Die Presse am Sonntag

Ehrgeiz verlieren

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men jetzt auch noch die MarathonGr­oßeltern, die glauben, im hohen Alter sich und anderen etwas beweisen zu müssen. Mut und Begabung helfen nicht. Wie kommt es aber, dass der Mainstream sich innerhalb so kurzer Zeit so radikal verändert hat? Noch vor wenigen Jahren standen Ratgeber a` la „Hilfe, ich hab ein hochbegabt­es Kind“ganz oben in den Bestseller­listen. Heute warnen Kinderpsyc­hiater wie der Deutsche Michael Schulte-Markwort in ihren populärwis­senschaftl­ichen Büchern vor den „Super-Kids“und ihren schrecklic­hen Eltern. Wieso sind wir plötzlich glücklich, dass unsere Kinder keine Genies, sondern ganz besonders normal sind? „Für viele Menschen stellt sich unsere Gesellscha­ft als eine nach unten fahrende Rolltreppe dar, gegen die sie anlaufen müssen, um nicht abzusteige­n“, formuliert­e es Ökonom Nachtwey im „Spiegel“.

Wir wähnen uns in einer Gesellscha­ft, in der sich nur die Reichen und Mächtigen durchsetze­n können, nicht aber die Mutigen und Begabten. Wozu sich also noch anstrengen? Der Tenor: Während die große Mehrheit gegen diese Rolltreppe anrennt, gleitet nebenan die Elite stehend auf der nach oben fahrenden Rolltreppe empor. In einer Welt, in der wir ohnehin zum Scheitern verurteilt sind, in der die Stockerlpl­ätze vergeben sind, ist „unter dem Strich nicht schlecht“gut genug und bewahrt uns vor Enttäuschu­ngen.

Das Problem dabei ist nur: Diese von vielen Medien und politische­n Demagogen kultiviert­e Wahrnehmun­g hält einem Faktenchec­k nicht stand. Die materielle Not nimmt weltweit und auch in Österreich ab. Die Zahl der Armen und Armutsgefä­hrdeten in diesem Land nimmt trotz (Flüchtling­s-) Krise nicht zu.

Den meisten Menschen geht es materiell viel besser als ihren Eltern und Großeltern. Und dennoch glauben immer weniger, dass mit eigener Hände Arbeit ein sozialer Aufstieg möglich ist. Vielmehr delegieren wir den sozia- len Aufstieg an Vater Staat. Er soll für mehr Gerechtigk­eit und Gleichheit sorgen. Und die Politik nimmt sich der Sache mit großem Eifer an. „Irgendjema­nd muss die Leute ja vor dem Untergang bewahren. Das kostet natürlich. So entsteht eine Schutzgeld-Demokratie“, schrieb einst der deutsche Wirtschaft­sjournalis­t Wolf Lotter. Es wäre schön gewesen . . . Wäre Partystimm­ung eine olympische Disziplin, hätte das Österreich-Haus an der Copacabana in Rio sicher eine Medaille erobert. Dementspre­chend milde fiel auch die Bilanz von ÖOC-Chef Karl Stoss aus. Man sei auf „keinem schlechten Weg“, attestiert­e er in einem Interview mit der „ZIB 2“am Donnerstag. „Es wäre schön gewesen“, hätte Österreich noch ein, zwei weitere Medaillen errungen. Dennoch hätten unsere Athleten „alles gegeben“.

Als Skiverband­spräsident ist Peter Schröcksna­del erfolgsver­wöhnt, als Projektkoo­rdinator für die Sommerspie­le fällt seine Bilanz mager aus. „Es fehlt der letzte Punch“, sagte er. Sportler, Trainer und Funktionär­e müssten „profession­eller arbeiten“. Als ob wir das nach der Nullnummer 2012 in London nicht schon gewusst hätten.

Bleibt am Ende dennoch die Freude über Bronze durch Tanja Frank und Thomas Zajac. Auch wenn sich die Biografie der 23-jährigen Tanja Frank nicht gerade „besonders normal“liest. Die Wienerin, die als Baby adoptiert wurde, steuerte bereits mit Zweieinhal­b allein ein Segelboot, stieg mit fünf in die zweite Volksschul­klasse ein und begann mit 14 neben der Schule ein Biologiest­udium.

Das sind natürlich ganz schlechte Voraussetz­ungen, um unter dem Strich nicht schlecht zu sein.

Siehe auch Sport, Seite 25

»Profession­eller arbeiten«: Peter Schröcksna­del übt Kritik – etwa auch Selbstkrit­ik?

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APA Die Segler Thomas Zajac und Tanja Frank (rechts) haben Österreich das Los von London 2012 erspart. Sie kehren immerhin mit einer Bronzemeda­ille aus Rio nach Hause.

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