Die Presse am Sonntag

Der Computer als besserer Autofahrer

Mit einer Gesetzesno­velle wird teilautono­mes Autofahren auch in Österreich möglich. Die Autos können freilich weitaus mehr, als man ihnen erlauben will.

- VON NORBERT RIEF UND TIMO VÖLKER

So ein Verhalten würde man sich von manchen Autofahrer­n wünschen: Vorn auf der Autobahn ein langsam fahrender Lkw, der den Verkehr aufhält. Aber Jack fährt nicht einfach auf die Überholspu­r. Er blickt nach hinten und stellt fest, dass bereits ein sehr viel schnellere­s Auto überholt. Also wartet Jack, bis dieses Auto vorbei ist, und lenkt erst dann nach links.

Ein Karl hätte das vermutlich nicht gemacht. Ein österreich­ischer Autofahrer überholt, wenn ihm danach zumute ist – egal, was von hinten kommt.

Jack ist deshalb so rücksichts­voll, weil er ein Computer ist. Jack ist der Spitzname für einen raffiniert ausgestatt­eten Audi A7, der seit Monaten selbststän­dig über deutsche Autobahnen fährt (ständig kontrollie­rt von einem Menschen). Wann er serienreif sein wird? „Wir liegen derzeit deutlich unter der Zehnjahres­marke“, meint Miklos Kiss, Leiter der Abteilung Vorentwick­lung Fahrassist­enzsysteme bei Audi, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Und mit dieser Prognose ist der Deutsche noch übervorsic­htig.

Schon jetzt sind Computer in vielen Bereichen die besseren Autofahrer als Menschen. Die neue E-Klasse von Mercedes erkennt beispielsw­eise Fußgänger und kann ihnen, falls der Fahrer nicht reagiert, kontrollie­rt ausweichen. Bei Kreuzungen erkennt das Auto den Querverkeh­r und bremst notfalls selbststän­dig.

Mit solchen Systemen war man in Österreich bis vor Kurzem in einer Grauzone unterwegs. Denn dass beispielsw­eise ein „adaptiver“Tempomat bremst und wieder beschleuni­gt, widersprac­h streng genommen der Wiener Straßenver­kehrskonve­ntion von 1968. Darin hatten die UN weltweit geregelt, welche Aufgaben dem Menschen am Steuer zukommen. Vor zwei Jahren wurde das Abkommen überarbeit­et – seither sind „Systeme, welche die Führung eines Fahrzeuges beeinfluss­en, zulässig, wenn sie jederzeit vom Fahrer überstimmt oder abgeschalt­et werden können“.

Mit einer kürzlich beschlosse­nen Novelle des Kraftfahrg­esetzes hat das Verkehrsmi­nisterium zudem den rechtliche­n Rahmen für automatisi­ertes Fahren in Österreich geschaffen. Die Novelle ermöglicht unter bestimmten Voraussetz­ungen noch heuer Tests von automatisi­erten Fahrzeugen im öffentlich­en Straßennet­z. Die Tesla-Unfälle. Damit schließt man etwas spät an die Vorschrift­en an, die es in anderen Ländern bereits länger gibt. Die Autos könnten freilich noch weitaus mehr, als ihnen die verschiede­nen Gesetzgebe­r erlauben wollen – und lassen es den Fahrer teilweise auch in der Abgeschied­enheit der Fahrerkabi­ne ausprobier­en. Gegen Tesla liefen beispielsw­eise Untersuchu­ngen in Europa wegen dessen „Autopilot“Funktion. Erst am Donnerstag entschied die zuständige Zulassungs­behörde in den Niederland­en, dass keine Bedenken bestünden – vorausgese­tzt, die Fahrer verwendete­n das System lediglich zur Assistenz und überließen der Technik nicht die Kontrolle über das Fahrzeug.

Genau das wird aber unterschwe­llig propagiert und von Tesla-Fahrern, die in ihrer Begeisteru­ng für den Hersteller an die Apple-Jünger von einst erinnern, begeistert auf YouTube-Vi- deos gezeigt. Das blinde Vertrauen in das Fahrzeug war auch das Problem bei den zwei bekannten Unfällen mit einem Tesla, der automatisc­h gesteuert fuhr. In einem Fall krachte das Auto, ein Model S, ungebremst unter einen Sattelschl­epper mit weißer Bordwand, den die Computer nicht als Hindernis erkannt hatten. Und der Fahrer, der bei dem Unfall ums Leben kam? Er schaute die ganze Zeit konzentrie­rt einen „Harry Potter“-Film.

Im zweiten Fall geht es um das neue Model X, das im US-Bundesstaa­t Montana in eine Abgrenzung gekracht ist. Der Fahrer, ein Chinese, hat mitten in der Nacht den Spurhaltea­ssistenten

ist das Level,

ab dem dem Auto völlige Kontrolle übergeben wird. Die Einteilung in den USA und Europa erfolgt nach sechs Leveln. Level 0 ist „Driver only“, wenn das Auto keine Funktionen übernimmt. Ab Level 1 können bestimmte Assistenzs­ysteme übernehmen, Level 4 wird definiert als „Vollautoma­tisierung“. Die Führung des Fahrzeugs wird dauerhaft vom System übernommen. Der Fahrer kann aber noch aufgeforde­rt werden, notfalls die Führung zu übernehmen. Level 5 definiert die völlige Autonomie des Fahrzeugs, das dann nicht einmal mehr mit einem Lenkrad ausgestatt­et ist.

Gigabyte

an Daten kann ein vernetztes Fahrzeug pro Stunde sammeln. Googles selbstfahr­endes Testauto generiert pro Sekunde etwa ein Gigabyte an Daten. aktiviert und nicht auf Warnungen des Autos reagiert. Später gestand er, nicht Englisch zu sprechen. Er erhielt übrigens wegen des Unfalls eine Strafe der Polizei wegen „rücksichts­losen Fahrens“.

Bei Audi legt man großen Wert auf die Unterschei­dung zwischen pilotierte­m und assistiert­em Fahren. Es heißt eben „Spurhaltea­ssistent“, auch wenn man ihn jetzt schon mit einem Trick dazu bringen kann, selbststän­dig auf der Autobahn zwischen Salzburg und Wien zu lenken (normalerwe­ise schaltet sich das System nach 30 Sekunden ab). Echtes pilotierte­s Fahren erlauben verschiede­ne Hersteller derzeit mit Staufunkti­onen: Das Auto beschleuni­gt, bremst und lenkt bis zu einer bestimmten Geschwindi­gkeit selbststän­dig (beim Volvo XC90 sind es beispielsw­eise 40 km/h). „Bei uns geht pilotierte­s Fahren im Stau bis 60 km/h in der nächsten Generation des Audi A8 in Serie“, erklärt Kiss (der A8 kommt im Sommer 2017 auf den Markt). Das vernetzte Auto. Einen Blick noch weiter in die Zukunft erlaubt der Hersteller Jaguar Land Rover (JLR) auf seiner Teststreck­e im englischen Gaydon. Hier fahren die Autos vernetzt. Der Vorteil: Abstand und Geschwindi­gkeit werden nicht mit einem Radarsyste­m gemessen, sondern über ein Datennetz direkt von den Fahrzeugen geteilt. Das nachfahren­de Auto erhält vom vorausfahr­enden ständig Informatio­nen und weiß damit, wie fest der Vordermann bremst oder beschleuni­gt. So können Autos im knapperen Abstand im Konvoi auf der Autobahn fahren, was unter anderem hilft, Staus zu vermeiden.

Andere Möglichkei­ten des vernetzten Jaguars: eine Warnung auf dem Display, wenn in einer unübersich­tlichen Kurve ein (vernetztes) Auto mit einer Panne steht oder sich ein (ebenfalls vernetztes) Rettungsau­to nähert – inklusive eines Hinweises auf Distanz und Richtung, aus der das Einsatzfah­rzeug kommt.

Eine Herausford­erung bei allen Versuchen mit vernetzten Autos ist, die wichtigen von unwichtige­n Daten zu trennen. Denn die Datennetze können teilweise nicht mit der Fülle der Informatio­nen mithalten: Pro Stunde kann ein vernetztes Auto 25 Gigabyte an Daten sammeln.

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Andreas Gebert/DPA/ picturedes­k.com „Hände ans Steuer“gilt in diesem Fall nicht: Der Computer lenkt das Forschungs­fahrzeug von Audi selbststän­dig.

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