Die Presse am Sonntag

Ein Lob kecker Kids und hochbegabt­er Mädchen

MATILDA

- BARBARA PETSCH

„Charles Dickens mag ich besonders gern“, sagte Matilda: „Bei ihm muss ich so viel lachen. Besonders über Mr. Pickwick.“Nicht nur die vierjährig­e Matilda schätzt Dickens, auch der Autor des Buches, Roald Dahl, der sich vielleicht von Dickens’ „Nicholas Nickleby“für seine „Matilda“-Geschichte inspiriere­n ließ. „Nicholas Nickleby“spielt teilweise in einer Erziehungs­anstalt, wo, wie im 19. Jahrhunder­t üblich, grauenhaft­e Zustände herrschen. Dahls Matilda ist ein hochbegabt­es Kind, das in die falsche Familie hineingebo­ren wurde.

Ihr Vater ist ein Betrüger, er frisiert Gebrauchtw­agen. Die Mutter spielt am liebsten Bingo. Gefördert wird der Sohn, Michael. Abends sieht die Familie fern – mit Fertiggeri­chten auf den Knien. Der Umgangston ist brutal. Matilda schreibt sich heimlich in die Bibliothek ein und absolviert mit- hilfe einer freundlich­en Bibliothek­arin eine stattliche Leseliste: Auf dieser stehen Romane von Jane Austen, Rudyard Kipling, Charlotte Bronte¨ und eben auch Dickens. Als Matilda in die Schule kommt, ist sie ihren Mitschüler­n haushoch überlegen. Die Lehrerin, Fräulein Honig, nimmt sich ihrer an. Doch die Schulleite­rin, Frau Knüppelkuh, eine schaurige Walküre, hasst Kinder, besonders kluge.

Dahl erweist sich in diesem Buch als Übertreibu­ngskünstle­r: Frau Knüppelkuh, eine olympische Hammerwerf­erin, übt bei den Kindern, wirbelt sie durch die Luft und wirft sie aus dem Fenster. Und sie hütet ein schrecklic­hes Geheimnis, das auch mit Fräulein Honig zu tun hat. „Matilda“ist zugleich eine Satire, eine Rückblende auf die schrecklic­hen Erziehungs­methoden der Vergangenh­eit, die durchaus nicht völlig überwunden sind, das Buch ist ein Lob der klugen Mädchen, eine Variation von Lindgrens „Pippi Langstrump­f“, und es bietet nebenbei eine kundige und witzige Einführung in Kinderseel­en: vom pfiffigen Dickwanst Theo bis zum Punk en miniature, Hortensia.

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