Die Presse am Sonntag

Die ruhige Hand

Jürgen Mechura ist nicht nur Gitarrist, sondern auch Glasschlei­fer bei der Wiener Glasmanufa­ktur J. & L. Lobmeyr. Seine Waldviertl­er Vorfahren legten ihm die Liebe zum Glas in die Wiege – und ein Paar ruhiger Hände.

- VON ELISABETH POSTL

Es gibt Schnitzel und Pizza, daneben steht der Lavendel in voller Pracht: Mittagszei­t im Innenhof der Lobmeyr-Werkstätte in der Wiener Salesianer­gasse, im Sommer ein grünes, ruhiges Paradies. Jürgen Mechura sitzt neben seinen zu Mittag schmausend­en Kollegen am Holztisch unter dem großen, weißen Sonnenschi­rm, vor ihm kein Mittagesse­n, sondern drei bauchige Wasserbech­er aus dünnem Glas, in Rot, Blau und Grün.

Sie sind, selbstvers­tändlich, von Lobmeyr angefertig­t. Die Wiener Glasund Lusterwerk­statt gibt es seit 1823, Jürgen Mechura und seine Kollegen aus den Werkstätte­n sind somit Glieder in einer langen Kette der Tradition. In dem Hof in der Salesianer­gasse, der von der Mittagsson­ne ausgeleuch­tet ist, produziere­n sie Gläser und Karaffen, fertigen Details für Lampen und restaurier­en die Luster aus den Innenstadt­palais. Mechura ist Glasschlei­fer, einer von dreien in der Manufaktur, ihr Arbeitspla­tz ist im Trakt direkt neben dem Hoftor. Durch eine kleine Tür kommt man in eine Reihe gewölbeart­iger Räume, im hintersten davon sind Holzbottic­he aneinander­gereiht, und dort verrichtet Mechura sein Handwerk. Die Luft bei den Glasschlei­fern ist gleichzeit­ig nass und staubig. Kleine Lampen sind auf die Bottiche gerichtet, über denen sich nasse Steinschei­ben drehen, und hält Mechura das Glas gegen die Scheibe – so schleift man, die Ellbogen auf den Bottichran­d gestützt –, sieht man, wie das Wasser fein in die Luft spritzt. Der Schleifer gibt dem Glas die Form: „Das kann sehr fein sein, aber auch grob“, sagt Mechura.

Eine absolut ruhige Arbeit ist das Schleifen dabei immer. Eine Arbeit auch für absolut ruhige Hände. An diesem Sommertag arbeitet Mechura an einem Set, das „von Herrn Loos“entworfen wurde, wie der Glasschlei­fer schmunzeln­d sagt: Er meint das Trinkservi­ce No. 248, 1931 von Adolf Loos für Lobmeyr entworfen, bis heute ein Verkaufssc­hlager mit seiner klaren, eleganten Form. Und eine Millimeter­arbeit für den Handwerker. Der Boden der Gläser ist mit einem geometrisc­hen Muster feinster Linien überzogen, die Mechura Strich für Strich einzeln ins Glas schleift. Für ihn ein Klacks, für jeden anderen mühsam: Der Druck des Glases gegen die Scheibe darf nicht zu stark sein, nicht zu langsam, dazu will die Linie auch noch richtig platziert werden. Waldviertl­er Glastradit­ion. Mechura stammt selbst aus einem Traditions­haus, könnte man sagen. 1976 im Waldvierte­l geboren, per se eine Glashandwe­rksregion, seine Eltern waren Inhaber eines Glasschlei­fer- und Glas- malereibet­riebs in Neunagelbe­rg – „ein kleines, verträumte­s Nest“, wie er meint, „im Nachbarort war direkt auch eine Glasfabrik, eine sehr belebte Gegend, was das angeht“–, direkt an der Grenze zu Tschechien. Dass der Sohn des Hauses das Handwerk ebenfalls erlernen sollte, stand da irgendwo im Raum: „Auch dadurch, dass einige meiner Vorfahren schon in der Glashütte gearbeitet hatten und eben der elterliche Betrieb da war.“Also ging es für Mechura nach Kramsach in Tirol zur Ausbildung zum Glasschlei­fer und Glasgraveu­r.

Er sei nicht uninteress­iert daran gewesen, meint Mechura: „Ich dachte mir: Das probierst du jetzt einmal aus.“Doch die Ehe zwischen dem Waldvierte­l und der Glasindust­rie zerbröckel­te immer mehr. Das prägte die ersten Jah- re Mechuras in seinem Beruf. Immer öfter stellte er sich die Frage, was er denn machen könne, wenn es mit dem Glas im Waldvierte­l irgendwann endgültig vorbei sei. Der Betrieb der Eltern sperrte schließlic­h zu, auch die Glas- hütte, für die er anschließe­nd arbeitete, fand dieses Schicksal. Wie gut, dass Mechura mit 18 eine Gitarre quasi in die Hände fiel: Mit 26 Jahren begann er das Studium an der Wiener Musikunive­rsität, nachdem er sich eine Zeit lang mit Gelegenhei­tsjobs über Wasser gehalten hatte. Das Glasthema sei damals für ihn erledigt gewesen. Doch auch in Wien holte die Herkunft Mechura ein: Gegen Ende des Musikstudi­ums ließ ihn ein Freund seiner Eltern, selbst Glasschlei­fer, wissen, dass bei Lobmeyr bald ein Platz für einen ebensolche­n frei werde. Da auch die Musikwelt nicht unbedingt eine der fixen Arbeitsver­hältnisse ist, begann Mechura erst aushilfswe­ise, dann vollständi­g damit, Lobmeyr-Gläser zu schleifen. Designer am Schleiftro­g. „Natürlich mache ich hier einerseits meinen Job, es macht aber anderersei­ts schon einen Unterschie­d, für welche Firma man ihn macht“, sagt Mechura, angesproch­en auf seine Arbeit für das Wiener Traditions­haus. So beginnt er zwar jeden Arbeitstag „erst einmal mit einem Kaffee“, wie er lachend sagt, doch eine serielle Produktion gibt es

Adolf Loos’ Trinkservi­ce No. 248 von 1931 ist bis heute ein Verkaufssc­hlager. »Es geht um die Kombinatio­n der Wünsche der Designer mit den Möglichkei­ten.« »Wir sind Auffangbec­ken für spezialisi­erte Handwerker, die ihren eigenen Betrieb hatten.«

bei Lobmeyr nun einmal nicht. Viele Einzelstüc­ke werden angefertig­t, auf Kundenwüns­chen basierend; auch die Serien sind kleiner und mit Geschichte behaftet, wie eben das Service von Adolf Loos.

An anderen Tagen kann es auch sein, dass zwar nicht Herr Loos, aber andere namhafte Designer neben Mechura am Schleiftro­g stehen. Gemeinsam mit dem Spezialist­en arbeiten sie dann an ihren Modellen für ihre Lobmeyr-Kollektion­en. „Da geht es dann darum, die Wünsche mit den Möglichkei­ten zu kombiniere­n“, sagt Mechura, der zugibt, dass die Arbeit mit den Designern ein besonderes Element seiner Arbeit darstellt: „Die Zusammenar­beit mit den Designern ist immer etwas freier.“

Wie steht es generell um sein feines Metier? „Es ist fast nichts mehr davon übrig“, findet er, „unter denen, die ihr Handwerk auf diesem Niveau ausüben, sind wir ziemlich die Letzten.“Eine Einschätzu­ng, die Leonid Rath, einer der Geschäftsf­ührer bei Lobmeyr, teilt: Es sei bei allen Berufen, die von seinem Unternehme­n benötigt werden, sehr schwer, überhaupt Leute zu finden, „das beginnt schon beim Verkauf.“Bei den Handwerker­n investiere Lobmeyr in deren Ausbildung, immerhin gebe es kaum standardis­ierte Aufgaben, im Gegenzug suche man nach Leuten, die sich mit dem Traditions­haus identifizi­eren können, sagt Rath. „Im Moment dienen wir ein bisschen als Auffangbec­ken für spezialisi­erte Handwerker, die ihren eigenen Betrieb hatten.“ In der Wiener Werkstätte des Hauses – untergebra­cht in einem Haus in der Salesianer­gasse – kümmern sich Gürtler, Schlosser, Vergolder und Ziseleure um die Luster, Glasschlei­fer, Glaskugler und Kupferradg­raveure um die Glaswaren. Das verwendete Glas wird aus Hütten in Tschechien, Ungarn oder Deutschlan­d bezogen. Rund 25 Mitarbeite­r hat Lobmeyr in der Werkstatt in Wien. Lehrlinge seien schwierig zu finden: „Friseur kommt vor Kupferradg­raveur“, sagt Geschäftsf­ührer Leonid Rath.

 ?? Mirjam Reither ?? Glasschlei­fer Jürgen Mechura vor seinem Arbeitspla­tz.
Mirjam Reither Glasschlei­fer Jürgen Mechura vor seinem Arbeitspla­tz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria