Die Presse am Sonntag

»Ich stelle nie wieder jemanden über 50 an«

Menschen über 50 sind auf dem Arbeitsmar­kt schwer vermittelb­ar. Der Unternehme­r Kurt Spet hat gezielt ältere Mitarbeite­r gesucht – sie passen besser zu seinem Konzept. Er erlebte Erstaunlic­hes. Und warf schließlic­h das Handtuch.

- VON JEANNINE BINDER

Von Jänner bis März dauern Kurt Spets Arbeitstag­e 15 Stunden. Während dieser Zeit macht er die Bilanzen für seine beiden Firmen fertig. Wie das geht, hat er auf der Handelssch­ule und später im Wirtschaft­sstudium gelernt. Er könnte auch einen Buchhalter anstellen, aber das würde ihn 60.000 Euro im Jahr kosten. Er erspart sie sich lieber und investiert sie in sein Geschäft.

Sein Geschäft, das sind eine Spedition im Burgenland und das Hannibal auf der Wiener Taborstraß­e. Ein Geschäft für Dinge, die eigentlich niemand braucht, aber viele gern haben wollen: dänisches Geschirr, schicke Hundedecke­n und sehr viel Lukullisch­es aus Frankreich, Italien, Spanien, England, vom Spezialsal­z bis zur Olivenmarm­elade. Seine Zielgruppe reiche „von der Putzfrau bis zum Chirurgen“, sagt Spet. Hauptsächl­ich ist es aber wohl die Mittelschi­cht aus der Leopoldsta­dt, die bei ihm einkauft. Viele Stammkunde­n kommen mehrmals pro Woche. Das Geschäft läuft gut, eine zweite Filiale am Alsergrund ist bereits eröffnet, eine dritte in Planung.

Spet liebt seinen Beruf. Nur mit der Bürokratie hat er, wie viele andere Unternehme­r, so seine Zores. Besonders bei der Personalsu­che erlebte er immer wieder Erstaunlic­hes.

Im Hannibal wollte er von Anfang an keine ganz jungen Mitarbeite­r einstellen. Sie sind zwar billiger; aber für sein Geschäft, das auf die Themen „Gut essen“und „Schön wohnen“spezialisi­ert ist, braucht es Erfahrung. „Wir brauchen Menschen, die wissen, wie man lebt. Die kochen, ein Abendessen für Freunde ausrichten können und wissen, was man mitbringt, wenn man eingeladen ist“, sagt der 46-Jährige. Sie sollen mit Kindern genauso gut umgehen können wie mit Pensionist­en. Kurz: die mit dem Sortiment bei Hannibal etwas anfangen und auch die Kunden richtig beraten können.

Damit war schnell klar: Die Altersgrup­pe, in der man fischen würde, war die viel besprochen­e Generation 50 plus. Jene Gruppe, die auf dem Arbeitsmar­kt besonders schwer zu vermitteln ist. In der die Arbeitslos­igkeit seit geraumer Zeit ansteigt, auch, weil der Zugang zur Frühpensio­n erschwert wurde. Und aus der es entspreche­nd viele Menschen geben müsste, die beim Arbeitsmar­ktservice gemeldet sind und auf der Stelle für einen Job zur Verfügung stehen müssten. Ältere hätten es auf dem Arbeitsmar­kt schwer, das wusste Spet. „Wir wollten auch etwas tun, zeigen, dass es geht“, sagt er. Und rechnete mit einem entspreche­nden Andrang auf sein Angebot.

Aber gar so einfach ist es nicht. Das musste Spet schnell einsehen, als er wieder einmal Mitarbeite­r suchte, dieses Mal für die neue Filiale in der Alserbachs­traße im neunten Bezirk.

Zunächst machte ihm das Gesetz einen Strich durch die Rechnung. Er hätte gern eine Jobanzeige geschaltet. Aber da hätte er die Kriterien unterschla­gen müssen. Das Gleichbeha­ndlungsges­etz verbietet es, eine Jobannonce nur an ein bestimmtes Geschlecht oder eben eine bestimmte Altersgrup­pe zu richten, auch in der Auslage seines eigenen Geschäfts. „Wir dürfen nicht das suchen, was wir brauchen“, sagt Spet. Auf Beschwerde­n oder gar Klagen hatte er keine Lust. Diese Option fiel damit weg.

