Fliegen gegen die Taliban
Latifa Nabizada und ihre Schwester Lailuma waren die ersten Pilotinnen Afghanistans. Es war ein schwieriger Weg. Nun möchte sie in Wien neu beginnen.
Eine Pilotin ohne Flugzeug ist wie ein Vogel ohne Flügel. Latifa Nabizada ist eine Frau, die für diesen Spruch brennt. Sie und ihre Schwester Lailuma waren noch Kinder, als sie sich im Hof auf den umgekippten Baumstamm setzten, um einen Flug zu simulieren. „Wir stellten uns vor“, schildert sie in ihrer Autobiografie, „dass wir darauf wie auf einem Hexenbesen durch die Luft reiten könnten.“Gemeinsam schauten sie den sowjetischen Kampfjets hinterher, als diese lärmend über die Kabuler Dächer düsten. Ja, da oben wollten sie einmal sein.
Es war die Zeit der Sowjets in Afghanistan, als Latifa Nabizada vom Fliegen träumte, und zwar so lang, bis der Gedanke nicht mehr wegzubekommen war. Die Sowjets, schreibt sie, wollten die Rolle der Frau in der Gesellschaft stärken, aber nur darauf konnte sie nicht zählen, lebte sie doch in einer Umgebung, in der das Wirken der Frauen auf einen winzigen Horizont beschränkt war. Als sie und ihre Schwester mit den Anmeldeformularen für die Militärakademie zu ihrem Vater gingen, in einem Zustand höchster Aufregung, verschüttete er fast seinen Tee. „Was sollte ich dagegen haben?“, rief er aus. War er denn nicht selbst ein Militärangehöriger?
Latifa Nabizada ist eine kleine Frau mit herzlichem Gemüt. Beim Erzählen holt sie aus, denn sie hat viel zu sagen. Im Dezember kam sie nach Wien, als Teilnehmerin des Projektes „Wien als Zufluchtsstadt“des Internationalen Autorenverbandes PEN. Heute träumt die Pilotin davon, dass ihre zehnjährige Tochter in Wien die Schule abschließen kann. Die Kleine soll nicht so viel kämpfen müssen, wie es bei ihr der Fall war. Denn vom Anfang bis zum vorläufigen Ende ihrer Pilotinnenlaufbahn war Nabizada pausenlos im Krieg: im militärischen Sinne, im gesellschaftspolitischen Sinne.
Geboren wurde Nabizada 1971 in eine zwölfköpfige Familie usbekischen Ursprungs. Rebellische Phasen wechselten sich in ihrer Kindheit ab mit Anpassung, die Familie hat sowohl gute Zeiten als auch Zeiten des Hungers erlebt. Als die Studienzeit an der Militärakademie begann, erlebten die Schwes- tern bisweilen aggressive Ablehnung. Die Klassenkameraden überschütteten sie mit Häme, nahmen sie nicht ernst, woraufhin die Schwestern noch intensiver lernten und die Besten wurden, was noch mehr Argwohn hervorrief. Uniformen für Frauen gab es ebenfalls nicht. Die Bekleidung für Männer nähten die Schwestern enger, „dabei achteten wir peinlichst darauf, sie so anzubringen, dass sie nicht in irgendeiner Form provokativ wirkten“, schreibt Nabizada in ihren Erinnerungen.
