Die Presse am Sonntag

Trauer um junge Opfer: »Wir lieben dich, Engel«

Neun Menschen erschoss Ali David S. in München. Der 18-jährige Todesschüt­ze war besessen von Amokläufen, depressiv und wurde angeblich in der Schule gemobbt.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Arbnor S. suchte am Freitagabe­nd auf Facebook nach einem Lebenszeic­hen seiner kleinen Schwester Armela. „Seit dem Amoklauf haben wir nichts von ihr gehört. Wir wissen nur, dass sie sich bis jetzt in keinem Krankenhau­s befindet.“Armela sei 14 Jahre alt, 1,50 Meter groß. „Sie hat braune lange Haare.“Dazu postete S. ein Bild, das ihn mit Armela zeigt: Sie hat die rechte Hand auf die Schulter des Bruders gelegt. Tausende Male wird der Eintrag geteilt.

Sechs Stunden nach dem Aufruf setzt S. eine weitere Nachricht ab: „Armela – unsere geliebte Tochter, Schwester, Freundin und in erster Linie ein geliebter Mensch ist heute durch den Amoklauf in München ums Leben gekommen. Wir lieben dich, Engel.“

Für Armela leuchten nun auch Kerzen, liegen Rosen vor dem Einkaufsze­ntrum, so wie für die anderen acht Toten.

Um vier Uhr früh klopfen Polizisten an der Tür von Naim Z. Sie teilen ihm mit, dass sein einziger Sohn, Dijamant, tot ist. Am Samstagvor­mittag ist der Vater am Tatort. Er hält ein Bild seines 20-jährigen Sohnes: Es zeigt einen jungen Mann mit gepflegtem brünetten Haar und Lächeln im schmalen Gesicht. „Ich bin noch in Träumen, ich glaube noch nicht, was passiert ist“, sagt der Vater der deutschen Nachrichte­nagentur DPA. „Sein Freund ist weggelaufe­n, meinen Sohn hat er getötet.“ Literatur über Amokläufe. „Warum?“, steht auf einem Karton zwischen den für die Opfer abgelegten Blumen. Ein Teil der Antwort liegt in Kisten, die Ermittler aus einem mehrstöcki­gen Mietshaus im wenige Kilometer entfernten Münchner Bezirk Maxvorstad­t tragen. Dort hatte der Todesschüt­ze gewohnt, mit seinem kleinen Bruder und den in den 1990ern aus dem Iran nach Deutschlan­d gezogenen Eltern. Sie waren gestern nicht vernehmung­sfähig. Im Zimmer des 18-Jährigen stieß die Polizei auf Literatur über Amokläufe, darunter etwa das Buch: „Amok im Kopf: Warum Schüler töten“. Der Deutsch-Iraner litt zudem an Depression­en und soll deswegen auch in Behandlung gewesen sein.

Schnell gerinnt der Verdacht zur Gewissheit: Es war kein islamistis­cher Terror. Von einem „klassische­n Amoktäter ohne politische Motivation“spricht der Münchner Staatsanwa­lt. Ali David S. soll den 17-jährigen Amokläufer von Winnenden 2009 verherrlic­ht haben. Auch das Datum, den fünften Jahrestag des Breivik-Massenmord­s in Norwegen, dürfte der Deutsch-Iraner wohl bewusst für sein von langer Hand geplantes Blutbad gewählt haben. „Das liegt auf der Hand“, erklärte die Polizei.

Nach der Schießerei waren immer noch 300 Patronen für die Glock im Rucksack.

Rache an Migranten? Auffallend ist, dass Ali S. außer einer 45-Jährigen nur Jugendlich­e (14 bis 20 Jahre) erschoss und fast alle Migrations­hintergrun­d hatten. Sie waren Kosovaren, Griechen, Türken. Auch sagte der Schüler in einem von Anrainern gefilmten Schreiduel­l mit einem Unbekannte­n während des Attentats, man mobbe ihn. Zielte er absichtlic­h auf Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d, weil ihn solche – laut „Bild“konkret Türken und Araber – in der Schule drangsalie­rt hatten?

Er hackte sich jedenfalls in einen Facebook-Account eines Mädchens mit türkischem Namen: „Kommt heute um 16 Uhr Meggi (McDonald’s, Anm.) am OEZ“, schrieb er und kündigte unter falscher Identität an, etwas zu spendieren. Eine Falle.

Freitag gegen 20.30 Uhr nimmt er sich mit einer Neun-Millimeter-GlockPisto­le das Leben. Im roten Rucksack, den er über dem schwarzen T-Shirt trägt, ist zwar keine Bombe, man findet darin aber 300 Schuss Munition.

 ?? AFP, Twitter ?? Im Visier. Links: Polizisten bringen Menschen in der Innenstadt in Sicherheit. Rechts: der Täter während eines Schreiduel­ls mit einem Anrainer.
AFP, Twitter Im Visier. Links: Polizisten bringen Menschen in der Innenstadt in Sicherheit. Rechts: der Täter während eines Schreiduel­ls mit einem Anrainer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria