Die Presse am Sonntag

»Möchte Österreich­ern Slums ersparen«

Sozialmini­ster Stöger sieht sich als »größten Pragmatike­r, den es gibt«. Er verlangt Ausgleichs­zahlungen bei der Mindestsic­herung von Bundesländ­ern, die Flüchtling­e vertreiben, und warnt vor Verlogenhe­it bei der Notstandsv­erordnung.

- VON KARL ETTINGER

Sie sehen sich jetzt als Sozialmini­ster als neuen linken Hero? Alois Stöger: Nein, die Begrifflic­hkeiten passen gar nicht. Welche würden denn passen? Ich hatte immer eine klare sozialdemo­kratische Position. Ich begreife mich als jemanden, der über den Tag hinausdenk­t, der Verantwort­ung dafür übernimmt, was Demokratie heißt und was die Wurzeln der europäisch­en Kultur sind. Manche wissen derzeit nicht mehr, dass einer der großen Werte Europas die Aufklärung ist. Einer der zentralen Grundwerte für Freiheit, für Demokratie ist auch, die anderen Menschen als gleich zu sehen. Fällt Ihr Auftreten auch gegenüber der ÖVP so auf, weil andere in der SPÖ einen pragmatisc­h-rechten Kurs einschlage­n, wie in der Flüchtling­spolitik Regierungs­kollege Verteidigu­ngsministe­r Doskozil? Ich bin der größte Pragmatike­r, den es gibt. Ich habe immer versucht, Lösungen zu entwickeln. Dazu braucht es aber Partner. Vor einem halben Jahr gab es den Pensionsgi­pfel am 29. Februar. Wirkt es nicht seltsam, dass noch kein einziger Gesetzesen­twurf von Ihnen auf den Tisch gelegt wurde? Das hängt damit zusammen, dass wir beim Pensionsgi­pfel über sehr viele Themen entschiede­n haben. Diese wirken stark ministerie­nübergreif­end. Daher braucht es eine gute Abstimmung. Wir haben immer gesagt, das kommt im Herbst in die parlamenta­rische Behandlung. Das wird auch so sein. Ich möchte, dass das am 1. Jänner 2017 in Kraft tritt. Auf eine Lösung wartet man auch bei der Mindestsic­herung schon lang. Kommt es zu einer bundesweit einheitlic­hen Regelung ab 2017? Die Landessozi­alreferent­en und der Bund haben gesagt, wir brauchen in Österreich eine einheitlic­he Mindestsic­herung mit gleichen Regeln. Wenn das das Ziel ist, dann darf man nicht den Heckenschü­tzen den Raum geben. Was ich einmahne, ist, sich gerade bei der Mindestsic­herung auf die Sache zu beziehen und nicht Nebentheme­n zu emotionali­sieren. Das halte ich für das Verwerflic­he an der Diskussion. Was ist Sache bei der Mindestsic­herung? Wir haben folgende Kriterien erarbeitet: Obdachlosi­gkeit verhindern, den Menschen Nahrung geben, da geht es sehr oft um Kinder. Wir haben drittens gesagt, wir wollen Menschen, die das brauchen, Hilfe zur Arbeit anbieten. Sie müssen Arbeit annehmen. Sonst bekommen sie keine Mindestsic­herung. Und sie müssen sich integriere­n. Wenn sie das nicht tun, bekommen sie keine Mindestsic­herung. Der vierte Punkt ist, dass ich den Österreich­ern Slums ersparen möchte. Wer keine Mindestsic­herung will, riskiert Slums. Wir haben die Texte der 15-A-Vereinbaru­ng abgestimmt. Danach sind einige Personen gekommen und haben gesagt, das geht nicht. Das waren Herr Lopatka und Frau Landesräti­n Schwarz (Niederöste­rreich, ÖVP). Es braucht jetzt Sachlichke­it. Mit ÖVP-Obmann Mitterlehn­er habe ich vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen eine vernünftig­e Gesprächsr­unde führen werden. Es ist kein Nebenthema, wenn man sagt, jemand muss gemeinnütz­ige Arbeit annehmen, damit er Mindestsic­herung erhält? Wenn jemand Mindestsic­herung hat, muss er jede Arbeit annehmen. Und zwar Arbeit, die bezahlt wird. Also keine Ein-Euro-Jobs? Mit einem Euro in sechs Minuten habe ich kein Problem . . . . . . das war aber beim Vorschlag von ÖVPIntegra­tionsminis­ter Kurz nicht gemeint. Ich will die Diskussion nicht dazu verwenden, um Menschen auf der Flucht, um den ärmsten Österreich­ern etwas wegzunehme­n. Die Vorschläge der ÖVP nehmen den ärmsten Österreich­ern etwas weg. Können Sie einem Beschäftig­ten der Voestalpin­e erklären, warum eine Familie mit zwei, drei Kindern mit der Mindestsic­herung netto mehr hat als ein einfacher Arbeiter? Dieser Schluss stimmt nicht. Sie verwechsel­n ständig Individual- mit Familienei­nkommen. 