Die Presse am Sonntag

»Ein ständiger Leihverkeh­r«

Wenn Firmen Kunst sammeln: Die Wiener Städtische tut das seit fast 100 Jahren. Dabei wird zwar aufs große Format gesetzt, nicht aber auf große Namen.

- VON SABINE B: VOGEL

Ein kleiner Junge lässt einen Drachen in den Himmel steigen, vor ihm liegen das Meer und der weite Horizont. Dieses Bild sehen jeden Tag Tausende Menschen. Denn es umhüllt den Ringturm, die Hauptzentr­ale der Wiener Städtische­n am Schottenri­ng. Seit neun Jahren werden für diese riesige Leinwand Künstler beauftragt, heuer hat der tschechisc­he Maler Ivan Exner dieses Bild eines sorgenfrei­en Burschen entworfen. Es ist 4000 Quadratmet­er groß, besteht aus 30 bedruckten Netzbahnen in rund drei Metern Breite und bis zu 63 Metern Länge. Die erste Umhüllung gestaltete 2006 Christian Ludwig Attersee mit „Don Giovanni“, im Vorjahr verwandelt­e Tanja Demans Bild den Turm in ein Schwimmbec­ken. Jetzt also wird unserem Blick endlose Weite eröffnet.

So plakativ die Motive der Verhüllung­en meist sind, so differenzi­ert geht es mit der Kunst im Ringturm weiter. Denn die Wiener Städtische besitzt eine der wichtigste­n „Corporate Collection­s“in Wien. Seit den 1920er-Jahren engagiert sich der Wiener Städtische Versicheru­ngsverein in der Kunst- und Künstlerfö­rderung. Schon früh entstand daraus die Sammlung, die mittlerwei­le rund 5500 Werke umfasst. In der Nachkriegs­zeit wurden auch Aufträge an Künstler vergeben, etwa eine Reihe für Lesezeiche­n, „sie waren bei den Kunden sehr begehrt“, sagt Barbara Grötschnig. Auch gab es Kunst im öffentlich­en Raum, ein Brunnen in der Inneren Stadt gehörte einmal der Wiener Städtische­n.

Heute hat die Grundidee weniger mit Repräsenta­tion, vielmehr mit dem Entdecken und Fördern von Künstlern zu tun. Die Werke spiegeln dabei deutlich das Programm des Wiener Kunstmarkt­s wider: In der Vorstandse­tage hängt vorwiegend Abstraktes, ein Herbert Brandl im Sitzungssa­al, Max Weiler, aber auch Zeichnunge­n von Moussa Kone im Gang. Auf anderen Stockwerke­n begegnet man Bildern von Maja Vukoje, Erwin Bohatsch, auch Motiven ehemaliger Verhüllung­en, etwa den freischweb­enden gelben Frauen der slowakisch­en Malerin Dorota Sadovska,´ die 2013 den Ringturm mit ihrem Werk „Verbundenh­eit“umhüllt hat. Ein Künstler im Team. Zuständig für die Sammlung ist Grötschnig als Leiterin des Konzernspo­nsorings. Sie holte sich Philippe Batka in ihr Team, der an der Wiener Akademie bei Gunter Damisch und Otto Zitko studiert hatte. „Mit meiner Ausbildung als Künstler bringe ich einen anderen Blick ein“, erklärt er, und das betrifft nicht nur die Ankäufe, sondern auch seine kuratierte­n Projekte wie die Ausstellun­g im Ringturm-Stiegenhau­s.

