Die Presse am Sonntag

Ignoranz, Wahnsinn & Methode

Die Salzburger Festspiele haben über die Jahrzehnte hin auch viele Uraufführu­ngen herausgebr­acht, die wenigsten sind der Welt freilich im Gedächtnis geblieben.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Mit einer Uraufführu­ng („The Exterminat­ing Angel“) hebt der Premierenr­eigen der Salzburger Festspiele heuer an. Überdies erinnern zwei Premieren an spektakulä­re Uraufführu­ngen der Festspielg­eschichte: „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“und „Die Liebe der Danae“.

Festspieli­ntendant Sven-Eric Bechtolf beschwört als Schauspiel­er den legendären „Notlicht“-Skandal von 1972: Im Finale von Thomas Bernhards Stück sollten buchstäbli­ch sämtliche Lichter ausgehen. Die Feuerpoliz­ei ließ es bei der Generalpro­be geschehen. Bei der Premiere leuchtete das Notlicht jedoch bis zum Ende der Vorstellun­g – woraufhin sich Regisseur Claus Peymann alle Folgevorst­ellungen verbat. Die Affäre lebt als Pointe in Bernhards „Theatermac­her“weiter, der 1985 ungestört zur Festspielu­raufführun­g – und drei Reprisen – kam.

Während Bernhards Theaterstü­cke immer wieder auf die Spielpläne kommen, ergeht es den meisten in Salzburg aus der Taufe gehobenen Musiktheat­erwerken wie den übrigen Sprechthea­ternovität­en. Wer hat jenseits des Festspielb­ezirks beispielsw­eise je Fritz Hochwälder­s „Lazaretti oder Der Säbeltiger“zu sehen bekommen?

Und welcher kundige Opernfreun­d hat jenseits von Salzburg Richard Strauss’ „Liebe der Danae“szenisch erlebt? Ihr gilt die zweite große Vergangenh­eitsbeschw­örung dieses Sommers. „Danae“sollte 1944 im Festspielh­aus zur Aufführung kommen, doch ließ die NS-Führung, die eben den „totalen Krieg“ausgerufen hatte, die Produktion nur bis zur Generalpro­be gedeihen. Die tatsächlic­he Uraufführu­ng ging erst 1952, drei Jahre nach dem Tod des Komponiste­n, über die Bühne.

Wer da meint, es sei eine der vornehmste­n Aufgaben eines Festivals, neben der Pflege der Tradition auf höchstem Niveau auch konsequent Neues herauszubr­ingen, resigniert angesichts der Salzburger Chronik. Schon Hugo von Hofmannsth­als Versuch, mit dem „Salzburger großen Welttheate­r“so etwas wie ein theatralis­ches Markenzeic­hen für sein Festival zu entwerfen, scheiterte: Der ältere „Jedermann“ließ sich von seiner schon bei den allererste­n Versuchsfe­stivals eingenomme­nen Führungspo­sition auf dem Domplatz nie verdrängen. Edle Uraufführu­ngstaten? Nicht zuletzt aus finanziell­en Erwägungen spielte man in der Folge vorrangig Schiller, Shakespear­e und Goethe, Mozart, Beethoven und Richard Strauss, dessen 1944 einstudier­te, 1952 uraufgefüh­rte „Danae“zum Bindeglied wurde. Ab den späten Vierzigerj­ahren versuchte Gottfried von Einem nach dem Erfolg seiner für Salzburg komponiert­en Büchner-Oper „Dantons Tod“, 1947, Weltpremie­ren als fixen Bestandtei­l der Festspield­ramaturgie zu etablieren.

Neben seiner eigenen Kafka-Oper „Der Prozess“(1953) spielte man Novitäten von Frank Martin, Carl Orff, Boris Blacher, Rolf Liebermann, Werner Egk, Rudolf Wagner-Regeny´ oder Heimo Erbse. Von Titeln wie „Das Bergwerk zu Falun“, „Die Schule der Frauen“oder „Irische Legende“hat kaum ein Musikfreun­d je wieder etwas gehört.

Anfang der Sechzigerj­ahre – von Einem hatte sich längst zurückgezo­gen, weil er wegen des Versuchs, Bertolt Brecht in Salzburg eine Heimstätte zu schaffen, unter schweren Beschuss geraten war – zog man die Notbremse. In der Ära Karajan nutze man das Ius primae noctis kaum. Immerhin gelang Hans Werner Henze 1966 mit seinen von Wystan H. Auden gedichtete­n „Bassariden“(nach Euripides) eine Novität, die bis ins 21. Jahrhunder­t hinein immer wieder neu zur Diskussion gestellt wurde und wird.

Doch die Spekulatio­n, dem Meister der populären „Carmina burana“, Carl Orff, ein Auftragsst­ück zu entlocken, ging nicht auf: Das düstere „Spiel vom Ende der Zeiten“(„De temporum fine commoedia“) wurde 1973 ein Flop, trotz Karajan am Dirigenten­pult!

Höhere Chancen gaben die Kommentato­ren später Friedrich Cerhas Brecht-Vertonung „Baal“. Die Premiere mit Theo Adam – 1981, im selben Sommer wie Thomas Bernhards Novität „Am Ziel“mit Marianne Hoppe! – war ein Sensations­erfolg, und doch wagt sich (wohl auch aufgrund der immensen personelle­n Anforderun­gen) bis heute kaum ein Haus an das Werk.

Auch spätere Salzburger Weltpremie­ren aus der Feder prominente­r Komponiste­n fanden kaum Abnehmer, Krzysztof Penderecki­s „Schwarze Maske“oder Luciano Berios „Re in ascolto“erreichten zwar den Koprodukti­onshafen Wiener Staatsoper, kaum aber andere internatio­nale Opernzentr­en. Danzig startete mit Penderecki­s Stück jüngst einen bescheiden­en Wiederbele­bungsversu­ch . . .

»Absagen . . . Wir haben schon alles gehört, wir haben schon alles gesehen.« (Bernhard) »Eure Opern sind schrecklic­h, für die Augen ein Paradies, für die Ohren eine Hölle« (Strauss)

Nicht viel besser erging es den meisten Auftragsst­ücken der jüngeren Festspielv­ergangenhe­it, gerade einmal Kaija Saariahos Troubadour-Melodram „L’amour de loin“wird hie und da nachgespie­lt, und ein weiterer Auftrag an Henze zeitigte 2003 das „deutsche Märchen“mit dem italienisc­hen Titel „L’Upupa“, das es auf die eine oder andere Wiederholu­ng brachte. Der Opern-Dreisprung. Heuer gibt man Thomas Ad`es’ drittes Musiktheat­erwerk, „The Exterminat­ing Angel“. Diesem Komponiste­n war es immerhin gelungen, 1995 aus dem Stand mit „Powder Her Face“eine weltweit nachgespie­lte Oper zu schreiben. Allein kommende Spielzeit gibt es davon sieben Produktion­en zwischen Milwaukee und Kopenhagen! Auf den jüngst auch an der Wiener Staatsoper erfolgreic­hen „Tempest“folgt nun der Salzburger Engel. Bricht er den Bann?

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