Es war beschwerlich. Nach dem Unterricht halfen die Schwestern zu Hause aus, versorgten die Geschwister, lernten bis in die Nacht, halfen einander dabei und wollten sich gegenseitig übertrumpfen. Bei ihren ersten Flugstunden im Kampfhubschrauber blieb Latifa fast das Herz stehen, langsam tastete sie sich an das Ungetüm heran. Ihr Ehrgeiz war nicht zu stoppen. Mit dem Ende der Ausbildung waren Latifa und Lailuma Nabizada die ersten weiblichen Piloten Afghanistans. Nur die wenigsten konnten sich in ihrem Land mit dieser Vorstellung anfreunden. Normalität im Wahnsinn. Afghanistan taumelte nach dem Abzug der Sowjets von einem Konflikt zum nächsten. Die Bevölkerung suchte die Normalität im Wahnsinn, was spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr gelang, als die Taliban in Kabul einfielen. Die zwei Schwestern waren damals in der Stadt Mazar-e Sharif für Abdul Rashid Dostum tätig, einen früheren Milizenführer. In Kabul ließen die Taliban nach den zwei Pilotinnen suchen, eine Suche, die die Extremisten noch Jahre fortsetzen würden. Ihre Familie wurde bedroht, zwei ihrer Brüder festgenommen, weil die Schwestern nicht auffindbar waren.
Auch wenn verschiedene Einheiten die Taliban immer wieder zurückdrängen konnten, irgendwann hatte die islamistische Miliz das ganze Land im Würgegriff. Der Vater schickte die Schwestern nach Pakistan ins trostlose Exil, ein paar Jahre später kehrten sie jedoch zurück, das Heimweh, die Sehnsucht nach der Familie war zu groß. Für Latifa und Lailuma hieß das auch: ein Leben in der Abgeschlossenheit. An Einsätze mit dem Kampfhubschrauber war nicht zu denken. Frauen wurden während der Taliban-Herrschaft auf offener Straße verprügelt, wegen vermeintlicher Vergehen. Einmal, erinnert sich Nabizada, hat sie sich eine Suppe in einem Straßenimbiss bestellt. Mehrere Taliban standen in der Nähe, stürzten sich mit Schlagstöcken auf die Frau, die unverschämt eine Suppe auf der Straße bestellte, sie schimpften lauthals, aber Latifa konnte davonrennen, schimpfte zurück.
Lange hat sich Latifa Nabizada nicht einschüchtern lassen. Mit dem Einfall der Amerikaner wird auch der Einfluss der Taliban zurückgedrängt, was im Umkehrschluss nicht heißt, dass die Extremisten verschwunden sind. Nachdem ihr viel beachtetes Buch erschienen ist, gerät sie stärker ins Visier der Taliban. Man bricht in ihr Haus ein, bedroht sie am Telefon, beschießt das Auto, in dem sie mit Mann und Tochter sitzt. „Ich wollte eigentlich in Afghanistan bleiben“, erzählt sie. „Aber ich habe gemerkt: So kann ich nicht leben.“Zuletzt war sie im Verteidigungsministerium als Gleichstellungsbeauftragte tätig.
Auf der Militärakademie wurden die Schwestern mit Häme überschüttet. Man bricht in ihr Haus ein, bedroht sie am Telefon, schießt auf ihr Auto.
Heute gewinnen die Taliban an Einfluss zurück, zudem ist die Terrormiliz Islamischer Staat aufgetaucht. „Erst in jüngster Zeit wurde eine Frau überhaupt als Mensch betrachtet“, sagt sie. Und nun? Alles, wofür sie, ihre Schwester und die anderen gekämpft haben, werde rückgängig gemacht.
Ihre Schwester Lailuma verlor Latifa. Sie starb bei der Geburt ihrer Tochter. Kaum eine Frau ist seither in die Fußstapfen der beiden getreten. Für eine aber hat Lailuma den Weg geebnet: ihre Tochter Malalai. Sie war noch ein kleines Baby, als die Pilotin sie mit auf die Einsätze nahm, weil niemand sonst auf sie aufpassen konnte. „Malalai kennt nichts anderes, als in einem Helikopter zu fliegen“, sagt die Mutter. Und: „Sie will Astronautin werden.“Fliegen will auch Latifa Nabizada wieder. In Österreich, wenn es sich ergibt.
Latifa Nabizada
mit Andrea C. Hoffmann „Greif nach den Sternen, Schwester!“Mein Kampf gegen die Taliban Droemer Knaur 336 Seiten 9,99 Euro