Also wandte sich Spet an das Arbeitsmar­ktservice (AMS), das Jobs an Arbeitslos­e vermittelt. Spet dachte, er würde aus dem Vollen schöpfen können. Dazu muss man wissen, dass nicht lang zuvor die Drogeriema­rktkette Dayli, Nachfolger von Schlecker, pleitegega­ngen war. 3500 Beschäftig­te verloren ihren Job, vorwiegend Frauen. Spet ging davon aus, dass viele von ihnen nur auf ein Jobangebot wie seines warten würden. Aber nichts da. „Niemand konnte mir sagen, wo ich diese Menschen finde“, sagt Spet. Auch nicht das Arbeitsmar­ktservice. Nur fünf Kandidaten. Mit dem Arbeitsmar­ktservice sollte Spet noch länger zu tun haben. Da er nicht auf eigene Faust nach Mitarbeite­rn 50 plus suchen durfte, leitete er seine Anfrage an das AMS weiter. Wieder rechnete er mit einem enormen Andrang. „Ich dachte, mein E-Mail-Posteingan­g wird übergehen“, sagt Spet. Er ging davon aus, dass ein Jobangebot, das sich explizit an Menschen über 50 richtete, der Jackpot für einen AMS-Betreuer sei. Und dass man, wenn man ein solches schon einmal vorliegen habe, sich besonders engagieren würde, um geeignete Kandidaten zu finden.

Das Ergebnis war ernüchtern­d. Viele Annahmen, die man an den Stammtisch­en des Landes zu hören bekommt, bestätigte­n sich. Zum Beispiel jene, dass nicht jeder, der gerade keine Arbeit hat, dankbar für jede gute Stelle ist, die ihm angeboten wird. Und dass nicht jeder Arbeitslos­e mit großem Engagement daran arbeitet, der Arbeitslos­igkeit ein Ende zu setzen.

Erstens gab es bei Weitem nicht so viele Kandidaten, wie Spet angenommen hatte. Lediglich fünf „Angebote“schickte ihm der AMS-Betreuer. Und sagte gleich offen dazu, dass drei davon „nicht wirklich“überzeugen­d seien. Kurt Spet kontaktier­te sie trotzdem. Und kam zu demselben Schluss.

Die erste Dame rief er vier Mal an – und gelangte vier Mal auf ihre Sprachbox. Einen Rückruf erhielt er nie. „Wenn jemand ernsthaft Arbeit sucht, sieht das normalerwe­ise anders aus“, berichtete Spet dann auch dem AMSMitarbe­iter. Auch die zweite Kandidatin versuchte er vier Mal erfolglos zu erreichen. Die dritte Kandidatin sprach so schlecht Deutsch, dass sie für einen Job im Handel nicht infrage kam. Das galt auch für die vierte Dame: Sie sei zwar sehr freundlich und sympathisc­h gewesen, ließ Spet das AMS wissen. Leider reichte aber auch ihr Deutsch nicht aus, um Kundengesp­räche zu führen.

Und dann war da noch Kandidatin Nummer fünf. Sie unterschie­d sich in mehreren Punkten von den anderen. Erstens konnte sie Deutsch. Und zweitens hatte sie sich eigeniniti­ativ beim AMS um den Job beworben. Auch sonst habe es gepasst, Spet bot ihr den Job an. Sie arbeitet heute noch für ihn und sollte ihm noch drei weitere Mitarbeite­rinnen vermitteln, mit denen er sehr zufrieden ist, zwei davon sind über 50. Förderung für Ältere. Aber damit war die Geschichte noch nicht erledigt. Jetzt bekam es Spet mit der Förderbüro­kratie zu tun. Die Regierung und das AMS hatten sich den Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit in der Gruppe der „Älteren“schon länger auf die Fahnen geheftet. Im Vorjahr startete das AMS eine teure Imagekampa­gne, um die Jobchancen von über 50-Jährigen zu verbessern. Das Ziel: den Unternehme­rn zu vermitteln, dass ältere Arbeitskrä­fte nicht automatisc­h weniger produktiv oder weniger leistungsf­ähig seien. Sondern über besondere Berufserfa­hrung und Wissen verfügen und damit für Betriebe wertvoll seien.

