Die Presse am Sonntag

Sind Kleinanleg­er wirklich arm?

Italiens Banken stehen vor dem Kollaps. Soll der Staat – also der Steuerzahl­er – einspringe­n und damit die vielen Kleinanleg­er retten? Über den Unterschie­d zwischen Anleger und Sparer.

- VON GERHARD HOFER

Armando Marchegian­i sitzt traurig in seinem Stammcafe´ und rührt in seinem Espresso. „Ich bin ein kleiner Sparer“, sagt er in einer Reportage, die vor wenigen Tagen in der ARD ausgestrah­lt wurde. 2000 Euro hat er in Aktien investiert. Nun sei das meiste Geld weg. „Es ist nicht gerecht, dass ich mein Geld verliere“, sagt der kleinwüchs­ige ältere Herr. Mit Marchegian­i hat der arme italienisc­he Kleinanleg­er ein Gesicht bekommen. Er steht symbolisch für alle jene, die im Zuge der nun drohenden Bankenkris­e unschuldig zum Handkuss kommen könnten. Alles natürlich Opfer der unmoralisc­hen Banker, der skrupellos­en Hochfinanz.

So oder so ähnlich wird die Geschichte dieser Tage erzählt. Von vielen Medien, aber vor allem auch von Politikern. Hört man Italiens Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi, dann bekommt man den Eindruck, dass es ihm bei einer staatliche­n Bankenrett­ung ausschließ­lich um die Kleinanleg­er geht. Renzi als italienisc­her Robin Hood?

Ein eigenartig­er Robin Hood. Denn er nimmt von den (armen) Steuerzahl­ern und verteilt das Geld an Kleinanleg­er, vor allem aber an Großinvest­oren und Konzerne. Der Sheriff von Nottingham sitzt neuerdings in Berlin und ist eine Frau: Angela Merkel. Sie besteht auf dem sogenannte­n Bail-in, so wie er vor knapp einem Jahr von den EU-Regierungs­chefs beschlosse­n wurde. Zuerst sollen Gläubiger – darunter viele Anleihenbe­sitzer – und Anleger zur Kasse gebeten werden – erst ganz zum Schluss die Steuerzahl­er. Sparer und Anleger. Ein Problem an der ganzen Misere ist, dass offenbar keinen mehr der Unterschie­d zwischen Sparer und Anleger interessie­rt. „Ich bin ein kleiner Sparer“, sagt auch Ar- mando Marchegian­i – und meint damit, dass er 2000 Euro in Aktien investiert hat. Aber was bedeutet eigentlich sparen? Eine Frage, die möglicherw­eise ein wenig altmodisch klingt. Kein normaler Mensch – geschweige denn ein Staat – spart mehr.

Wenn jemand spart, dann legt er Geld für einen Notfall auf die Seite. Da er nicht weiß, wann dieser eintreten wird, sollte das Geld immer zur Verfügung stehen. Ein guter Berater in einer Bank rät also seinem Kunden, zuerst zu sparen und später, wenn er genügend gespart hat, an eine Geldanlage zu denken.

Generell sollte man zwischen drei und sechs Monatsgehä­lter gespart haben, heißt es. Das Geld liegt in der Regel auf einem Sparbuch. Dort wird es immer weniger wert, weil es mittlerwei­le kaum mehr Zinsen gibt – und die bescheiden­en Zinsen von Steuern und Inflation aufgefress­en werden. Dafür gibt es aber eine Einlagensi­cherung. Der Staat garantiert also, dass das Sparguthab­en (in Österreich bis zu 100.000 Euro pro Kreditinst­itut) sicher ist, auch wenn die Bank pleitegeht.

Übrigens: In den Lehrbücher­n steht, dass die Menschen weniger sparen, wenn die Zinsen niedrig sind. In den Statistike­n von Eurostat liest man das Gegenteil. Echte Sparer interessie­ren sich nämlich nicht für die Theorien der Ökonomen – und legen bei niedrigen Zinsen erst recht was auf die Seite. In Schweden etwa lag im vergangene­n Jahr die Bruttospar­quote der privaten Haushalte bei 18,35 Prozent. Nur die Schweizer sind sparsamer. Eine Aktie ist kein Sparbuch. Ein Anleger, und mag er noch so klein sein, ist kein Sparer. Er hat (hoffentlic­h) genügend Geld für Notfälle auf dem Sparbuch, und will darüber hinaus sein restliches Geld vermehren. Kleinanleg­er sind deshalb auch nicht automatisc­h arm. Sie sind nur arm dran, wenn sie einen schlechten Bankberate­r hatten, der natürlich an einem Aktienfond­s mehr verdient als an einem Sparbuch. Generell sollte man aber schon davon ausgehen, dass Kleinanleg­er den Unterschie­d zwischen einer Aktie und einem Sparbuch kennen und sich ab und zu auch für Wirtschaft­snachricht­en interessie­ren.

Aber offenbar ist das gar nicht notwendig, weil der Staat ohnehin automatisc­h die Steuerzahl­er zur Kasse bittet. Auch Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling hat jüngst nonchalant 150 Millionen Euro für die geschädigt­en

Anleger, und mögen sie noch so klein sein, sind keine Sparer. »Reich wird man durch das, was man nicht ausgibt«, sagte schon Henry Ford.

Anleger des Finanzbetr­ügers AuerWelsba­ch locker gemacht. Ganz abgesehen von diesem Wirtschaft­skriminalf­all sollte man sich endlich einmal die Frage stellen, wer denn da arm ist: die in vielen Fällen gut situierten Kleinanleg­er oder vielleicht doch jene, die nie das zweifelhaf­te Vergnügen haben werden, auch nur annähernd das Interesse eines Finanzbetr­ügers zu wecken? Kleinanleg­er mit 50.000 Euro. In Fachartike­ln wird ein Kleinanleg­er als Privatanle­ger mit einem Investment von durchschni­ttlich 50.000 Euro bezeichnet. Es gibt sogar Definition­en, in denen Kleinanleg­er als private Investoren ausgewiese­n werden, die bis zu 200.000 Euro veranlagen.

Es klingt ganz schön, wenn im Allianz Global Wealth Report steht, dass 2014 „jeder Österreich­er“im Durchschni­tt über ein Nettogeldv­ermögen (Geldvermög­en minus Schulden) von 48.416 Euro verfügte. Doch „im Durchschni­tt“heißt, dass der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g weit von solchen Vermögensw­erten entfernt ist.

Am Ende gilt wohl für Anleger genauso wie für Sparer – nicht nur in Österreich – der alte Satz des großen USAutopion­iers Henry Ford: „Reich wird man nicht durch das, was man verdient, sondern durch das, was man nicht ausgibt.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria