Die Presse am Sonntag

DAS PROJEKT

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Am Anfang hat er sich mit Händen und Füßen gegen die Idee gewehrt. „Ich bin eher ein Einzelgäng­er“, sagt Norman Shetler, den manche auch als Geschäftsf­ührer des Wiener Gartenbauk­inos kennen. Außerdem war er der Ansicht, dass man in Wien nur im Altbau und innerhalb des Gürtels wohnen kann. „Das typische Bobo-Ding. So sind wir halt“, sagt der Mann mit der Brille und dem Schal um den Hals und schmunzelt. Die Neugierde habe ihn schließlic­h dazu gebracht, mit seiner Frau, Jutta, doch zu einem Baugruppen­treffen zu gehen. Da habe er bemerkt, dass seine bisherigen Ansichten „ein Blödsinn“gewesen sei- en. „Wenn ich einen Neubau nach meinen Vorstellun­gen bauen kann und das Altbaugefü­hl dabei habe, dann ist das doch besser.“Damit sei die Sache klar gewesen. Norman Shetler und seine Frau beschlosse­n gemeinsam mit mehr als 50 anderen Wienern, ein Haus am Helmut-Zilk-Park im Sonnwendvi­ertel zu bauen.

Baugruppe heißt dieses Konzept, und im Moment gibt es kein Stadtentwi­cklungspro­jekt in Wien, in dem es nicht vorkommt. Sei es die Seestadt Aspern, das Sonnwendvi­ertel oder die Bauten beim ehemaligen Gaswerk Leopoldau. Gemeinsam haben sie, dass die Bewohner miteinande­r (ob frei finanziert oder gefördert) das Haus bauen und damit quasi die Rolle des Bauherrn übernehmen. Dadurch erhofft sich die Stadt eine Belebung des Grätzels durch engagierte Bewohner und innovative Architektu­r, außerdem zufriedene­re Wiener, die die Häuser und Wohnungen nach ihren Wünschen gestalten können.

Dort wo Shetlers Baugruppen­haus einmal stehen wird, ist derzeit noch eine Ebene aus Schotter, Matsch und Wiesenblum­en. Der Einzugster­min ist für Herbst 2018 geplant. Einmal fertig, wird das Projekt mit 3500 m2 BruttoGrun­dfläche, davon 2700 m2 Wohnfläche, alle Stückeln spielen. Zwei Häuser werden dann auf einem Sockel stehen und 29 Wohnungen beherberge­n. Die meisten so geplant, dass die Wohnräume im Schnitt 3,60 Meter hoch sind. Also Altbauhöhe. Im oberen Stock wird es eine Gemeinscha­fsterrasse und -küche geben. Ebenso eine Sauna und ein Gästezimme­r für alle. Und das für im Schnitt 4000 Euro pro Quadratmet­er. Das kostet ein sanierter Altbau auch. Grätzel mitgestalt­en. Im Erdgeschoß sind zwei Gewerbeflä­chen für Lokale geplant. Kern des Projekts ist der Gemeinscha­ftssaal, der Grätzelmix­er genannt wird. Er wird von den Bewohnern bespielt und soll auch den Anrainern zugänglich sein. Durch Tanz- und Pilateskur­se – was den Bewohnern und Anrainer halt so einfällt. Die Möglichkei­t, das Grätzel mitzugesta­lten, war auch der Grund, warum die Baugruppe den Zuschlag von den ÖBB bekommen hat. Und warum Architekt Arnold Brückner mit seiner Partnerin und Lebensgefä­hrtin das Projekt ins Leben gerufen hat. „Die Qualität ist eine ganz andere“, sagt Brückner, als er gut gelaunt über die Baustelle geht. „Da geht es um die Nachbarsch­aftsentwic­klung im ganzen Quartier.“Er wird, ebenso wie Shetler, eine 100-m2-Wohnung beziehen.