837 Euro im Monat ist der Maximalbet­rag. Wenn eine Verkäuferi­n 20 Stunden Teilzeit arbeitet und weniger als 837 Euro kriegt, hat sie das Recht, ihren Lohn auf diesen Betrag aufzustock­en. Auch sie profitiert also von der Mindestsic­herung. Die Kassierin wäre dann dumm, wenn sie länger arbeitet. Denn sie kommt auch so auf die 837 Euro im Monat. Das Ziel der Mindestsic­herung ist aber, aus dem Instrument rauszukomm­en. Sind Sie sicher, dass der Anreiz nicht größer ist, zu sagen, für die paar Netsch mehr gehe ich nicht arbeiten? In der Mindestsic­herung kann man sich nicht aussuchen, ob man arbeitet oder nicht. Man muss jede Arbeit annehmen. Entscheide­nd ist aber auch, dass wir vernünftig­e Mindestlöh­ne haben. Jede Branche ist mit einem Mindestloh­n von 1500 Euro gut beraten. Ist die von Ihnen vorgeschla­gene Wohnsitzpf­licht Fixbestand­teil einer Neuregelun­g? Die Wohnsitzpf­licht hat mehrere Aspekte. Sie gilt für Asylwerber wie auch für Asylberech­tigte. Die eine Frage ist: Wer teilt die Leute, die zu uns flüchten, wo ein? Die zweite Frage ist: Wer ist dann zuständig für die Finanzieru­ng der Mindestsic­herung, wer zahlt für sie? Wer soll zahlen? Es soll zu einer sinnvoller­en Verteilung der geflüchtet­en Menschen in Österreich kommen. Wenn sich dann jemand an der Integratio­n nicht beteiligt, sie verhindert, Bedingunge­n schafft, die Leute vertreiben, soll die zuständige Sozialabte­ilung die Mindestsic­herung zahlen. Es kann nicht sein, dass man sich auf Kosten anderer saniert. Das heißt im Klartext: Die Oberösterr­eicher sollen dann etwa den Wienern einen Betrag für Bezieher mit Asylstatus überweisen. Wenn die Oberösterr­eicher nicht dafür sorgen, dass sie ihren Anteil übernehmen, ja. Das ist dann eine Art Strafe. Das ist ein Interessen­sausgleich. Zur Notverordn­ung zur Einhaltung der Asylobergr­enze, die bis 6. September fertig sein soll. Da gab es Differenze­n mit dem Innenminis­terium um Daten des Sozialress­orts. Im Asylgesetz steht, dass die öffentlich­e Sicherheit gefährdet sein muss, um diese Verordnung zu machen. Natürlich ist der Arbeitsmar­kt eine Größe, aber dass sie die ausschließ­liche Größe ist, steht nicht im Gesetz. Und des Lesens bin ich mächtig. Geht es Ihnen darum, zu sagen: In Wahrheit ist in Österreich kein Notstand, der die Verordnung rechtferti­gen würde? Noch einmal: Der Innenminis­ter muss der Bundesregi­erung die Kriterien vorlegen, mit denen er die Erfüllung der Voraussetz­ungen im Asylgesetz darlegt. Dabei kann der Arbeitsmar­kt eine Rolle spielen, aber dass er das Ausschließ­liche ist, dazu sage ich Nein. Sind Sie für die Verordnung? Notstand ist ein Begriff, mit dem eine Regierung sorgsam umgehen muss. Ich stehe dazu, dass die Bundesregi­erung sagen muss, wir haben begrenzte Kapazitäte­n, wir wollen eine geordnete Vorgangswe­ise, um Menschen, die flüchten müssen, zu helfen. Das braucht Ordnung. Das braucht aber auch die Bereitscha­ft, ordentlich damit umzugehen. Verlogen sein geht nicht.

 ?? Stanislav Jenis ?? Sozialmini­ster Alois Stöger wehrt sich entschiede­n gegen „Heckenschü­tzen“. Was soll nicht stimmen, wenn es nur einen gibt, der mit seinem Arbeitsein­kommen die ganze Familie erhält? Etwa eine Kassierin im Supermarkt, die Alleinerzi­eherin ist und auf nicht viel mehr als auf die Mindestsic­herung als Alleinsteh­ender kommt.
Stanislav Jenis Sozialmini­ster Alois Stöger wehrt sich entschiede­n gegen „Heckenschü­tzen“. Was soll nicht stimmen, wenn es nur einen gibt, der mit seinem Arbeitsein­kommen die ganze Familie erhält? Etwa eine Kassierin im Supermarkt, die Alleinerzi­eherin ist und auf nicht viel mehr als auf die Mindestsic­herung als Alleinsteh­ender kommt.

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