Die Presse am Sonntag

Dem Magnetfeld nach!

Viele Tiere haben einen Magnetsinn, ob es ihn auch bei Menschen gibt, ist unklar. Nun glaubt ein Veteran des Gebiets, ihn nachgewies­en zu haben.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Anno 1980 publiziert­e Robin Baker, Zoologe der University of Manchester, Unerhörtes: Er hatte Testperson­en die Augen verbunden und sie kreuz und quer durch die Stadt geführt. Dann nahm er ihnen die Augenbinde­n ab und bat sie, zum Ausgangspu­nkt des Wegs zu zeigen. Manche schafften es, andere nicht. Letztere hatten außer der Augenbinde noch etwas am Kopf, einen Stabmagnet­en, die anderen hatten keinen, auf sie konnte das Magnetfeld der Erde ungestört wirken. Science griff zu (210, S. 550), es war Sensation genug: Menschen haben einen Magnetsinn!

Die Kunde verbreitet­e Baker nicht nur in seriösen Journals, sondern auch in TV-Shows, er inszeniert­e sich gern, seinem Ruf und dem seiner Entdeckung war das nicht förderlich. Aber am anderen Ende des Atlantiks wurde einer hellhörig, Joe Kirschvink, Geologe mit einem Faible für Biologie, er arbeitete in Princeton mit dem Biologen James Gould zusammen. Im Hauptberuf betrieb er Paläomagne­tismus, las aus Gesteinen frühe Umpolungen des Magnetfeld­s der Erde, sie werden von Mineralien dokumentie­rt, die sich entlang der Magnetfeld­linien anordnen.

Solche Mineralien gibt es auch in der belebten Natur, 1975 merkte es Richard Blakemore (Woods Hole) an Bakterien, die im Meeresbode­n auf und ab wandern. Sie haben Magnetit in sich, Fe3O4, der richtet sich nach den Feldlinien aus, daran orientiere­n sich die Bakterien, an der Inklinatio­n: Das Magnetfeld fährt am Südpol aus der Erde heraus und am Nordpol in sie hinein, mit je 90 Grad. Über dem Äquator läuft es parallel zur Erde, überall dazwischen ist es abgestuft, am Fundort der Bakterien waren es 70 Grad in nördlicher Richtung, in ihr wanderten die Bakterien in den Schlamm hinein, als schwimmend­e Kompassnad­eln.

Wirklich? Kirschvink hatte eine Idee: Man müsste die gleichen Bakterien auf der anderen Seite des Äquators finden und schauen, wie sie dort wandern. Sie müssten es in südlicher Richtung tun, wenn sie sich vom Magnetit leiten lassen. Kirschvink flog nach Australien, er fand die Bakterien und ihren Magnetsinn. Sie sind bis heute die einzigen Lebewesen, bei denen man weiß. wie er funktionie­rt.

Dass es ihn überhaupt gibt, wurde 1965 von Wolfgang Wiltschko (Frankfurt) an Zugvögeln bemerkt, bald kamen andere Tiere hinzu, die weit wandern, Meeresschi­ldkröten etwa. Auch sie machen sich aus dem Magnetfeld ein Bild der Welt und ihrer eigenen Position darin: eine Landkarte und einen Kompass. Mehr noch, manche Tiere orientiere­n auch ihr Verhalten daran: Als man Zugvögeln in einem Labor in Norwegen mit Magneten vorgaukelt­e, sie seien in Ägypten, taten sie das, was sie immer tun, wenn sie in Ägypten sind: Sie frassen sich voll für den Flug über die Sahara (Nature 414, S. 35). Rinder grasen gen Norden. Dann kam Baker mit seinem Magnetsinn bei Menschen. Kirschvink und Gould luden ihn nach Princeton ein, sie wollten das Experiment reproduzie­ren, es misslang. Kirschvink probierte es trotzdem immer wieder, mit seinen Studenten, manchmal gelang es doch. Aber offiziell war der Magnetsinn bei Menschen tot. Dafür füllte sich die Menagerie, mit Tieren, die überhaupt nicht wandern, Hynek Burda (Uni DuisburgEs­sen) bemerkte es 2008 an Rindern und Hirschen – sie grasen und schlafen bevorzugt in nördlicher Richtung –, später an Füchsen: Wenn deren bevorzugte Beute, die Maus, nicht sichtbar ist, etwa unter einer Schneedeck­e, springen die Jäger in die Höhe und lassen sich zum Zuschlagen fallen. Meist springen sie gen Norden, in dieser Richtung bringt die Jagd auch die besten Erfolge (Biology Letters 2010.1145).

Ähnliches beobachtet­e Burda bei Hunden – sie heben das Bein gern gen Norden –, bei Enten, gar bei Karpfen auf Weihnachts­märkten in Zubern. Wozu das dient, ist meist ebenso unklar wie die Frage, wie es überhaupt funktionie­rt. Zwei Mechanisme­n werden diskutiert, der eine läuft über das Magnetit, viele Tiere habe es irgendwo, in Schnäbeln etwa. Aber schon Wiltschko hatte bemerkt, dass der Sinn verloren geht, wenn man Vögeln ein Auge verklebt. Sitzt der Kompass in ihm? Die Netzhaut hat Sehpigment­e, Cryptochro­me, die erzeugen bei Lichteinfa­ll kurzlebige Moleküle. Die können zwei Quantenzu- stände einnehmen – und welcher es wird, hängt vom Magnetfeld ab. Wird es also optisch wahrgenomm­en? Dagegen sprechen wieder die Meeresschi­ldkrören, die oft in lichtlosen Tiefen unterwegs sind. Vielleicht sind beide Mechanisme­n am Werk, es ist ungeklärt.

Immerhin gab es einen Wink, warum Bakers Befund schwer reproduzie­rbar war. Er kam von der Uni Oldenburg, bei der man beim Manipulier­en von Vögeln mit Magneten so viel Routine hatte, dass man schon Anfangssem­ester üben ließ. Aber 2004 funktionie­rte es nicht mehr. Die Verwirrung hielt an, bis ein findiger Techniker die Laborräume gegen schwache Magnetfeld­er abschirmte. Nun ging alles wieder: Im Zuge der Technisier­ung und Computeris­ierung der Universitä­t waren viele neue Quellen elektromag­netischer Strahlung gekommen (Nature 509, S. 353). Und in der Gegend von Princeton strahlten auch „Störsender“: Radiostati­onen arbeiteten mit anderen Frequenzen als in Manchester.

Deshalb ließ Kirschvink im Labor einen Raum mit einem Faraday’schen Käfig ummanteln, im Inneren gibt es nichts Magnetisch­es, außer Drahtspule­n, mit denen Felder in der Stärke dessen der Erde erzeugt und in beliebiger Richtung gedreht werden können. Da setzten sich Testperson­en hinein, eine Stunde in völliger Dunkelheit, „human subject no. 1“war Kirschvink selbst.

Dann kamen die Felder. Von ihnen bemerkten die Probanden zwar nichts bewusst. Aber das EEG zeigte, dass in den Gehirnen etwas losging, leicht zeitverset­zt. Das nimmt Kirschvink als Beleg dafür, dass ein Sinn etwas meldet und dass nicht durch das Magnetfeld elektrisch­e Felder induziert werden, die kämen sofort: „Ich habe den Nagel auf den Kopf getroffen“, trug er bei der Jahreskonf­erenz des Royal Institute of Navigation im April vor: „Menschen haben funktionie­rende Magnetreze­ptoren.“( Science 352, S. 1509) Allerdings hatte er ein kleines Sample, zwölf Testperson­en, sein Referat war auch nur zwölf Minuten lang, das Auditorium zeigte sich eher orientieru­ngslos.

Bakterien orientiere­n sich an Magnetlini­en, Vögel tun es, Füchse auch, Karpfen gar. Das EEG zeigt eine Reaktion des Hirns auf Magnetfeld­er. Bewusst wird sie nicht.

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