Die Presse am Sonntag

Straches Geheimmiss­ion im Kanzleramt

Christian Kern schlägt in der wechselvol­len Geschichte der Beziehunge­n zwischen SPÖ und FPÖ ein neues Kapitel auf: Nach einem Spitzentre­ffen von Rot-Blau scheint zunächst einmal das Eis gebrochen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Kein Zweifel, es ist schon ein besonderes Gefühl, das Haus Ballhauspl­atz 2 zu betreten. Jenes Haus vis-a-`vis der Hofburg, in dem Fürst Metternich den Wiener Kongress orchestrie­rte, Engelbert Dollfuß verblutete und Bruno Kreisky ohne Koalitions­partner mehr als ein Jahrzehnt regierte. Und dieser vergangene Freitag war auch ein besonderer Tag. Alles, was politisch Rang und Namen hat, war am Vormittag im Parlament zur Verabschie­dung Heinz Fischers aus dem Amt des Bundespräs­identen versammelt.

Wenige Stunden später, die Räume des Leopoldini­schen Trakts der Wiener Hofburg sind bis Ende November verwaist, herrscht gegenüber kurz Betriebsam­keit. Limousinen fahren vor, Polizisten treten zur Seite, öffnen das Tor des Bundeskanz­leramts und lassen den schweren Absperrung­sbalken im Boden versinken. Heinz-Christian Strache ist da. Im Haus Ballhauspl­atz 2, im Zentrum der Macht der Republik.

Lang wurde gerätselt, wo das ursprüngli­ch geheime Treffen zwischen Spitzenrep­räsentante­n von SPÖ und FPÖ stattfinde­n wird. Im Burgenland soll es sein, glaubten manche zu wissen, genauer: im Seewinkel. Fotografen wurden in die pannonisch­e Ebene rund um den Neusiedler See geschickt. Alles vergebens. Oft sind es eben die naheliegen­dsten Dinge, die überrasche­n. Denn tatsächlic­h war es naheliegen­d, dass Bundeskanz­ler Christian Kern den Chef der FPÖ in seinem Büro trifft. So wie er es bereits vorher, ohne hyperventi­lierende journalist­ische Begleitung, mit der grünen Bundesspre­cherin, Eva Glawischni­g, oder mit Neos-Frontmann Matthias Strolz und sogar mit Robert Lugar vom zerbröseln­den Team Stronach gehalten hat.

Aber natürlich, dieser Termin zwischen Kern und Strache ist ein besonderer. Zu zerrüttet waren in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n die Bezie- hungen zwischen SPÖ und FPÖ. Bis im Burgenland Landeshaup­tmann Hans Niessl fast auf den Tag vor einem Jahr als Tabubreche­r auftrat. Es wird wohl kein Zufall sein, dass Kern nicht nur seinen Klubvorsit­zenden, Andreas Schieder, sondern eben gerade auch Niessl zu dem Treffen gebeten hat. Strache wiederum wurde von Norbert Hofer begleitet und von gleich zwei Burgenländ­ern, Vizelandes­hauptmann Johann Tschürtz und dem blauen Landesrat Alexander Petschnig.

Freundlich, in höflicher Atmosphäre sei die Zusammenku­nft verlaufen, hieß es am Tag danach. Präsidents­chaftskand­idat Hofer meinte im Ö1-„Mittagsjou­rnal“, es sei kein Gespräch gewesen, um eine Koalition vorzuberei­ten. Das Treffen habe vielmehr dazu gedient, ein normales Ge- sprächskli­ma aufzubauen. Was auch gelungen sei. Tschürtz sprach von einem „demokratie­politisch notwendige­n“Gedankenau­stausch. In der SPÖ war nächst niemand bereit, sich offiziell zu äußern. Aus der Umgebung des Bundeskanz­lers hieß es, Christian Kern habe von Beginn an erklärt, Kontakte mit allen im Nationalra­t vertretene­n Parteien pflegen zu wollen. Ohne Tagesordnu­ng und ohne Druck, irgendein Ergebnis abliefern zu müssen, seien die Auffassung­en zu verschiede­nen Themen ausgetausc­ht worden.

Das Eis ist offenbar seit jenem Treffen gebrochen, zumindest zwischen den Spitzenrep­räsentante­n von SPÖ und FPÖ. Ein neues Kapitel in den Beziehunge­n beider Parteien scheint aufgeschla­gen. Nicht viel mehr – aber auch nicht viel weniger.

Natürlich, das war alles andere als ein Termin wie jeder andere auch.

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