Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Gegenständ­e aus Bergkrista­ll fasziniert­en die Menschen früher ungemein. Für uns ist das kaum mehr nachvollzi­ehbar – wir sind durch den technologi­schen Fortschrit­t geblendet.

Diese Woche sorgte ein „Sensations­fund“für Aufsehen: Am Pfitscherj­och im Zillertal sei ein 4000 Jahre altes Beil aus Bergkrista­ll gefunden worden, hieß es. Na ja: Ausgegrabe­n wurde der Gegenstand schon 2006, aber erst durch die Ausstellun­g „Bergauf, bergab“im Vorarlberg-Museum wurde nun die Öffentlich­keit auf ihn aufmerksam. Dass es auch in anderen Museen uralte Gegenständ­e aus Bergkrista­ll gibt – etwa die mehr als 8000 Jahre alten Geschosssp­itzen im Keltenmuse­um Hallein –, wurde in keinem Bericht erwähnt.

Das verwundert nicht, denn Artefakte aus Bergkrista­ll führen in unserer Wahrnehmun­g ein Schattenda­sein. Ein gutes Beispiel dafür ist die Salzburger Landesauss­tellung „Bischof.Kaiser.Jedermann“. Dort könnte man – neben den imposanten Rüstungen und uralten Büchern – die beiden barocken Bergkrista­llschalen glatt übersehen. Warum uns dieses Material nicht wirklich ins Auge springt, lässt sich erklären: Wir können kaum mehr nachvollzi­ehen, welche Faszinatio­n Gegenständ­e aus den wasserhell­en Quarzkrist­allen früher ausgeübt haben. Vor 400 Jahren konnte man ausschließ­lich aus Bergkrista­ll klare dickwandig­e Gefäße mit geschnitte­nen oder geschliffe­nen Verzierung­en herstellen. Erst Ende des 17. Jahrhunder­ts wurde (in England und Böhmen) das Kristallgl­as erfunden; seit dieser Innovation sind geschliffe­ne Gläser für uns etwas ganz Normales.

Bergkrista­llgefäße waren immens wertvoll – nicht nur wegen ihrer optischen Brillanz, sondern auch wegen der enormen Herausford­erungen beim Herausschn­eiden aus dem harten und spröden Naturstoff. In der Salzburger Ausstellun­g erfährt man noch ein weiteres interessan­tes Faktum: Bevor die Kristallsc­hleiferei im Fürsterzbi­stum ihren Betrieb aufnehmen konnte, musste ein Vorrat an Rohkristal­len besorgt werden. Man sollte glauben, dass das angesichts der nahen Alpen kein Problem war – welch imposante Kristalle es unweit von Salzburg gibt, sieht man etwa an den sieben Riesenberg­kristallen im Haus der Natur. Aber trotz der Nähe zu den Lagerstätt­en wurden die Kristalle schnell zur Mangelware, die Salzburger Kristallmü­hle hatte kein langes Leben.

Eine Ahnung davon, welchen Glanz Prunkgefäß­e aus Bergkrista­ll verbreitet haben, bekommt man in der aktuellen Ausstellun­g „Feste feiern“im Wiener Kunsthisto­rischen Museum: Dort haben Kunsthisto­riker – erstmals – ein barockes Schaubuffe­t rekonstrui­ert. Man schaue und lerne wieder staunen! Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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