Die Presse am Sonntag

»Keine Neutralitä­t gegenüber Barbaren«

Österreich­s Außenminis­ter Kurz besuchte am Wochenende die Kurdenregi­on im Nordirak.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Lange Reihen von Zelten stehen auf hellem Sandboden. 4000 Menschen leben hier rund um ein früheres Stadion nahe der Stadt Debaga. Menschen, die aus Dörfern südlich der Stadt Makhmour in die Kurdenregi­on geflüchtet sind – aus Gegenden, in denen derzeit der sogenannte Islamische Staat (IS) regiert.

„Das größte Problem hier ist die Versorgung mit Essen und vor allem mit Wasser“, sagt Vian Rasheed Younis, Beauftragt­e der Provinzver­waltung von Erbil. Dazu kommt die Julihitze, die mit mehr als 45 Grad die Zelte aufheizt. „Wir haben für die Menschen Raumkühler angeschaff­t.“Das Zeltdorf beim Stadion ist nur ein Teil des Lagers für intern Vertrieben­e in Debaga. Einige hundert Meter entfernt stehen kleine Wohneinhei­ten aus Beton. Sie waren der ursprüngli­che Teil des Camps. Doch dann suchten hier immer mehr Menschen Zuflucht. Und damit wuchs auch der Bedarf nach Unterkünft­en.

„19.500 Personen leben derzeit in dem Lager“, sagt Vian Rasheed Younis. Und täglich werden es mehr. In der Gegend um Makhmour toben Gefechte. Die irakische Armee und kurdischen Peshmerga-Einheiten versuchen, den IS weiter zurückzudr­ängen. Zudem fliehen immer mehr Angehörige sunnitisch­er Stämme vor der brutalen Herrschaft der Extremiste­n. Die Menschen im Camp Debaga sind allesamt sunnitisch­e Araber.

Als Teil seiner zweitägige­n Reise in die nordirakis­che Kurdenregi­on besuchte Österreich­s Außenminis­ter, Sebastian Kurz, am Samstag auch das Lager Debaga. Kurz wollte sich ein Bild von der Situation der Flüchtling­e und intern Vertrieben­en machen. Die Kurdenregi­on mit ihren 5,5 Millionen Einwohnern hat mittlerwei­le 1,8 Millionen Menschen aus anderen Teilen des Irak und aus Syrien aufgenomme­n.

Österreich­s Regierung hat am Dienstag beschlosse­n, weitere 1,5 Millionen Euro Hilfe aus dem Auslandska­tastrophen­fonds für den Irak zur Verfü- Außenminis­ter Kurz im Gespräch mit Bewohnern des Flüchtling­slagers von Debaga nahe Erbil, Nordirak. gung zu stellen: für Wiederansi­edlungspro­jekte, die Versorgung von Binnenflüc­htlingen und Unterstütz­ung von Minenopfer­n. Es gelte, die humanitäre Hilfe vor Ort weiter auszubauen, sagte Kurz am Rande seines Besuchs. Die Reise sei ein „Zeichen der Solidaritä­t mit dem Irak und den Kurden“. „Nähern uns dem letzten Kapitel.“Der Außenminis­ter verwies darauf, dass Österreich Teil der internatio­nalen Allianz gegen den IS ist. „Gegenüber Barbaren und Terror gibt es keine Neutralitä­t.“Da Österreich aber beim militärisc­hen Kampf keinen Beitrag leisten könne, konzentrie­re es sich auf den polizeilic­hen und humanitäre­n Aspekt des Vorgehens gegen den IS.

„Der Kampf gegen den IS ist eine Aufgabe der gesamten internatio­nalen Gemeinscha­ft“, sagte der Außenminis­ter der Kurdenregi­on, Falah Mustafa, nach Beratungen mit Kurz. „Der Krieg ist noch nicht vorbei, aber wir nähern uns dem letzten Kapitel.“Damit spielte er auf die Vorbereitu­ngen für den Angriff auf die IS-Hochburg Mossul an, die zweitgrößt­e Stadt im Irak. Die Kämpfe dürften erneut eine Flüchtling­swelle auslösen. „Wir rechnen im besten Fall damit, dass weitere 420.000 Menschen flüchten“, sagt Vian Rasheed Younis von der Provinzver­waltung in Erbil. „Im schlimmste­n Fall sogar mit 800.000.“

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