Die ruhige Hand
Jürgen Mechura ist nicht nur Gitarrist, sondern auch Glasschleifer bei der Wiener Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr. Seine Waldviertler Vorfahren legten ihm die Liebe zum Glas in die Wiege – und ein Paar ruhiger Hände.
Es gibt Schnitzel und Pizza, daneben steht der Lavendel in voller Pracht: Mittagszeit im Innenhof der Lobmeyr-Werkstätte in der Wiener Salesianergasse, im Sommer ein grünes, ruhiges Paradies. Jürgen Mechura sitzt neben seinen zu Mittag schmausenden Kollegen am Holztisch unter dem großen, weißen Sonnenschirm, vor ihm kein Mittagessen, sondern drei bauchige Wasserbecher aus dünnem Glas, in Rot, Blau und Grün.
Sie sind, selbstverständlich, von Lobmeyr angefertigt. Die Wiener Glasund Lusterwerkstatt gibt es seit 1823, Jürgen Mechura und seine Kollegen aus den Werkstätten sind somit Glieder in einer langen Kette der Tradition. In dem Hof in der Salesianergasse, der von der Mittagssonne ausgeleuchtet ist, produzieren sie Gläser und Karaffen, fertigen Details für Lampen und restaurieren die Luster aus den Innenstadtpalais. Mechura ist Glasschleifer, einer von dreien in der Manufaktur, ihr Arbeitsplatz ist im Trakt direkt neben dem Hoftor. Durch eine kleine Tür kommt man in eine Reihe gewölbeartiger Räume, im hintersten davon sind Holzbottiche aneinandergereiht, und dort verrichtet Mechura sein Handwerk. Die Luft bei den Glasschleifern ist gleichzeitig nass und staubig. Kleine Lampen sind auf die Bottiche gerichtet, über denen sich nasse Steinscheiben drehen, und hält Mechura das Glas gegen die Scheibe – so schleift man, die Ellbogen auf den Bottichrand gestützt –, sieht man, wie das Wasser fein in die Luft spritzt. Der Schleifer gibt dem Glas die Form: „Das kann sehr fein sein, aber auch grob“, sagt Mechura.
Eine absolut ruhige Arbeit ist das Schleifen dabei immer. Eine Arbeit auch für absolut ruhige Hände. An diesem Sommertag arbeitet Mechura an einem Set, das „von Herrn Loos“entworfen wurde, wie der Glasschleifer schmunzelnd sagt: Er meint das Trinkservice No. 248, 1931 von Adolf Loos für Lobmeyr entworfen, bis heute ein Verkaufsschlager mit seiner klaren, eleganten Form. Und eine Millimeterarbeit für den Handwerker. Der Boden der Gläser ist mit einem geometrischen Muster feinster Linien überzogen, die Mechura Strich für Strich einzeln ins Glas schleift. Für ihn ein Klacks, für jeden anderen mühsam: Der Druck des Glases gegen die Scheibe darf nicht zu stark sein, nicht zu langsam, dazu will die Linie auch noch richtig platziert werden. Waldviertler Glastradition. Mechura stammt selbst aus einem Traditionshaus, könnte man sagen. 1976 im Waldviertel geboren, per se eine Glashandwerksregion, seine Eltern waren Inhaber eines Glasschleifer- und Glas- malereibetriebs in Neunagelberg – „ein kleines, verträumtes Nest“, wie er meint, „im Nachbarort war direkt auch eine Glasfabrik, eine sehr belebte Gegend, was das angeht“–, direkt an der Grenze zu Tschechien. Dass der Sohn des Hauses das Handwerk ebenfalls erlernen sollte, stand da irgendwo im Raum: „Auch dadurch, dass einige meiner Vorfahren schon in der Glashütte gearbeitet hatten und eben der elterliche Betrieb da war.“Also ging es für Mechura nach Kramsach in Tirol zur Ausbildung zum Glasschleifer und Glasgraveur.
