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Jahre verändert. Das ist mein Stolz“, sagt Xie. Wie bis zu 80 Prozent aller Austrochinesen stammt sie aus der südchinesischen Provinz Zhejiang.
Besonders aus den Städten Qingtian, Wenzhou und Wencheng trieb es viele Menschen mit schlechten Zukunftschancen ins Ausland. Sie folgten dem Ruf von Familie und Bekannten, die die Ausreise in Aussicht auf ein höheres Einkommen bereits gewagt hatten. Die ersten Chinesen sollen zwar schon 1780 nach Österreich eingewandert sein, schon vor dem Ersten Weltkrieg herrschte Angst vor einer „Chinesen-Invasion“. Doch der größte Zustrom setzte erst 1979 mit dem Ende der Kulturrevolution ein. Zunächst benötigten die Zuwanderer keine Arbeitsbewilligungen: Dem Innenministerium reichte als Voraussetzung für einen Aufenthalt lang selbst ein verschwindend geringer Anteil an einem China-Restaurant, erzählt der Sinologe Gerd Kaminski. Fundamentaler Umbruch. Noch heute arbeiten daher acht von zehn Austrochinesen in der Gastronomie. Schlechte Bildung und mangelnde Deutschkenntnisse waren für sie ein weiteres Argument für die Arbeit am Herd. Die billige Glutamatküche, mit „knusprig“und „süß-sauer“perfekt auf den heimischen Geschmack angepasst, war geboren. Mit der rasanten Zuwanderung aus China explodierte auch die Zahl der Lokale, sodass sich zurzeit selbst der kleinste Ort mit einem Chinesen ums Eck schmücken kann. Der schlechte Ruf chinesischer Küche in Österreich kratzte jedoch bald am Ego der China-Gastronomen: Seit Jahren setzt sich Zhu Maozou, Vizevorsitzender des chinesischen Gastronomievereins, dafür ein, Einreisebestimmungen für gelernte Köche aus China zu lockern. Es sei schlichtweg zu teuer für China-Restaurant-Besitzer in Österreich, gute Köche zu finden, die gleichzeitig die Kriterien für eine Aufenthaltsgenehmigung erfüllten. Darunter leide die Authentizität und Vielfalt.
Der Fachkräftemangel ist aber nur einer mehrerer Faktoren, die die chine-
Gerd Kaminski.
„Von Österreichern und anderen Chinesen“. ÖsterreichischChinesische Gesellschaft. Wien, 2011.
Faribah Mosleh.
„Vienna Chinatown Invisible. Eine Reise durch das chinesische Wien“. Präsens Verlag. Wien, 2014. sische Community fundamental verändern werden. So könnte der Prototyp des chinesischen Einwanderers, des 365 Tage im Jahr schuftenden Lokalbesitzers, bald Geschichte sein. Nicht zuletzt aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs in China haben einige Gastronomen bereits beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren. Mit „In Österreich gibt es nichts zu essen“, soll sich etwa der umtriebige Lu Jiaxian, der unter anderem das China-Restaurant im Donaupark gegründet hat, verabschiedet haben. Sein neues Hobby sei nun, in seiner Pension als reicher Überseechinese in chinesischen Fernsehserien aufzutreten, sagt Kaminski. Andere Lokalbetreiber, besonders die der zweiten Generation, sattelten mit einer modernen Einrichtung auf asiatische FusionKüche um. Auch Hilfsköche können die frischen, aber einfachen Speisen zubereiten. Die Ramien-Gruppe mit ihren Nudelspeisen war Vorreiter auf diesem Gebiet, erzählt Gao Quanlang. Er ist an der Kette beteiligt und führt im siebenten Bezirk sein eigenes Take-away-Lokal. Dabei wollte er als Kind nie in die Gastronomie, sagt der 43-Jährige. Zwischen den Welten. Gao kam mit neun Jahren nach Wien. Von Beginn an habe er im Restaurant seiner Eltern mitgeholfen, „als Tellerwäscher“. „Sie haben immer nur gearbeitet. So ein Leben wollte ich nicht haben.“Irgendwann sei er als „Gastro-Kind“dann doch bei seinen Ursprüngen gelandet. Auch die Dutzenden Wiener Verwandten, die mittlerweile über die Stadt verteilt mehr als 20 Lokale betreiben, habe er als Kind nie gesehen. Sie waren zu beschäftigt. „Ich bin mit Jugoslawen und Türken im Park aufgewachsen“, erklärt Gao. Früher habe er die Tage gezählt, an denen er endlich mehr Zeit in Österreich als in China verbracht haben würde. Erst seit seinem Auslandsjahr in Peking fühle er sich mehr chinesisch als österreichisch. Das Lokal der Eltern hat sein Bruder übernommen – ein Glücksfall, wie er nicht vielen Migranten der ersten Generation widerfährt.
Während ein Teil chinesischer Einwanderer inzwischen im Handel tätig ist, haben viele junge Austrochinesen ambitioniertere Ziele. Miao Haichaos Eltern sahen sich kürzlich gezwungen, ihren Betrieb in Niederösterreich zu schließen. Als Kinder aber mussten der 29-Jährige und seine Schwester an frei- en Tagen immer wieder im Gasthaus mithelfen. Dabei achteten die wenig gebildeten Wenzhou-Chinesen stets darauf, dass ihre Kinder die Ausbildung nicht vernachlässigten. Selbst ein Restaurant zu betreiben, kann sich der TU-Doktorand jedoch nicht vorstellen. Auch Gao wünscht sich für seine zwei Kinder eine andere Zukunft. Ihre chinesischen Wurzeln sollen sie aber nicht verlieren: Seit einigen Jahren besuchen sie jeden Samstag das Bildungszentrum
»Als chinesischer Einwanderer bin ich mit Jugoslawen, Türken im Park aufgewachsen.« »Die Haltung unserer Frauen hat sich über die Jahre verändert. Das ist mein Stolz.«
für chinesische Sprache in der Wasagasse im neunten Bezirk – eine von sieben Chinesisch-Schulen in Österreich.
1996 gründeten Johann Song, der nach Wien gekommen war, um in der „Musik-Welthauptstadt“Cello zu studieren, und der Vermessungstechniker Qian Faqian die Schule für ihre Kinder. Sie sollten Chinesisch nicht nur sprechen, sondern auch schreiben und lesen lernen. Damals reichte ein Raum in der Wiener Urania. Heute mietet der gemeinnützige Verein für seine 900 Schüler und 35 Lehrer wöchentlich ein ganzes Schulgebäude. Auf dem Programm stehen auch Kultur- und Sportkurse. „Meine Frau meinte damals, da wir nicht gut Deutsch sprechen, sollen zumindest unsere Kinder mit uns Chinesisch reden können“, scherzt Qian. Während seine Generation mit Integration zu kämpfen gehabt hätten, hätten hier aufgewachsene Chinesen ein anderes Problem: „Wir sind Chinesen und Migranten. Die zweite Generation hat diese Identität verloren. Sie sind Chinesen oder Österreicher, manchmal auch dazwischen“, sagt der 59-Jährige.
Die 16-jährige Jasmin ist letztlich froh, dass ihre Eltern sie zum Unterricht schickten. „Irgendwann kam der Punkt, an dem ich gern hergekommen bin.“Schließlich sei Chinesisch ihre Muttersprache – und sie wolle mit ihrem chinesischen Aussehen in China nicht anders behandelt werden, weil sie sich nicht richtig unterhalten könne. Jedenfalls wolle sie nach dem Studium einmal einen Beruf ausüben, der mit China zu tun habe. Auf Chinesisch verabschieden möchte sie sich offenbar dennoch nicht. „Ciao!“