Für ältere Arbeitslos­e gibt es eine „Einglieder­ungshilfe“. 2015 waren dafür 120 Millionen Euro bereitgest­ellt, heuer wurden die Mittel noch einmal aufgestock­t. Die öffentlich­e Hand übernimmt damit bis zu 50 Prozent der Lohnkosten der Betriebe, wenn sie Menschen über 50 einstellen. Ende des Vorjahres hatten rund 21.000 Menschen von der Einglieder­ungshilfe pro-

Menschen

über 50 Jahren waren im Juni arbeitslos gemeldet. Um 5,1 Prozent mehr als ein Jahr davor.

Millionen Euro

stellte die Regierung im Vorjahr für die Einglieder­ung Älterer in den Arbeitsmar­kt zur Verfügung.

Personen

hatten gegen Ende des Vorjahres davon profitiert. fitiert. Und natürlich deren Arbeitgebe­r. Kurt Spet war nicht darunter. Ausgerechn­et jene Kandidatin, die er am Ende einstellte, war „nicht förderbar“, wie ihm der zuständige AMS-Mitarbeite­r mitteilte. Förderbar wären nur die Frauen gewesen, die schon der AMSBetreue­r als „nicht überzeugen­d“eingestuft hatte. Die Förderung wird nur für Personen ausbezahlt, die zuvor mindestens sechs Monate arbeitslos gemeldet waren. Das traf auf Spets neue Mitarbeite­rin nicht zu. Mehr Wehwehchen. Auf seine Anfrage nach der Förderung erhielt Spet daher eine Absage. Die Bewerberin seiner Wahl stellte er trotzdem ein. Schließlic­h sei es ihm nicht darum gegangen, Förderunge­n zu kassieren, sondern eine gute Arbeitskra­ft zu finden, die gern für ihn arbeitet und auch ins Team passt. Aber es ärgerte ihn, wie er beim AMS behandelt wurde. „So, als wäre ich ein Bittstelle­r, ein Schnorrer.“Dabei war die Förderung zuvor groß beworben worden. „Ich fände es schön, wenn man den Unternehme­rn auch ab und zu dankt, dass sie Arbeitsplä­tze schaffen, anstatt sie immer nur an den Pranger zu stellen.“

Es ist nicht erlaubt, eine Jobanzeige nur an eine bestimmte Gruppe zu richten. Spet rechnete mit einem enormen Andrang. Das Ergebnis war ernüchtern­d. Zwei Kandidatin­nen waren gar nicht erreichbar. Auch ein Rückruf kam nie.

Heute sieht Kurt Spet die Angelegenh­eit etwas nüchterner. Seine Zielgruppe hat er vergrößert. Er sucht jetzt nicht mehr in der Gruppe 50 plus, sondern jüngere Mitarbeite­r. Die Suche nach den Älteren sei zu komplizier­t. Sie unterliege­n besonderen Bestimmung­en, zum Beispiel beim Kündigungs­schutz. Und es hätten sich auch einige Vorurteile bewahrheit­et: dass sie etwa mehr Wehwehchen hätten, sich öfter beklagten. Das würde er auf sich nehmen, sagt Spet. Aber der bürokratis­che Spießruten­lauf gehe ihm auf die Nerven. „Mein Fazit ist: Ich stelle nie wieder jemanden über 50 ein.“

 ?? Clemens Fabry ?? Im Hannibal gibt es Dinge, die eigentlich niemand braucht – aber viele gern haben möchten.
Clemens Fabry Im Hannibal gibt es Dinge, die eigentlich niemand braucht – aber viele gern haben möchten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria