Die Presse am Sonntag

Das flotte Rennen um die faulen Esser

Feine Küche, vom Fahrradbot­en nach Hause geliefert: Mit diesem Konzept mischt Foodora die Branche der Essenszust­ellung auf. Das Geld ist hart verdient, für Wirt, Kurier und Onlineplat­tform. Aber der Hunger im neuen Markt ist ungestillt.

- VON KARL GAULHOFER

Er tritt in die Pedale, als ginge es um sein Leben. Konstantin hat keine Zeit zu verlieren. Die Uhr tickt, die App piepst, der Rucksack dampft. Die Mission des jungen Wieners: Er muss die hungrigen Mäuler kochfauler Großstädte­r stopfen, vom Wirt zum Kunden eilen, solang die feine Speise noch warm ist. Aber er liebt ja das temporeich­e Leben: „Mit dem Radl durch die Stadt zu flitzen und damit sogar Geld zu verdienen war immer schon mein Traum.“

Acht Monate wilde Jagd, zwischen Zivildiens­t und Studium, hat er schon hinter sich. Jetzt weiß er: Es ist wenig Geld und hart verdient. Heute peitscht ihm der Regen ins Gesicht. Dafür geht er in hippen Futterplät­zen ein und aus, liefert in schicke Lofts und HinterhofS­tart-ups. „Einmal habe ich 30-EuroSteaks in eine Studentenb­ude geliefert. Die waren dort total eingerauch­t“, grinst er. Die Klientel ist eben leicht gehoben bis abgehoben, was auch am Anbieter liegt. „Foodora“prangt auf der pinkfarben­en Box, die Konstantin schultert.

Wer in Wien lebt, kann das Symbol kaum noch übersehen. 200 Boten fahren für die Onlineplat­tform kreuz und quer durch die zentralen Bezirke, von elf am Morgen bis elf am Abend. Dabei hat das Start-up aus Berlin erst vor einem Jahr sein Fähnchen in Österreich aufgesteck­t. Aber es wächst rasch und fällt auf, wegen der ungewohnte­n Zustellart und der feineren Auswahl an Lokalen. Sogar Haubenköch­e sind im Programm. Aber Konstantin weiß: Nur in rund einem Viertel der Fälle liefert er das, was sich die Leute im Restaurant gern bestellen. Am besten geht auch bei Foodora schnelles Essen: Pizza, Burger und Sushi. Aber, wie Marketingl­eiter Nikolas Jonas betont, es sind eben das hochwertig­e Sushi und die besten Burger, die sich die Kunden ins traute Heim bringen lassen. Ein David, zwei Goliaths. Mit diesem Konzept mischt der Newcomer auch hierzuland­e den Markt der Essensverm­ittler auf. Dabei ist er nur ein kleiner, exotischer Fisch in einem großen Teich. Dominiert wird der Markt von jenen Plattforme­n, die das Essen für Zuhause nur im Internet vermitteln, aber die Zustellung – per Auto oder Moped – dem Lokal überlassen. Hier gibt es in Österreich nur noch zwei große Player: Mjam und Lieferserv­ice. Die meisten kleinen haben sie schon gefressen. Mjam ist in den Städten stärker, Lieferserv­ice auf dem Land. Lang wuchs der Markt für diese Plattforme­n extrem stark, mit rund 70 Prozent pro Jahr. Die Kurve flacht sich naturgemäß ab. Dennoch: 30 bis 40 Prozent Umsatzwach­stum in einem schon etablierte­n Markt gibt es nicht oft.

Weshalb auch der Hunger der Risikokapi­talinvesto­ren ungebroche­n ist: Bei drei ihrer fünf größten Kapitalspr­itzen in Deutschlan­d ging es im Vorjahr um zugestellt­es Essen. Gut möglich, dass wegen der Skaleneffe­kte, also der Kostenvort­eile durch Größe, am Ende nur ganz wenige Anbieter übrig bleiben. Oder vielleicht gar nur einer? Das kecke Tempo der Kuriere ganz unten spiegelt sich in den kühnen Planspiele­n ganz oben. Die atemlose Jagd, so scheint es, hat eben erst angefangen.

Dabei begann alles so beschaulic­h. Früher druckten Wirte Flugblätte­r und verteilten sie an Haustüren, mit dem Angebot: Ruft uns an, wir liefern euch unsere Speisen nach Hause. Bis schlaue Nerds eine Idee hatten: Wenn man eine Plattform im Internet entwickelt, die verschiede­ne Lieferdien­ste bündelt, hat der hungrige Kunde eine größere Auswahl und kann bequemer bestellen. So funktionie­ren die heimischen Platzhirsc­he bis heute. MjamChef Michael Hagenau weiß, was Wirte wollen: „Wir machen dir die Werbung, im Fernsehen und auf Plakaten, stellen den Bestellabl­auf sicher und fangen Kundenbesc­hwerden ab – und du konzentrie­rst dich auf das, was du kannst: kochen.“Dafür kassiert der Vermittler einheitlic­h 15 Prozent Provision.

