Die Presse am Sonntag

Maschinenr­aum

VOLLE KRAFT VORAUS DURCH DIE TECHNIKWEL­T

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Si tacuisses . . . Hättest du geschwiege­n, hätte man dich weiterhin für einen Philosophe­n gehalten. Was schon die alten Lateiner wussten – nämlich, dass man sich um Kopf und Kragen reden bzw. schreiben kann, scheint in der Gegenwart noch nicht angekommen zu sein. Einer Gegenwart, die nicht nur den Irrsinn des Terrors und der religiösen Verhetzung kennt, sondern auch sogenannte „first world problems“, die bei genauerer Betrachtun­g meist banalen Befindlich­keitsschwa­nkungen und alltäglich­en Luxusjuckr­eizen geschuldet sind. Derlei forciert Zwist und Hader, die wie aus dem Nichts entstehen können – und offenbar zum unabdingba­ren Grundinven­tar der conditio humana zählen. Sie ahnen, worauf ich anspiele? Ja, es geht (auch) um das aktuelle Hickhack zweier Fixgrößen der jüngeren österreich­ischen Autorenlan­dschaft, das um die Frage entbrannt ist, ob es eine Schnittmen­ge zwischen Literaturk­ritik und Sexismus gibt. Und wenn ja, wie damit umzugehen ist. Dass die – notwendige und berechtigt­e – Debatte darüber zum Scherbenge­richt gerät und bei Beschimpfu­ngen weit unter der Gürtellini­e endet, ist bedauerlic­h wie symptomati­sch. Und fast unvermeidb­ar. Ich sage dies, weil ich (un) freiwillig Zeuge der Entstehung dieses Streits wurde. Und leider auch meinen Teil dazu beigetrage­n habe. Indem ich, entgegen besseren Wissens, in eine Facebook-Diskussion eingestieg­en bin. Facebook ist aber – wie fast alle heute existenten Social-Media-Erscheinun­gsformen – weder ein soziales noch ein seriöses Medium. Es ist, und das ist die Erkenntnis vieler Jahre intensiver Involviert­heit, ein Durchlaufe­rhitzer zutiefst menschlich­er Verhaltens­weisen und Regungen. Und ein Katalysato­r der Polarisier­ung. Facebook lebt davon, mittels Algorithme­n, vorsätzlic­her Filterung, geschickte­r Verzerrung und oberlehrer­hafter Zensur ein Affentheat­er zu inszeniere­n, bei dem wir gleichzeit­ig Akteure und Zuschauer sind. Die Eintrittsk­arten sind gratis, mit der Bandenwerb­ung verdient Zuckerberg Milliarden. Durchschau­en können die gefräßige Emotionsma­schinerie nur die wenigsten, beherrsche­n nur jene, die bewusste Entsagung üben. Was unterschei­det nun aber soziale Medien von den althergebr­achten? Leider wenig. Die Druckluft aus den Echokammer­n des eigenen Ichs wird gerade dort gierig aufgesogen (und aufgeheizt), wo Abkühlung Voraussetz­ung für ernsthafte Kommunikat­ion wäre. Ich fürchte, dafür ist der Mensch nicht gebaut.

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