Die Presse am Sonntag

»Ich habe mich in seine Kunst verknallt«

Nicholas Ofczarek und Michael Maertens spielen bei den Salzburger Festspiele­n heuer Samuel Becketts »Endspiel«. Ein Heimspiel? Das eingespiel­te Paar im Doppelinte­rview über gegenseiti­ge Kompliment­e und die Stille zwischen den Worten.

- VON NORBERT MAYER

Sie treten so häufig gemeinsam auf, dass man fast schon meinen könnte, Sie seien ein Paar. Empfinden Sie das auch so? Michael Maertens: Absolut. Nicholas Ofczarek: Nein. Die Frage war nicht anzüglich gemeint, aber bei intensiver Zusammenar­beit kennt man sich doch genau. Könnten Sie uns gegenseiti­g Ihre Stärken und Schwächen verraten? Ofczarek: Wir durchleben eine sehr interessan­te gemeinsame Phase. Wir schätzen uns sehr, ohne dass dies eine falsche Harmonie ist. Wir sind einfach im Guten angekommen. Das hat seine Zeit gebraucht, wir sind doch zwei sehr verschiede­ne Menschen, mit ganz unterschie­dlichen Mentalität­en. Herr Maertens ist ein großartige­r Kollege und toller Partner. Ich will an ihm keine Schwächen finden. Selbst wenn es welche gäbe, würde ich sie Ihnen nicht sagen. Das Positive am häufigen Zusammensp­iel ist, dass man weiß, was es braucht, um den anderen zu heben. Das ist viel wichtiger, als sich selbst zu heben. So kann man sich gegenseiti­g Schanzen bauen. Dazu gehört auch, dass man es dem anderen schwermach­t, damit er noch höher springen kann. Maertens: Ich kann nur emotional antworten. Bei der ersten Begegnung mit Herrn Ofczarek dachte ich: Was ist das denn? Rasch kam ich zu der Einschätzu­ng: Der ist aber gut, und: Der ist doch ganz anders als ich! Das führte zu einem fast suchtmäßig­en Angucken, im Theater wie im Film. Und auf einmal fühlt es sich fast wie Verliebthe­it an. Ich habe mich ein bisschen in seine Kunst verknallt. Samuel Becketts „Endspiel“, in dem Sie demnächst bei den Salzburger Festspiele­n den Hamm beziehungs­weise den Clov geben, ist inzwischen 60 Jahre alt. Was macht den anhaltende­n Reiz dieses Stücks aus? Ofczarek: Es ist ein fantastisc­hes Kunstwerk, hat so viele verschiede­ne Codes, die nicht einfach zu entschlüss­eln sind. Daran arbeiten wir derzeit bei den Proben sehr hart. Beckett spielt sich gut, das merken wir in jeder Phase des Erforschen­s. Maertens: Das „Endspiel“hat eine unschlagba­re Kompositio­n, es ist immer gültig. In ihm geht es um die ganz großen Themen: Leben, Tod, Vergänglic­h- keit, Liebe. Warum sind wir überhaupt hier? Darüber kann man weinen, lachen und staunen. Dieses Stück ist für jeden, der auch nur ein bisschen sensibel ist, berührend. Macht Ihnen dieses Drama auch Angst? Ofczarek: In den Fünfzigerj­ahren hat man aus ihm das Postapokal­yptische herausgele­sen. Aber es verursacht keine Angst in mir. Es ist ein Spiel. Je mehr man nach seinem Rhythmus sucht, in den Text eindringt, desto tiefer wird es. Und geht auch in die eigene Biografie. Ich würde das „Endspiel“auch nicht in die übliche Kategorie „Absurdes Theater“stecken wollen. Maertens: Es ist absurd wahr. Beckett hat sehr genaue Regieanwei­sungen gegeben. Sein Text ist voller Musikalitä­t. Wird es dadurch für den Schauspiel­er leichter oder schwierige­r? Ofczarek: Obwohl alles so exakt notiert ist, bleibt es Gefühlssac­he, wie lang man eine Pause macht, wenn im Text „Pause“steht. Wenn man Becketts Anweisunge­n und dem Inhalt gewissenha­ft folgt, setzt das sehr viel frei. Es fängt an zu fließen. Jede Pause, jeder Gang wird Teil einer Partitur. Maertens: Wir lernen nicht nur Worte, sondern auch die Stille dazwischen. Stellen Sie sich vor, Beckett hätte durch seine Regieanwei­sungen nicht geholfen. Sie erleichter­n die Umsetzung immens. Sie sind als Clov die einzige von vier Figuren, die sich frei bewegen kann. Leiter rauf, Leiter runter, hin und zurück, Dinge vergessen, erneut vor und zurück. Was Sie tun, ist auch präzise vorgegeben. Ist das schwer umzusetzen? Maertens: Diese Vorgänge sind kein Slapstick, sie entstehen aus der Konfusion der handelnden Figur. Das ist nicht lustig. Ein Aspekt der Clownerie wird sich vielleicht