Er sei nicht uninteressiert daran gewesen, meint Mechura: „Ich dachte mir: Das probierst du jetzt einmal aus.“Doch die Ehe zwischen dem Waldviertel und der Glasindustrie zerbröckelte immer mehr. Das prägte die ersten Jah- re Mechuras in seinem Beruf. Immer öfter stellte er sich die Frage, was er denn machen könne, wenn es mit dem Glas im Waldviertel irgendwann endgültig vorbei sei. Der Betrieb der Eltern sperrte schließlich zu, auch die Glas- hütte, für die er anschließend arbeitete, fand dieses Schicksal. Wie gut, dass Mechura mit 18 eine Gitarre quasi in die Hände fiel: Mit 26 Jahren begann er das Studium an der Wiener Musikuniversität, nachdem er sich eine Zeit lang mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte. Das Glasthema sei damals für ihn erledigt gewesen. Doch auch in Wien holte die Herkunft Mechura ein: Gegen Ende des Musikstudiums ließ ihn ein Freund seiner Eltern, selbst Glasschleifer, wissen, dass bei Lobmeyr bald ein Platz für einen ebensolchen frei werde. Da auch die Musikwelt nicht unbedingt eine der fixen Arbeitsverhältnisse ist, begann Mechura erst aushilfsweise, dann vollständig damit, Lobmeyr-Gläser zu schleifen. Designer am Schleiftrog. „Natürlich mache ich hier einerseits meinen Job, es macht aber andererseits schon einen Unterschied, für welche Firma man ihn macht“, sagt Mechura, angesprochen auf seine Arbeit für das Wiener Traditionshaus. So beginnt er zwar jeden Arbeitstag „erst einmal mit einem Kaffee“, wie er lachend sagt, doch eine serielle Produktion gibt es
Adolf Loos’ Trinkservice No. 248 von 1931 ist bis heute ein Verkaufsschlager. »Es geht um die Kombination der Wünsche der Designer mit den Möglichkeiten.« »Wir sind Auffangbecken für spezialisierte Handwerker, die ihren eigenen Betrieb hatten.«
bei Lobmeyr nun einmal nicht. Viele Einzelstücke werden angefertigt, auf Kundenwünschen basierend; auch die Serien sind kleiner und mit Geschichte behaftet, wie eben das Service von Adolf Loos.
An anderen Tagen kann es auch sein, dass zwar nicht Herr Loos, aber andere namhafte Designer neben Mechura am Schleiftrog stehen. Gemeinsam mit dem Spezialisten arbeiten sie dann an ihren Modellen für ihre Lobmeyr-Kollektionen. „Da geht es dann darum, die Wünsche mit den Möglichkeiten zu kombinieren“, sagt Mechura, der zugibt, dass die Arbeit mit den Designern ein besonderes Element seiner Arbeit darstellt: „Die Zusammenarbeit mit den Designern ist immer etwas freier.“
Wie steht es generell um sein feines Metier? „Es ist fast nichts mehr davon übrig“, findet er, „unter denen, die ihr Handwerk auf diesem Niveau ausüben, sind wir ziemlich die Letzten.“Eine Einschätzung, die Leonid Rath, einer der Geschäftsführer bei Lobmeyr, teilt: Es sei bei allen Berufen, die von seinem Unternehmen benötigt werden, sehr schwer, überhaupt Leute zu finden, „das beginnt schon beim Verkauf.“Bei den Handwerkern investiere Lobmeyr in deren Ausbildung, immerhin gebe es kaum standardisierte Aufgaben, im Gegenzug suche man nach Leuten, die sich mit dem Traditionshaus identifizieren können, sagt Rath. „Im Moment dienen wir ein bisschen als Auffangbecken für spezialisierte Handwerker, die ihren eigenen Betrieb hatten.“ In der Wiener Werkstätte des Hauses – untergebracht in einem Haus in der Salesianergasse – kümmern sich Gürtler, Schlosser, Vergolder und Ziseleure um die Luster, Glasschleifer, Glaskugler und Kupferradgraveure um die Glaswaren. Das verwendete Glas wird aus Hütten in Tschechien, Ungarn oder Deutschland bezogen. Rund 25 Mitarbeiter hat Lobmeyr in der Werkstatt in Wien. Lehrlinge seien schwierig zu finden: „Friseur kommt vor Kupferradgraveur“, sagt Geschäftsführer Leonid Rath.