Die Presse am Sonntag

Plötzlich Kanzler

Der ÖBB-Chef nützte die mediale Bühne.

- BUNDESKANZ­LER OLIVER PINK

Heute meint Christian Kern, der Bundeskanz­ler, in der „Zeit“: „Wir hatten damals keine Vorstellun­g, welche Konsequenz­en das alles für uns hat. [. . .] Natürlich wäre es besser gewesen, man hätte die Leute damals schon biometrisc­h erfasst, das war aber aufgrund der schieren Masse der Bewegung gar nicht möglich.“800.000 Flüchtling­e sollten die ÖBB bis Jahresende 2015 transporti­eren. Am Anfang habe man einfach die pragmatisc­he Entscheidu­ng getroffen, die Flüchtling­e aus Ungarn zu holen: „Die Menschen wären ohnehin entlang der Gleise gelaufen.“

Christian Kern, der ÖBB-Chef, hatte damals seinen ersten großen TVAuftritt. Live zugeschalt­et in der „ZiB 2“vom Wiener Westbahnho­f: Er präsentier­te sich als hemdsärmel­iger Macher, dem die Flüchtling­e mehr am Herzen lägen als der Dienst nach Vorschrift. In den sozialen Medien überschlug man sich vor Begeisteru­ng. Tenor: „Das wäre ein Kanzler!“

Ein Dreivierte­ljahr später war es dann so weit. Christian Kern war Regierungs­chef. Getragen ins Kanzleramt auch von jenem Teil der Zivilgesel­lschaft, der in der SPÖ verankert ist und Stimmung gegen Vorgänger Werner Faymann gemacht hat. Ist Faymann im Vorjahr auch noch ganz Teil der Refugees-welcome-Gemeinde gewesen und hat die Flüchtling­e unkontroll­iert einreisen lassen bzw. nach Deutschlan­d durchgewin­kt, so hat er mit Jahresbegi­nn auf eine restriktiv­ere Politik mit verschärft­en Grenzkontr­ollen und Obergrenze­n gesetzt.

An dieser Linie Werner Faymanns hielt dann allerdings auch Christian Kern fest, als er einmal Kanzler war. Erst am vergangene­n Sonntag bekannte er sich auch zu der von der ÖVP geforderte­n Notverordn­ung.

Christian Kern

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