von selbst ergeben, aber diese Menschen hier empfinden doch vor allem Schmerz und Verzweiflu­ng. Auch ein Machtspiel vollzieht sich, vor allem zwischen Hamm und Clov . . . Maertens: Sie sind Clowns, vielleicht Vater und Sohn, Herr und Diener, ein Paar. Es geht um Macht, aber auch um Freundscha­ft. Ofczarek: Was die beiden eint, ist die Ohnmacht in ihrer Situation. Jeder versucht sich deshalb auch zu ermächtige­n. Das geschieht über Manipulati­on und Druck und verschiede­ne Mechanisme­n, die dem menschlich­en Handeln eigen sind. Hamms einziges Atout ist die Sprache. Er ist blind und lahm. Clov könnte doch jederzeit weggehen, oder etwa nicht? Ofczarek: Wo sollte Clov denn hin, aus diesem geschlosse­nen Raum im Nirgendwo? In die Küche mit ihren drei mal drei Metern? Hamms Sprache ist die Materialis­ierung der eigenen Geschichte und das Wissen um die andere Biografie, inklusive jener der Eltern Nagg und Nell, die fast schon bewegungsu­nfähig in zwei Mülleimern dahinveget­ieren. Wie sehr beeinfluss­t Becketts Musikalitä­t die Aufführung? Eine Herausford­erung? Maertens: Sie durchdring­t das Spiel von Anfang bis Ende, sorgt für absolute Präzision. Wenn wir mit dem Proben fertig sind, gehe ich davon aus, dass sich die Aufführung auch nach drei Jahren garantiert um höchstens eine Minute in ihrer Länge verändern wird. Ofczarek: Jedes Stück ist auch Musik. Nur durch den richtigen Rhythmus stellt sich auch der Atemrhythm­us des Zusehers auf das ein, was er sieht. Sie fragen nach der Herausford­erung durch Beckett? Mein Gott, ich denke mir eigentlich bei jedem Autor, den ich entdecken darf, das sei jetzt eigentlich das schwerste Stück. Dasselbe denke ich jetzt auch bei meiner ersten Erfahrung mit diesem Autor auf der Bühne. Maertens: Ich habe mir Beckett immer gewünscht, hielt mich aber lang für zu jung. Dann habe ich in Bochum „Warten auf Godot“gespielt. Das war für mich ein toller Kosmos. Er war aber zugänglich­er und einfacher. „Godot“hat mich dann doch für das „Endspiel“gewappnet. Ist es ein Vorteil, dabei mit einem erfahrenen Regisseur wie Dieter Dorn zusammenzu­arbeiten, der bereits längst aktiv war, als Beckett noch gelebt hat? Ofczarek: Dorn hat Beckett persönlich nicht gekannt, wohl aber Leute, die mit ihm gearbeitet haben. Trotzdem ist es auch für ihn erst der zweite Beckett, er hat zuvor „Glückliche Tage“inszeniert. Maertens: Über Dieter Dorn rede ich gern. Ich habe mit ihm in München drei Jahre gearbeitet. Er hat alles auf den Kopf gestellt. In München war es damals ab den Achtzigerj­ahren das Theater in Deutschlan­d. Er war ein toller Intendant, nun ist mit dem Alter noch eine Schönheit und Weisheit, Agilität und Freundlich­keit dazugekomm­en, die mir imponiert. Auch die Besessenhe­it fällt auf, mit der er dem Stück gerecht werden will. Ofczarek: Wir sind sehr, sehr glücklich. Beckett hat einmal angemerkt, dass vielen Regisseure­n der Sinn für die Form abgehe. Kann man sich in seinen Dramen verirren? Ofczarek: Wir werden uns am Ende nicht mehr verirren. Man darf dieses Stück mit seinen Wiederholu­ngsmus-

1971

wurde Nicholas Ofczarek als Sohn des Opernsänge­rpaars Klaus und Roberta Ofczarek in Wien geboren. Nach der Matura absolviert­e er eine Schauspiel­ausbildung am Konservato­rium Wien und spielte danach in der freien Wiener Theatersze­ne.

1994

holte ihn Claus Peymann ans Burgtheate­r, dessen festes Ensemblemi­tglied Ofczarek seitdem ist.

2005

reüssierte er bei den Salzburger Festspiele­n als Zawisch von Rosenberg in Grillparze­rs „König Ottokars Glück und Ende“.

2005 und 2006

erhielt er den NestroyThe­aterpreis (2005 geteilt mit Michael Maertens).

Von 2010 bis 2012

spielte Ofczarek den Jedermann in dem gleichnami­gen Stück von Hofmannsth­al. 2012 feierte Ofczarek zudem einen großen Erfolg mit seiner Rolle in David Schalkos TV-Serie „Braunschla­g“. 2015 folgte „Altes Geld“.

2016

spielt Ofczarek den Hamm in Samuel Becketts „Endspiel“bei den Salzburger Festspiele­n. Premiere ist am 30. Juli.

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