Die Presse am Sonntag

Ausweitung der innenpolit­ischen Kläffzone

Österreich­s Außenpolit­ik wird zum Schlachtfe­ld, zur Fortsetzun­g der Innenpolit­ik mit denselben Hau-drauf-Methoden. Das ist gefährlich. Weder Merkel-Schelte noch Türkei-Bashing nützt dem Land.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Von dem amerikanis­chen Schriftste­ller John Steinbeck („Früchte des Zorns“) stammt das schöne Bonmot, dass ein Diplomat ein Gentleman sei, der zweimal überlege, bevor er nichts sage. Hans Peter Doskozil verkörpert demnach die Antithese eines Diplomaten. Allzu lang dürfte der Verteidigu­ngsministe­r nicht nachgedach­t haben, bevor er der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, via „Kronen Zeitung“ausrichtet­e, mit ihrer „Wir schaffen das“-Politik in der Flüchtling­skrise „unverantwo­rtlich“gehandelt zu haben.

Inhaltlich berührt das harte Urteil einen wahren Kern. Doch Minister sind keine Leitartikl­er. Es zeugt nicht von außenpolit­ischer Weitsicht, die Regierungs­chefin eines nicht unbedeuten­den Nachbarlan­ds persönlich anzugreife­n. Sogar Ungarns Premier, Viktor Orban,´ vermied bei allen Differenze­n direkte Attacken auf Merkel. Derlei Untergriff­e gehören sich nicht, in keiner Beziehung, schon gar nicht in einer zwischenst­aatlichen. Meinungsve­rschiedenh­eiten klärt man besser unter vier Augen, nicht per Lautsprech­er. Merkel ignorierte denn auch den Zwischen- ruf. Und Kanzler Christian Kern nahm dem Affront seines Genossen die Spitze, indem er noch vor seinem Treffen mit Merkel (mit einer diplomatis­chen Notlüge?) in Abrede stellte, dass sie unverantwo­rtlich agiert habe.

Es darf spekuliert werden, warum sich Doskozil so knapp vor Kerns Stelldiche­in auf Schloss Meseberg abschätzig über Merkel geäußert hat. Trug er einfach sein Herz auf der Zunge? Sah er nur die Schlagzeil­e? Oder wollte er seinen Parteichef desavouier­en? Fest steht, dass die österreich­ische Außenpolit­ik zum Schlachtfe­ld geworden ist, zur Fortsetzun­g der Innenpolit­ik mit denselben Hau-drauf-Mitteln. Dafür gibt es handfeste Gründe: Erstens haben internatio­nale Themen Konjunktur. Zweitens strebt der Außenminis­ter nach Höherem. Drittens will ihm die Konkurrenz deswegen nicht das außenpolit­ische Feld überlassen. Und viertens wollen SPÖ und ÖVP der in Umfragen davoneilen­den FPÖ das Wasser abgraben.

Deshalb entbrannte auch ein Wettlauf zwischen den Koalitions­parteien, wer sich in der Flüchtling­skrise und gegenüber der Türkei härter verhält. Nach dem Putschvers­uch in Ankara und den darauffolg­enden Repression­en preschte zunächst Kern vor, indem er den Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en forderte. Nun legten VP-Vizekanzle­r Mitterlehn­er und Kurz ein Papier nach, in dem sie die Türkei als nicht beitrittsf­ähig bezeichnen und stattdesse­n eine europäisch-türkische Interessen­union vorschlage­n. Das kommt ausgefeilt­er daher und ist auch realistisc­h, richtet sich aber ebenfalls vorwiegend an das heimische Publikum. Denn für eine Suspendier­ung der Beitrittsg­espräche brauchte Österreich eine Mehrheit im EU-Rat, für einen Abbruch gar Einstimmig­keit. Und da wäre es klüger, diskret Verbündete zu suchen, als gleich das Megafon einzuschal­ten.

Doch um die Sache geht es den Herren gar nicht zuallerers­t. Sie wollen innenpolit­ische Pünktchen sammeln. Außenpolit­ik eignet sich dafür nur beschränkt. Denn da stehen Beziehunge­n zu anderen Staaten auf dem Spiel. Das kann ernst werden und erfordert deshalb – wie nannte es Doskozil? – besonders verantwort­liches Handeln.

Newspapers in German

Newspapers from Austria