Dort sind Werke von Franz Graf zu sehen, von Svenja Deininger, Martin Walde, Robert Hammerstie­l, die runden Bilder des Ungarn Laszl´o´ Feher.´ „Wir legen die Sammlung sehr breit an und haben uns derweil bewusst keinen thematisch­en Schwerpunk­t gesetzt“, erklärt Batka. Eines allerdings ist unübersehb­ar: Grötschnig und Batka setzen nicht auf große Namen. „Wir betrachten unser Umfeld sehr genau, was sammeln andere, woran arbeiten die Künstler?“, erklärt Batka. Grötschnig ergänzt: „Wir kaufen gezielt von Jungen, auch aus dem Essl Art Award.“

Denn die Sammlung, betont Batka, diene weder als Investitio­n noch als Marketingw­erkzeug, der Werbewert sei viel zu niedrig. Aber sie wirkt stark nach innen. Die Mitarbeite­r im Haus, in Geschäftss­tellen und umliegende­n Liegenscha­ften können sich aus einem Katalog Bilder aussuchen, „es herrscht ein ständiger Leihverkeh­r“, erzählt Batka. Und alles, was auf- und abgehängt wird, landet irgendwann in Grötschnig­s Büro. „Außer uns darf niemand die Werke anfassen“, erklärt sie. So ist ihr Büro ein Treffpunkt unterschie­dlichster Werke, die sie behielt: Malerei von Hubert Schmalix, eine psychodeli­sche Collage des jungen Shootingst­ars Nilbar Güres,¸ eine wilde Skulptur von Michael Dekker und Hermes Payrhubers übereinand­ergeklebte Polaroids, aus denen er die Bilder herausgesc­hnitten hat. In Batkas Büro dagegen hängt nur ein Bild: die große, schwarzwei­ße Fotografie von Tanja Deman. Darauf ist in eine Bibliothek eine wuchernde Landschaft aus Büschen und Bäumen retuschier­t, eine endzeitlic­he Vision unserer Kultur.

Gekauft wird in Galerien und direkt bei den Künstlern im Atelier, „wir werden oft mit Anfragen überhäuft“, verrät Batka. Seit sieben Jahren ist das Budget stabil, die Höhe wird nicht genannt. Entschiede­n werden die Ankäufe von den Vorständen, Grötschnig und Batka bestimmen gemeinsam die Vorauswahl. Aber die Sammlung ist nur der eine Teil des Sponsoring­s. Der andere Teil betrifft Unterstütz­ungen von Institutio­nen, darunter der Ausstellun­gsraum TBA21 im Augarten, in dem sie den kostenfrei­en Eintritt ermögliche­n, und seit 2007 der Essl Art Award für Kunst aus den Akademien in Zentralund Osteuropa. Wie es mit diesem Preis nach der Schließung des Essl-Museums weitergeht, ist noch völlig offen. Der Ringturm als „gigantisch­es malerische­s Monument“, wie Grötschnig es nennt, wird dagegen fix weitergefü­hrt. „Die Menschen lieben diese Bilder.“

»Wir werden oft mit Anfragen von Künstlern und Galeristen überhäuft.« »Der Ringturm ist ein riesiges malerische­s Monument, das die Leute lieben.«

Netzwerk der Firmensamm­lungen. Derartige regionale Verankerun­g und gesellscha­ftliches Engagement sind zwei wesentlich­e Gründe, warum Corporate Collection­s überhaupt entstehen. Waren früher vor allem die Firmeninha­ber für die Ankäufe zuständig, sind es heute auch Kuratoren. Um 2000 beschlosse­n einige, eine Plattform für den regelmäßig­en Austausch über Corporate Collection­s zu gründen. 2007 war es so weit, das erste Treffen der IACCCA (Internatio­nal Associatio­n of Corporate Collection­s of Contempora­ry Art) fand während der Art Basel statt. Seither sind zweimal im Jahr wechselnde Mitglieder Gastgeber für Versammlun­gen der mehr als 40 Mitglieder aus 17 Ländern, um über Themen wie Konservier­ung, Vermittlun­g, Dokumentat­ion, PRStrategi­en zu diskutiere­n. In dem siebenköpf­igen Vorstandsg­remium sitzt mit Walter Seidl von der Erste Foundation auch ein Österreich­er.

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