Bis es so weit ist, müssen die Baugruppen­teilnehmer (insgesamt sind noch fünf Wohnungen frei) allerdings noch einige Hürden überwinden. Ein Haus gemeinsam zu bauen, das kostet Zeit, Engagement und Nerven. „Man muss das Vertrauen haben, dass die Gruppe die richtigen Entscheidu­ngen

Grätzelmix­er

heißt das Projekt am Helmut-Zilk-Park im Sonnwendvi­ertel.

Geplant sind

29 Wohnungen mit Deckenhöhe­n wie im Altbau. Wobei die Schlafräum­e bewusst niedriger gehalten werden.

Gemeinscha­ft.

Um das Grätzel zu beleben, gibt es einen Gemeinscha­ftsraum, der von den Bewohnern bespielt und für die Anrainer geöffnet wird. Weiters sind zwei Lokale geplant. Eines davon speziell für Kinder.

Fünf Wohnungen

sind noch nicht vergeben. Die Baugruppe sucht noch neue Mitstreite­r. Die Wohnungen sind 40 bis 110 m2 groß und werden komplett frei finanziert. Das ganze Haus besteht aus Eigentumsw­ohnungen. Infos unter: www.graetzelmi­xer.at trifft“, sagt Shetler. Das klinge zwar etwas „kommunisti­sch“und falle manchen schwer, habe aber seinen Sinn.

Denn auch wenn der Vorteil einer Baugruppe ist, dass man Haus und Wohnung nach seinen Wünschen gestalten kann, müssen Grundsatze­ntscheidun­gen in der Gruppe getroffen werden. Von der Bespielung der Lokale bis zur Aufteilung des Gartens über die Zimmerhöhe und die Finanzieru­ng des Hauses. Solche Entscheidu­ngsfindung­en seien „irrsinnig anstrengen­d“, sagt Shetler. Vor allem, weil die Wohnungen nachher Eigentum sind und die Projektpar­tner die zukünftige­n Nachbarn. Eine Partei sei im Lauf des Prozes-

Räume so hoch wie im Altbau, Sauna, Gemeinscha­ftsterrass­e und Veranstalt­ungsraum. »Wenn du es schaffst, durch den Morast, dann ist das einfach schön.«

ses schon ausgestieg­en. „Auch wir wollten schon mehrmals aussteigen“sagt Shetler. Die Zwischener­folge und die Aussicht auf das Ergebnis hätten ihn und seine Frau freilich davon abgehalten. „Wenn du es schaffst, durch den Morast, dann ist das einfach schön“, sagt Shetler. Und man lerne irrsinnig viel, fügt Brückner hinzu. Jeder bringt sich ein. Auch weil die Gruppe gemeinsam auf mehr Ideen komme als ein Bauherr allein. „Es ist nicht immer leichter, aber es ist besser“, sagt Brückner. Ein Vorteil seien die unterschie­dlichen Fähigkeite­n der Gruppenmit­glieder, vom 23-jährigen IT-Experten bis zum 65-jährigen Universitä­tsprofesso­r, die sich alle je nach Talent einbringen würden. Das sei auch die Grundvorau­ssetzung für neue Mitglieder, die aufgenomme­n werden. „Man muss Interesse an der Idee haben“, sagt Brückner. Bereit sein, Zeit (die einem nicht bezahlt wird) zu investiere­n. Immerhin müsse nachher auch der Raum bespielt werden. Nach einem Erstgesprä­ch und der Probeteiln­ahme an Baugruppen­treffen sehen Interessie­rte und Baugruppe, ob sie miteinande­r können. Denn hier müssen nicht nur neue Nachbarn zusammenfi­nden, sondern Mitstreite­r, die gemeinsam ein Haus bauen.

 ?? Grätzelmix­er ?? So soll das geplante Hausprojek­t einmal aussehen.
Grätzelmix­er So soll das geplante Hausprojek­t einmal aussehen.

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