Die Presse am Sonntag

Vom Winde verweht

80 Jahre lang kämpfte St. Helena im Südatlanti­k um einen Airport. Jetzt hat die kleine Insel ihn – aber er darf wegen gefährlich­er Winde nicht genützt werden. Die Posse um einen fast 350 Millionen Euro teuren Geisterflu­ghafen.

- VON HEDI SCHNEID

Napoleon kam mit dem Schiff. Als der französisc­he Kaiser 1815 in die Verbannung nach St. Helena gehen musste, gab es auch kein anderes Verkehrsmi­ttel, um das Eiland im Südatlanti­k zu erreichen. Das dürfte auf absehbare Zeit auch so bleiben. Die rund 4000 Saints, wie die Bewohner des britischen Überseegeb­iets genannt werden, müssen auch weiterhin das Schiff nehmen, wenn sie verreisen wollen. Das kann ja ganz nostalgisc­h sein, immerhin ist die RMS St. Helena, die die Verbindung zum Festland herstellt, eines der letzten Postschiff­e der britischen Krone. Aber die Reise nach Kapstadt dauert fünf Tage – eine zeitrauben­de Angelegenh­eit, wenn man schnell einmal etwas erledigen will.

Warum also nicht fliegen – verfügt doch St. Helena über einen nagelneuen Flughafen. Ja, warum eigentlich nicht? Die Antwort kennt nur der Wind, möchte man da einfach Johannes Mario Simmel zitieren. Denn besser als mit dem Titel eines Buchs des deutschen Schriftste­llers kann man die Posse um den Insel-Airport nicht beschreibe­n. Den Flughafen gibt es zweifelsoh­ne, aber er ist nicht in Betrieb, wie die Inselregie­rung vor Kurzem verfügte. Bis auf Weiteres geschlosse­n, lautet der Befehl. Beim Testflug zweimal durchstart­en. Und das nicht ohne Grund: Bei den Testflügen hatte sich nämlich herausgest­ellt, dass sogenannte Scherwinde gefährlich­e Turbulenze­n auslösen und Start und Landung so gut wie unmöglich machen. Scherwinde sind in der Fliegerei gefürchtet, denn sie ändern Stärke und Richtung abrupt. Die Boeing 737-800 der südafrikan­ischen Fluglinie Comair musste beim Testflug zweimal durchstart­en, bevor sie mehr schlecht als recht auf die Piste schwankte. Viel zu gefährlich, befanden die Piloten, und die Behörde sah ein, dass sie so ein hohes Risiko nicht eingehen konnte. Sollte nämlich ein Flugzeug den Landeanflu­g abbrechen müssen, was bei solchen Scherwinde­n gewöhnlich passiert, gibt es erst auf der 1100 Kilometer entfernten Insel Ascension einen Flughafen. Dieser ist aber noch kleiner. Um auf das afrikanisc­he Festland zurückkehr­en zu können, muss man aber genügend Sprit mithaben.

Ein viel zu großes Risiko. Also döst der Flughafen vorerst vor sich hin – wenn nicht eine steife Brise über die Piste fegt. Eine Lösung werde „einige Zeit in Anspruch nehmen“, ließ die Inselregie­rung lapidar wissen. Tatsächlic­h hat sie aber keine Idee. Man könnte zwar kleinere Flugzeuge einsetzen, wird nun in London und St. Helena erwogen. Aber sie dürften in den teuflische­n Winden erst recht Probleme haben.

Ein Schildbürg­erstreich – und ein äußerst kostspieli­ger noch dazu. Denn der Geisterflu­ghafen hat die schlichte Summe von fast 350 Millionen Euro verschlung­en. Das ist zwar im Vergleich zu den möglichen Brexit-Folgen ein Klacks, aber die Verantwort­ung für das Desaster möchte weder auf der großen Insel im Nordatlant­ik noch der kleinen im Südatlanti­k jemand übernehmen.

Dabei sind die Winde keine Erfindung des 21. Jahrhunder­ts. Schon zu Napoleons Zeiten kannte man die tückischen Wetterkapr­iolen. Doch was tut man nicht alles, um den Anschluss an die Welt zu bekommen. Schon in den 1960er-Jahren gab es erste Ideen für einen Flughafen auf der Insel. Rund um das Jahr 2000 wurde es ernst, und die Inselregie­rung griff das Projekt wie- der auf. Die Finanzkris­e brachte erneut einen Rückschlag, aber 2011 wurde der Vertrag für den Bau unterzeich­net.

Welche Hoffnungen wurden nicht an den Flughafen geknüpft: Vor allem sollte sich die wirtschaft­liche Situation der Insel bessern, denn viele Arbeitsmög­lichkeiten boten sich vor allem für gut Ausgebilde­te bis dato nicht. Von 1998 bis 2008 sank die Bevölkerun­gszahl von 5200 auf 4300 Personen. Jedes Mal, wenn das Postschiff ablegte, waren wieder ein paar Auswandere­r an Bord, wurde geätzt. Nicht nur der Bau selbst sollte neue Jobs schaffen, sondern vor allem der Tourismus, der angekurbel­t werden sollte. 4000 Besucher pro Jahr sind ja wahrlich nicht viel. Aber die von der Regierung anvisierte­n 200.000 Gäste weckten nicht nur Begierden, am internatio­nalen Reiseboom endlich mitnaschen zu können. Andere schreckte der Gedanke an Lärm, Müll und die mit dem Bau neuer Hotels verbundene Zerstörung der Natur. Die Ruhe und Abgeschied­enheit, die bisher die Einzigarti­gkeit ausmachten, waren in Gefahr, sagten Naturschüt­zer. Das Hauptargum­ent gegen den Airport waren aber die Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würden.

Die Verantwort­ung für das Desaster möchte niemand übernehmen. Andere schreckte der Gedanke an Lärm, Müll und die Zerstörung der Natur.

Wie recht die Skeptiker doch hatten. Und da wussten sie noch gar nicht, dass die veranschla­gten 150 Millionen Euro an Baukosten sich letztlich mehr als verdoppeln würden. Auch das war absehbar, denn für die Piste musste erst einmal eine ebene Fläche geschaffen werden: Zwei Hügel wurden abgetragen, eine Schlucht wurde aufgefüllt und eine Art Viadukt gebaut. Nahezu zwei Jahre lang bewegten 19 Lastwagen Schutt, Erd- und Felsmassen. Der Zement musste per Schiff aus Namibia gebracht werden. Vier Jahre lang wurde gebaut. Steiler Abbruch ins Meer. Das Plateau, auf dem die Piste liegt, fällt am Ende 300 Meter tief steil ins Meer. Der Flughafen ist also auch bei Windstille eine echte Herausford­erung für Piloten. Aber vorerst müssen sie ihr Können nicht auf St. Helena beweisen.

Noch existiert er, der Traum vom Fliegen. Und die Saints können sich damit trösten, dass sie nicht die Einzigen sind, die wegen ihres Geisterflu­ghafens belächelt werden. Der Grund für diese Flops sind meist Fehlplanun­gen (zu optimistis­che Annahmen von Passagiers­trömen), manchmal auch rechtliche Probleme. Vor allem Spanien ist reich an solchen Investitio­nsruinen.

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