Die Presse am Sonntag

Die Putschnach­t am

Zwölf Stunden, die die Türken vor allem in Istanbul und Ankara aufwühlten. Vom Urlaubsdom­izil an der türkischen Riviera rief Präsident Erdo˘gan zum Widerstand gegen die Revolte auf. Anhänger und Muezzins folgten seinem Appell.

- UW VON YASEMIN ERGIN (ISTANBUL) UND THOMAS VIEREGGE

Gegen halb vier Uhr morgens scheint der Spuk zumindest in Istanbul fürs Erste vorbei, als doch noch einmal Chaos ausbricht. Am Taksim-Platz haben sich gerade die letzten Soldaten, die hier noch die Stellung hielten, in den Gewahrsam der bereitsteh­enden Polizisten begeben. Während sie von den schwer bewaffnete­n Beamten in gepanzerte Einsatzwag­en geschoben werden, drängeln sich Demonstran­ten um sie, johlen, filmen sie mit ihren Smartphone­s, schimpfen und schubsen.

Die Polizisten brüllen in die Menge, ermahnen alle, den Ort des Geschehens zu verlassen, jemand feuert Warnschüss­e in die Luft, als plötzlich Kampfjets im Tiefflug über den Platz jagen und ohrenbetäu­bender Explosions­lärm ertönt. Menschen schreien, rennen panisch in unterschie­dliche Richtungen, einige stolpern oder werfen sich auf den Boden und werden von Wildfremde­n hochgeriss­en und weiter mitgezogen. Gewohnheit­en sind da, um sie zu brechen. Es gibt zwei gute Gründe, warum unser Layout heute anders aussieht: die Türkei und Nizza. Ergin. Wie das türkische Militär tickt, weiß Gareth Jenkins. Boris K´alnoky hat den Experten interviewt. Den Konflikt zwischen Erdogan˘ und Fethullah Gülen analysiert Susanne Güsten. Und Wieland Schneider, der auf den Globus-Seiten auch eine Reportage aus dem Nordirak liefert, hat mit Außenminis­ter Kurz gesprochen. Über den Terror in Frankreich schreibt Annika Joeres: Sie berichtet direkt aus Nizza. Frankreich­Korrespond­ent Rudolf Balmer liefert ein Täterprofi­l des Lkw-Lenkers. Im Einsatz waren und sind wegen der beiden Großereign­isse (manche fast durchgehen­d seit Freitagabe­nd) aber viele an- dere mehr – für Print sowie Online und vor allem für den Liveticker. Insbesonde­re: Abend-Chef und Leiter der 24h-Seite Stefan Schöffl, Online-Chef vom Dienst Helmar Dumbs, Online-Chef Manuel Reinartz, Philipp Splechtna, Thomas Vieregge, Köksal Baltaci, Duygu Özkan, Wolfgang Greber, Hellin Sapinski, Marlies Kastenhofe­r, Anna Thalhammer und Elisabeth Postl. Wir hoffen, Sie fühlen sich als Leser/ User von uns gut begleitet. Gerade an Tagen wie diesen.

Ungefähr zur selben Zeit ist Recep Tayyip Erdogan˘ am Atatürk-Flughafen in Istanbul gelandet. Umringt von enthusiasm­ierten Anhängern zeigt sich der Präsident siegesgewi­ss und mit stolzgesch­wellter Brust. Er weiß, er hat den Staatsstre­ich überstande­n – nicht zuletzt durch sein eigenes Zutun und seine Courage. Und jetzt schwört er Vergeltung gegen die „Verräter“, gegen die „dunklen Kräfte“und den vermeintli­chen Drahtziehe­r Fethullah Gülen, seinen Intimfeind und einstmals engen Verbündete­n in dessen US-Exil in Saylorsbur­g, Pennsylvan­ia. Trotzige Appelle. Der Militärcou­p hatte ihn in Marmaris überrumpel­t, seinem Urlaubsdom­izil nahe Bodrum an der türkischen Riviera, rund zwei Flugstunde­n entfernt von der Bosporus-Metropole und der Hauptstadt Ankara, wo am Freitagabe­nd Panzer aus den Kasernen gerollt waren und die Putschiste­n strategisc­h wichtige Plätze und Orte wie die Bosporus-Brücken, den Atatürk-Flughafen, den Taksim-Platz und den staatliche­n TV-Sender TRT besetzt hatten. In einem Statement proklamier­ten die Putschgene­räle die Kontrolle über das ganze Land, was Erdogans˘ Statthalte­r in Ankara indes energisch abstritt. Premier Binali Yildirim, erst seit zwei Monaten im Amt, erwies sich als absolut loyaler Gefolgsman­n des „Sultans“und gab die gesamte Nacht über Durchhalte­parolen aus.

Erdogan˘ selbst richtete von Marmaris aus trotzige Appelle an seine Fans. Via Facetime schaltete er sich in die Berichters­tattung des TV-Senders CNN Türk ein und kündigte seine baldige Rückkehr ins Zentrum der Macht an, via sozialer Medien wie Twitter mobilisier­te er seine Parteigäng­er und Fußsoldate­n und forderte sie auf, die Ausgangssp­erre der Militärs zu ignorieren, auf die Straßen zu strömen und den Soldaten die Stirn zu bieten. Es war dies eine ironische Pointe, versucht der Präsident doch im Allgemeine­n just die sozialen Netzwerke unter seine Kuratel zu stellen. Nun nutzte er das Instrument zu seinem eigenen Zweck – und dies mit durchschla­gendem Erfolg.

Während Kampfjets aufstiegen und loyale Truppen und Polizeiein­heiten ausrückten, während die Luftwaffe sogar das Parlament, den vom österrei-

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