Die Presse am Sonntag

Der Mann mit dem »Strafraum-Charme«

Antoine Griezmann will dafür sorgen, dass sich Frankreich im EM-Viertelfin­ale gegen Island nicht blamiert. Dass der 25-Jährige in seiner Heimat einst verkannt, verjagt und suspendier­t wurde, hat der 100-Millionen-Euro-Star längst vergessen.

- VON MARKKU DATLER

Die vergangene­n Tage bis zum heutigen Anpfiff wurden für Frankreich­s Fußballer zum Psycho-Härtetest. Verlieren verboten, ein Aus im eigenen Land im Viertelfin­ale wäre eine Blamage, ob Island nun die Sensation dieser EM ist oder nicht. „Es gibt nichts Schlimmere­s!“, betont Christophe Dugarry, der 1998 dem Druck bei der Heim-WM mit der E´quipe Tricolore standhielt und den Titel gewann. „Das ist mit Blick auf die Motivation und die gesamte Vorbereitu­ng absolut schrecklic­h“, erklärt er die Favoritenr­olle seiner Landsleute gegen den WeiterhinA­ußenseiter. Allerdings, und diese Ausgangsla­ge ist für die Partie womöglich richtungsw­eisend in Anbetracht von Taktik und Spielweise: Island kann heute, 21 Uhr, im Stade de France zu St. Denis nur noch gewinnen. Und Frankreich alles, wirklich alles, verlieren. Die hängende Spitze aus Mˆacon. Ausgerechn­et in einem der wichtigste­n Spiele Frankreich­s seit dem EM-Triumph 2000 kommt nun Stürmer Antoine Griezmann die vermeintli­ch entscheide­nde Rolle zu. Der Atletico-´Star soll die nötigen Tore schießen – just er, der zuletzt im Champions-League-Finale gegen Real Madrid an den eigenen Nerven, beim Elfmeter, gescheiter­t ist. Allerdings, seine Worte klingen wohltuend in den Ohren der Grande Nation. Ohne den Gegner noch zu kennen, posaunte der Mann aus Macon,ˆ 60 Kilometer von Lyon entfernt, nach zwei Toren gegen Irland schon munter hinaus: „Ein Aus im Viertelfin­ale wäre ein Versagen.“

Angst vor großen, robusten, eventuell bärtigen Typen ist Griezmann fremd. Mit 1,76 Metern Körpergröß­e wirkt er für einen Stürmer zwar eher schmächtig, doch Schnelligk­eit und Kopfballst­ärke verleihen ihm den nöti- gen „Strafraum-Charme“. Dass sich das Unheil von 2004 wiederhole­n könne, also Frankreich im Viertelfin­ale gegen einen Underdog, der später aber die EM gewinnen sollte, verliert, schloss Griezmann kategorisc­h aus. Ein 0:1 genügt. »Technik ist alles!« „Frankreich auf einem Vulkan!“, schrieb „Le Parisien“dieser Tage und zauberte Griezmann damit ein Lächeln ins Gesicht. Nach der Verbannung von Karim Benzema aus moralische­n Gründen (Skandal um Sexvideo), trägt ohnehin bereits er ein Gros der Last. In einer Umfrage des Senders E´quipe21 fanden nun 64 Prozent seiner Landsleute, dass „Angst vor Island“durchaus angebracht sei. „Les Bleus haben nicht das Recht, gegen Island zu verlieren“, konterte „L’Equipe“; und das Recht auf Versagen kennt Griezmann ohnehin nicht. Als Teenager fiel er bei zig Klubs im Probegalop­p durch, abseits des Platzes hingegen mit Ausflügen ins Nachtleben auf.

In Lyon wurde er für zu klein, schmächtig und patschert befunden. Also suchte das Talent, im eigenen Land verkannt, den Weg ins Ausland, landete als 14-Jähriger bei Real Sociedad. Man sprach ihm in der Heimat das Geschick ab, Fußballer werden zu können.

„Technik ist wichtiger als alles andere, darauf basiert alles“, sagt er. Ausbildung und Mentalität hätten aus ihm einen besseren Fußballer und Menschen gemacht, erklärte nun erneut im Lauf der EM offen, für Frankreich­s Fußballsto­lz war das zwar ein Foul, doch was zählt das – wenn Grizou denn trifft? Als achtzehnjä­hriger Teenager war der „kleine Teufel“, wie man in Sociedad nannte, stadtbekan­nt.

Der Klub schaffte den Aufstieg in seiner ersten Saison 2009/2010 in die Primera Division, auch bei der U20-WM wusste er zu gefallen. Explosiv, mit einem starken linken Fuß, mit einem guten Verständni­s für Raum und Zeit. Viele Klubs, berichtete­n zuletzt mehrere spanische Zeitungen, seien damals Schlange gestanden bei Sociedad. Auch aus Lyon soll vorge- sprochen worden sein, vergeblich. Die üblichen Verdächtig­en, Paris, Manchester United, Arsenal drängten sich auf – doch nach Hause wollte Griezmann partout nicht, auf England hatte er keine Lust. Er blieb, gewann 2010 die U19-EM, nur im A-Team wollte man ihn nicht sehen. Er wurde für ein Jahr sogar offiziell gesperrt, weil der Fan von David Beckham („Er ist immer gut gekleidet, gut frisiert!“) in Le Havre aus dem U21-Quartier ausgebüxt war und in einem Nachtklub ausgiebig feierte. 100 Millionen Euro Ablöse. Griezmann schoss Real in der Saison 2013/2014 in die Champions League, die hängende Spitze empfahl sich Teamchef Didier Deschamps, der das Ende der Suspendier­ung abwartete, ihn bei der WM in Brasilien forcierte und nun auf den seit 2014, für 30 Millionen Euro von Sociedad gekauften, bei Atletico´ Madrid spielenden Stürmer (75 Spiele, 44 Tore) bei dieser EM schwört. Drei Tore in vier Spielen (zehn in insgesamt 31) sprechen eine klare Sprache.

Auch die Rojiblanco­s halten dem 25-Jährigen die Treue, der Vertrag wurde bis 2021 verlängert, es scheint gut angelegtes Geld. Möglich machten das seine Treffer (22 in La Liga, sieben in der Champions League), die ihm unter anderem auch den Titel „BayernSchr­eck“einbrachte­n. Dass er im Finale gegen Real Madrid vom Strafpunkt scheiterte, bleibt eine Fußnote in seiner Karriere. Eine Fußnote in seinem Vertrag könnte aber der Jackpot sein: Für 100 Millionen Euro Ablöse, so die Klausel, dürfe er Atletico´ verlassen.

Der weitere Verlauf seiner Karriere hängt auch vom Spiel heute Abend ab. Trifft Antonie Griezmann, ist er der Nationalhe­ld, darf Frankreich weiter vom Titel träumen. Wird er gar EM-Torschütze­nkönig, steht der einst aus Lyon Davongejag­te mit Allzeitgrö­ßen wie Francois¸ Heutte (1960; zwei Tore) und Michel Platini (1984; neun) auf einer Stufe. Scheidet die Grande Nation aber aus, sind Interesse und Jubel verhallt. Dann wird Antonie Griezmann eben wieder einmal von vorn anfangen. Allein, verstoßen, fern der Heimat.

 ?? AFP ?? „Hang loose“: Antonie Griezmann zeigt es vor, Frankreich­s Stürmer hat bei der EM vorerst alles in Griff.
AFP „Hang loose“: Antonie Griezmann zeigt es vor, Frankreich­s Stürmer hat bei der EM vorerst alles in Griff.

Newspapers in German

Newspapers from Austria