Plötzlich Kanzler
Der ÖBB-Chef nützte die mediale Bühne.
Heute meint Christian Kern, der Bundeskanzler, in der „Zeit“: „Wir hatten damals keine Vorstellung, welche Konsequenzen das alles für uns hat. [. . .] Natürlich wäre es besser gewesen, man hätte die Leute damals schon biometrisch erfasst, das war aber aufgrund der schieren Masse der Bewegung gar nicht möglich.“800.000 Flüchtlinge sollten die ÖBB bis Jahresende 2015 transportieren. Am Anfang habe man einfach die pragmatische Entscheidung getroffen, die Flüchtlinge aus Ungarn zu holen: „Die Menschen wären ohnehin entlang der Gleise gelaufen.“
Christian Kern, der ÖBB-Chef, hatte damals seinen ersten großen TVAuftritt. Live zugeschaltet in der „ZiB 2“vom Wiener Westbahnhof: Er präsentierte sich als hemdsärmeliger Macher, dem die Flüchtlinge mehr am Herzen lägen als der Dienst nach Vorschrift. In den sozialen Medien überschlug man sich vor Begeisterung. Tenor: „Das wäre ein Kanzler!“
Ein Dreivierteljahr später war es dann so weit. Christian Kern war Regierungschef. Getragen ins Kanzleramt auch von jenem Teil der Zivilgesellschaft, der in der SPÖ verankert ist und Stimmung gegen Vorgänger Werner Faymann gemacht hat. Ist Faymann im Vorjahr auch noch ganz Teil der Refugees-welcome-Gemeinde gewesen und hat die Flüchtlinge unkontrolliert einreisen lassen bzw. nach Deutschland durchgewinkt, so hat er mit Jahresbeginn auf eine restriktivere Politik mit verschärften Grenzkontrollen und Obergrenzen gesetzt.
An dieser Linie Werner Faymanns hielt dann allerdings auch Christian Kern fest, als er einmal Kanzler war. Erst am vergangenen Sonntag bekannte er sich auch zu der von der ÖVP geforderten Notverordnung.
Christian Kern