seines Vaters im Hietzinger Geschäft stand und auf Kundschaft wartete. Damals, Mitte der Neunziger, habe er ihn gefragt, wann die Zeiten für Uhrmacher am härtesten gewesen seien. „Eigentlich jetzt“, war die Antwort. Seitdem ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen. Die kleine Uhrmacherwerkstatt in der Himmelpfortgasse Nummer 19 gibt es immer noch.