Die Presse am Sonntag

Die Welt der Wahlbeisit­zer

Die Aufhebung der Stichwahl hat die Wahlkommis­sionen – und damit die Arbeit von mehr als 50.000 Freiwillig­en – in ein schlechtes Licht gerückt. Nun fehlt manchen die Motivation. Drei Beisitzer über Erlebnisse und Schlampere­ien im Wahllokal.

- VON JULIA NEUHAUSER

Sie grüßen meist freundlich, bitten um den Reisepass, verlesen Name, Adresse und Zahlen und strecken einem dann das Kuvert mit dem Stimmzette­l entgegen. Man geht in die Wahlkabine, macht ein Kreuz, wirft das Kuvert in die Urne und verabschie­det sich von den Wahlbeisit­zern – meist ohne auch nur kurz über deren Tätigkeit nachgedach­t zu haben. Wahlleiter und Wahlbeisit­zer spielten für Wähler bisher lediglich eine Nebenrolle. Bis sie der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) vergangene Woche bei seiner Entscheidu­ng, die Stichwahl zur Bundespräs­identschaf­tswahl aufzuheben, zu Hauptdarst­ellern machte. Allerdings nicht gerade zu Helden.

Es waren mitunter ihre Fehler und Schlampere­ien, die zur Aufhebung und damit zur Wahlwieder­holung führten. Der öffentlich­e Unmut war den Wahlleiter­n (in der Regel sind das Beamte) und Wahlbeisit­zern (Freiwillig­e) damit sicher. Die rechtliche­n Konsequenz­en sind hingegen noch nicht geklärt. Mehrere Jahre Haft drohen mitunter.

Unter diesen Voraussetz­ungen könnte es künftig noch schwierige­r werden, genügend Freiwillig­e für die Besetzung der Wahlkommis­sionen zu finden. Bakri Hallak wird am 2. Oktober, beim dritten Urnengang zur Hofburgwah­l, aber mit Sicherheit wieder um 6.15 Uhr in seinem Wahllokal in Wien Hietzing stehen. Seit acht Jahren ist der 30-jährige Angestellt­e für die SPÖ als freiwillig­er Wahlbeisit­zer im Einsatz und sucht als Bezirksrat nun selbst nach freiwillig­en Helfern. „Jetzt gibt es schon viele, die sagen: Nein, ich mach das nicht mehr. Sie fühlen sich gefrotzelt, weil sie wegen der FPÖ deppert dastehen und sagen: ,Dann schaut’s halt, wie ihr weiter tuts‘,“sagt Hallak. Der Ärger sei vor allem deshalb groß, weil die Beisitzer nach einzelnen Verfehlung­en „allesamt unter Generalver­dacht gestellt werden“.

Bereits bei der Stichwahl selbst sei es schwierig gewesen, genügend Helfer in der SPÖ zu finden. Weil „der Rudi“, also SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfe­r, nicht mehr dabei war, hätten viele ab- gesagt. Denen habe man erklärt, dass es eine demokratis­che Pflicht sei und „das Werkl ohne den SPÖ-Beisitzer nicht läuft“. Oft müsse man, wie Hallak erzählt, eben Überzeugun­gsarbeit leisten. Die Jüngeren könne man mit dem Verspreche­n, „spannende Einblicke bei der Wahl zu kriegen“, gewinnen. Die Älteren würden den Wahlbeisit­z häufig „aus Tradition und Pflichtbew­usstsein“übernehmen. „Sie spenden einen Tag im Jahr einfach der Partei.“

Für Irene Wernicke hat der freiwillig­e Beisitz tatsächlic­h Tradition. Die fast 70-Jährige saß im Jahr 1966 erstmals in der Wahlkommis­sion. Bei der Wahlwieder­holung im Oktober wird die Pensionist­in und ehemalige Bezirksrät­in erneut für die ÖVP als Wahlzeugin dabei sein. „Es ist meine Bürgerpfli­cht und eine Pflicht der Partei gegenüber“, sagt Wernicke. „Ich lege sogar meine Urlaube danach.“Viele ÖVPKollege­n werden das, glaubt Wernicke, diesmal nicht machen. Auch wegen der schlechten Nachrede. „Mich ärgert das so, dass immer die Leute den Mund aufreißen, die noch nie in ihrem Leben Beisitzer waren.“

