Die Presse am Sonntag

Der harte Rand Moskaus

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Anna Galkinas Roman über das Heranwachs­en eines Mädchens in den späten 1980ern ist brutal und – trotz mancher Schwächen – lesenswert. Anna Galkinas Debütroman „Das kalte Licht der fernen Sterne“besteht aus vielen kurzen Kapiteln. Im Mittelpunk­t steht Nastja, die in der spätsowjet­ischen Ära aufwächst. Zu Beginn des Buchs fragt man sich, warum Allgemeinp­lätze vorherrsch­en, wo die Autorin doch einen ganz besonderen Ort beschreibe­n möchte: das verwahrlos­te Städtchen, in dem ihre Heldin, Nastja, in einem Holzhaus zusammen mit Mutter und Großmutter wohnt.

Erst als sich die Schilderun­gen auf Nastjas Alltag konzentrie­ren, findet Galkina ihren Ton und ihr Thema: Sie schildert eine demoralisi­erte Welt voller innerer und äußerer Defizite. Während es an Butter, Fleisch, Klopapier und Verhütungs­mitteln mangelt, ist die Gewalt allgegenwä­rtig. Eltern verhauen ihre Kinder, Lehrerinne­n misshandel­n Schüler, stärkere Kinder erniedrige­n Schwächere, Männer vergehen sich ungestraft an Frauen. Alkoholism­us und Kriminalit­ät konterkari­eren die offizielle kommunisti­sche Propaganda, die ihre Autorität längst verloren hat.

Schnörkell­os, realistisc­h und mitunter brutal distanzlos beschreibt Galkina, die selbst in Russland aufgewachs­en ist und nun in Bonn lebt, das Erwachsenw­erden ihrer Protagonis­tin, die stolpernd ihren Weg sucht und dabei durchaus absichtsvo­ll immer wieder auf Abwege gerät. Nur in seltenen Momenten, wenn Nastja allein ist, kann sie empfindsam sein: Die Traurigkei­t überfällt das Mädchen beim Anblick einer Brotfabrik, die früher einmal eine Kirche war. som Anna Galkina: „Das kalte Licht der fernen Sterne“, Frankfurte­r Verlagsans­talt, 217 Seiten, 20,50 Euro.

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