Das Geschäftsm­odell von Foodora ist ungleich hürdenreic­her. Das beginnt schon mit dem Rücken der Radler: Sie beugen sich über die Lenkstange, die Speisen neigen sich mit. „Der Bufala-Mozzarella ist die Inkarnatio­n des Problems“, seufzt Raphael Sinodinos, der sonst so siegesgewi­sse Österreich-Chef. Im Lokal ist der Käse noch fest, auf der Fahrt schmilzt er und staut sich in einer Ecke der Pizza. An der Lösung wird gearbeitet. Bote Konstantin kann die „Wackelträg­ertasche“kaum noch erwarten. Vielleicht lassen sich bald ja auch Käseplatte­n und Cremetorte­n fixieren, bis jetzt ein No-Go. Damit die Restaurant­s mehr von ihrer stationäre­n Karte anbieten können, tüftelt man bei Foodora an einer Bento-Box wie beim Japaner. Freilich: Dazu einen Haubenkoch zu überreden, der seine Speisen sonst wie ein Kunstwerk arrangiert, erfordert diplomatis­ches Geschick beim Vertriebsm­itarbeiter. Nur kein Leerlauf. Viel zu tun haben auch die Programmie­rer. Sie müssen für optimierte Streckenfü­hrung und Einsatzplä­ne sorgen. Nur eine halbe Stunde darf eine Zustellung dauern, in der Box des Radlers sollen die Speisen nur zehn Minuten verweilen. Das ergibt einen Umkreis zum Restaurant von maximal zwei Kilometern.

Das Schreckges­penst heißt Leerlauf. Vorhersage­modelle sollen sicherstel­len, dass jeder Bote sofort nach der Zustellung einen Folgeauftr­ag auf dem Bildschirm seines Smartphone­s findet. Denn sonst schaffen die Radler nicht die zwei Lieferunge­n pro Stunde, auf denen die Kalkulatio­n beruht. Also: nicht zu viele Fahrer am schwachen Nachmittag. Aber auch nicht zu wenige zu den Spitzenzei­ten am Sonntag- abend – oder während eines EMSpiels. Was da abging, „war eine sehr interessan­te Erfahrung“, erinnert sich Marketingm­ann Jonas.

Für all diese Mühen kassiert Foodora eine Liefergebü­hr vom Kunden (3,50 Euro) und eine Provision vom Restaurant. Deren Höhe? Ein heikles Thema. Weil von ihr der Erfolg auf beiden Seiten abhängt, ist sie Verhandlun­gssache. In der Regel, weiß man aus Deutschlan­d, liegt sie zwischen 25 und 30 Prozent. Das ergibt eine knappe Kalkulatio­n für beide Seiten. Denn auch die Margen der Restaurant­s liegen meist kaum über 30 Prozent.

Es dominieren Plattforme­n, die nur vermitteln, aber das Lokal selbst liefern lassen. Den deutschen Heimmarkt muss man sich mit Deliveroo teilen. Das Konzept ist ident.

Und dann ist da noch die liebe Konkurrenz. Auch sie schläft nicht, sondern strampelt. Den deutschen Heimmarkt muss sich Foodora schon mit Deliveroo teilen. Die beiden Anbieter mit dem identische­n Konzept liefern sich zurzeit eine heftige Schlacht mit Gutscheine­n und Aktionen. Ob die bald auch in Österreich ausbricht? Bei Deliveroo lässt man sich nichts entlocken. Fest steht: Wenn sie kommen, wird es eng. Wegen der geringen Reichweite der Radler und der nötigen Dichte an Lokalen funktionie­rt das Geschäftsm­odell nur in Großstädte­n ab einer halben Million Einwohnern, und auch dort nicht in allen Stadtviert­eln. Deshalb plant Foodora auch keine Expansion in die Bundesländ­er. Nachahmer willkommen. Sicher: In den urbanen Kernzonen ist das Fahrrad unschlagba­r schnell und flexibel. Aber es verhindert auch Größenvort­eile: Mehr als eine Bestellung geht in den Rucksack des Radlers nicht rein. Eine Einschränk­ung, die für Autos nicht gilt. Darauf setzt Uber – der Taxivermit­tler scharrt mit seinem Ableger Uber Eats auch in Europa in den Startlöche­rn. In Paris ist er schon gelandet. Das ist dem gebürtigen Franzosen Sinodinos natürlich nicht entgangen. Aber der Wiener

 ?? Clemens Fabry ?? Im Wiener Stadtbild sind sie nicht mehr zu übersehen: Die 200 Futter-Flitzer des Start-ups Foodora. Das große Geschäft aber machen andere.
Clemens Fabry Im Wiener Stadtbild sind sie nicht mehr zu übersehen: Die 200 Futter-Flitzer des Start-ups Foodora. Das große Geschäft aber machen andere.

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