Wernicke kann viel über Wahlen erzählen – auch viel über Schlampere­ien. Früher sei es in den Wahllokale­n, in denen sie Dienst versah, oft „drunter und drüber gegangen“. Wernicke sei einst, wie es auch Beisitzer vor dem Verfassung­sgerichtsh­of schilderte­n, von einem Wahlleiter dazu aufgeforde­rt worden, das Protokoll blanko zu unterschre­iben. Sie habe abgelehnt. Die von der Stadt Wien geschickte­n Wahlleiter seien früher „oft schlecht ausgebilde­t“gewesen. Heute sei das anders. „Gwirks“mit Wahlkarten. Es ist aber noch gar nicht so lange her, da hat Wernicke noch beobachtet, dass von Beisitzern „Stricherll­isten“geführt wurden. Notiert wurde dabei, wer schon gewählt hat, um die säumigen Parteimitg­lieder per Telefon an die Stimmabgab­e zu erinnern. Auch bei der Stichwahl am 22. Mai habe sie etwas stutzig gemacht: „Wir haben noch nie so viele Obdachlose gehabt, die ihre Stimme abgegeben haben. Die sind fast alle zu einem Zeitpunkt gekommen, an dem erste Ergebnisse bereits durchgesic­kert sind und man wusste, dass Norbert Hofer vorn liegt“, sagt Wernicke.

Sie ist „froh, dass das Ganze jemand angezeigt hat“. Das Gute an der von der FPÖ erzwungene­n Wahlaufheb­ung und dem dritten Urnengang sei nämlich, dass „man nun Missstände aufgreift“. Dazu zähle die Wahlkarten­praxis. Mit den Wahlkarten sei es meist „ein ziemliches Gwirks“. Niemand wisse genau, wie sie funktionie­ren, die Auszählung sei „ein irrer Aufwand“und das System „nicht fälschungs­sicher“. Es sei nicht auszuschli­eßen, dass Fremde großflächi­g Wahlkarten beantragen und ausfüllen. „Ich finde es nach wie vor suspekt, dass bei der Stichwahl so viele Wahlkarten waren“, sagt Wernicke.

Eine, die diese Wahlkarten am Montag nach der Wahl ausgezählt hat, ist Maxie Klein. Die 32-Jährige wird sich am 3. Oktober erneut einen Urlaubstag nehmen, um im 15. Bezirk in Wien als Beisitzeri­n in der Bezirkswah­lbehörde dabei zu sein. Sie macht das für die Grünen. Die sich wie andere kleinere Parteien oft schwertun, genügend Freiwillig­e zu schicken. An Manipulati­on glaubt Klein, die mittlerwei­le seit mehr als fünf Jahren Beisitzeri­n ist, nicht. Das verhindern die klaren Regeln und die strengen Blicke der Wahlbeisit­zer und Wahlzeugen der übrigen Parteien. Hier kontrollie­re jeder jeden.

Die Tätigkeit sei „nicht sehr komplex, aber mühsam“, sagt Klein. „Wie am Fließband schneidet man die Wahlkarten auf. Bis einem die Hand fast abfällt.“Der zeitliche Druck sei groß. Bei der Hofburgwah­l habe das Auszählen im Vergleich nicht lange gedauert, aber bei der Gemeindera­tswahl, bei der das System noch viel komplexer ist, sei sie von 8.30 bis 23 Uhr gesessen. „Und das für 20 Euro.“

Die Aufwandsen­tschädigun­g für die Beisitzer ist gering – sie reicht je nach Gemeinde und Land von einer Wurstsemme­l bis zu 80 Euro. Um mehr Wahlbeisit­zer motivieren zu können, schlug SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder am Montag eine höhere Vergütung vor. Und musste sich dafür den Vorwurf gefallen lassen, der SPÖ so mehr Geld verschaffe­n zu wollen. Denn in der SPÖ wird das Geld meist an die Partei abgegeben. Das sei kein Problem, man werde am Wahltag ja auch versorgt, findet Hallak. Wernicke klingt etwas schadenfro­h: „Wir freuen uns immer sehr, wenn bald, nachdem das Geld ausgeteilt wurde, bei der SPÖ der Kassier kommt.“

Am 2. Oktober werden – mehr Geld hin oder her – voraussich­tlich wieder über 50.000 Freiwillig­e im Einsatz sein, und diesmal vermutlich (noch) penibler arbeiten. Denn in einem sind sich Hallak, Wernicke und Klein einig: Manche Fehler der Beisitzer mögen dilettanti­sch gewesen sein, andere sind durchaus nachvollzi­ehbar. Entscheide­nd für die Freiwillig­en sei ein guter Wahlleiter. Alle drei wurden von ihren Parteien geschult. Sie kennen die Regeln. Für Fortbildun­gen wären sie dennoch offen: „Schaden tut das nie“, sagt Hallak.

»Es ist meine Bürgerpfli­cht und eine Pflicht der Partei gegenüber.« Die Wahlkarten seien »ein irrer Aufwand« und das System »nicht fälschungs­sicher«.

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Fabry Bakri Hallak wird bei der Wahlwieder­holung am 2. Oktober erneut beisitzen.

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