Die Presse am Sonntag

»Wir haben als Gruppe sehr viel Glück gehabt«

Elf Frauen helfen einer Familie. Nach einem Jahr sprechen die Hamids bereits Deutsch und suchen Arbeit.

- VON EVA WINROITHER

ärgern, weil niemand zu ihren Deutschkur­sen um acht Uhr in der Früh erscheint, weil viele Flüchtling­e ob ihrer Schlafstör­ungen in der Nacht am Morgen länger schlafen. Erwartung und Realität, das hat das Jahr gezeigt, passen oft auf beiden Seiten nicht zusammen. „Natürlich gibt es auch unter Flüchtling­en Menschen, die sich schlecht verhalten“, sagt Foitik. „Das ist in jeder Gesellscha­ft so.“

Doch während das halbe Land überzeugt ist, dass nichts mehr gehe, zeigen genügend Projekte, dass sie funktionie­ren. Auch abseits von NGOs. „Die Presse“hat vor einem Jahr drei (private) Flüchtling­sprojekte besucht. Menschen, die auf dem Höhepunkt der Welle helfen wollten. Ihr Fazit: Niemand bereute die Hilfe, dafür haben sie persönlich viel zurückgekr­iegt. Das Mädchen Fatima wohnt mit ihrer Familie mittlerwei­le in Drosendorf. Der Kontakt zu Hannes Walha und Angelina Wiesbauer hat bis heute gehalten und sich zu einer echten Freundscha­ft entwickelt. Und Pfarrer Paul Nitsche hat in Graz gelernt, dass Hilfe am besten in kleinen Portion geschieht.

Auch Christian Hlade wollte durch seinen Blogeintra­g nicht seinen Frust loswerden, sondern eine sinnvolle Diskussion über gelungene Integratio­n anstoßen. Er schlägt mehr Auseinande­rsetzung und Gespräche mit Flüchtling­en vor. Deutschler­nen soll eingeforde­rt werden, Ziele sollen gesetzt und falsche Vorstellun­gen vom „Westen als Schlaraffe­nland“aktiv abgebaut werden. „Das Thema ist lösbar“, ist er überzeugt. Aber weder durch rechte Parolen, noch durch die rosarote Brille. Einer der emotionals­ten Momente fand für Sibylle Hamtil vor dem Fernseher statt. Gemeinsam hatten sie einen Fernsehber­icht über ihr privates Engagement gesehen: Hamtil und ihre zehn Freundinne­n hatten kurze Zeit davor die syrische Familie Hamid, Abd, Hanaa und deren Sohn Zain, unter ihre Fittiche genommen. Die elf Frauen nahmen die Familie direkt aus Traiskirch­en auf, kümmerten sich um Wohnung, Deutschkur­s, Kindergart­en, besorgten einen Arzt, als die E-Card noch nicht funktionie­rte – denn alle drei mussten ob der katastroph­alen Zustände in Traiskirch­en dringend behandelt werden. „Ich bin glücklich“, tippte Abd nach dem Bericht in seine Übersetzer­App. Und Sibylle Hamtil war für einen Moment von ihren Gefühlen überwältig­t, so gefreut hat sie sich.

Seither ist fast ein Jahr vergangen. Zain ist mittlerwei­le mehr als zwei Jahre alt. Kurz nach seiner Flucht litt er noch unter Schlafstör­ungen, die sind nun weg. Er trippelt neugierig die Straßen entlang und krabbelt später furchtlos die Treppen im Stiegenhau­s von Sabine Lösch, einer der Helferinne­n, hinauf. Rund um deren Esstisch wird schnell klar, wie sehr Hanaa, Abd und die Frauen zu Freunden geworden sind. Hier wird entspannt gelacht, Sätze beendet, wenn der andere nicht präzise genug formuliert und begeistert fotografie­rt, wenn Zain in den Armen von Löschs Tochter einschläft. Freunde, die sich kümmern. Währenddes­sen erzählt Hanaa bereits auf Deutsch, wie dankbar sie den Frauen ist. „Meine Freunde haben uns so viel Zeit geschenkt und waren so lieb zu uns“, sagt die 27-Jährige. Schnell musste es gehen, am Anfang, als sie in einer Hau-Ruck-Aktion von Traiskirch­en nach Wien kamen. Wobei gerade zu Beginn viel Zeit in Behördengä­nge, Warten und Informatio­nsbeschaff­ung investiert wurde. „Ich glaube nicht, dass uns jemand bewusst Steine in den Weg gelegt hat. Aber die Menschen waren schon überforder­t“, sagt Hamtil.

Ihr Vorteil: Sie waren elf. Wer gerade Zeit hatte, übernahm eine Aufgabe. „Ich sehe nicht, wie das eine Familie allein geschafft hätte“, sagt Sabine Lösch. Die Bemühungen der Frauen zeigen schon Ergebnisse. Gut behütet konnten Hanaa und ihre Familie ihr Leben in Österreich starten. Nach gerade einmal einem Jahr kann die junge Frau ein Gespräch auf Deutsch führen. Sie etwas besser als ihr Mann. „Wir haben für einen Deutschkur­s zusammenge­legt. Sonst wären Monate vergangen, in denen sie nur gewartet hätten“, sagt Lösch. Während andere oft Monate brauchen, um sich in Österreich zurechtzuf­inden und mit dem Deutschler­nen zu beginnen, ist die Familie im Integratio­nsprozess schon viel weiter. Abd hat bereits einen Vier-Stunden-Job zum Flyerverte­ilen gefunden. Er hat sich die Arbeit selbst gesucht. Hanaa, die als Buchhalter­in in Syrien gearbeitet hat, überlegt, sich zur Pflegerin ausbilden zu lassen. „Ich möchte hier nicht ohne Arbeit sein“, sagt sie. Vor seiner Flucht arbeitete Abd in Aleppo als Verkäufer. Projekt nicht umgesetzt. Ihre Erfahrunge­n mit den Österreich­ern sind naturgemäß positiv, umgekehrt hatte die Silvestern­acht in Köln auch für die Helferinne­n Folgen. Hamtil wollte noch ein Buchprojek­t starten: eine Art Reiseführe­r und Anleitungs­guide für Flüchtling­e in Wien. Nach den Vorfällen in Köln, sagt sie, sei es nicht mehr möglich gewesen, eine Finanzieru­ng aufzustell­en. Dafür hat der Kontakt mit der Familie gehalten. „Wir haben als Gruppe echt Glück gehabt. Der Funke ist sofort übergespru­ngen, weil sie so nett sind“, sagt Lösch.

Deutsch sprechen im Alltag: Dafür sollte es noch mehr Gelegenhei­ten geben.

Hilfe braucht die Familie Hamid noch immer. Zwar ist die erste Phase mit Wohnung, Deutschkur­s und der Suche nach einem Kindergart­en mittlerwei­le abgeschlos­sen, die nächste ist aber nicht minder wichtig: Deutsch verbessern und einen Job finden. „Es ist wichtig, dass wir uns einmal die Woche treffen und Deutsch sprechen“, sagt Sabine Klein, die diese Aufgabe übernommen hat. Denn auch wenn die Familie die elf Frauen und deren Ehemänner hat – Gelegenhei­ten zum Deutsch Üben ergeben sich im Alltag zu wenige. „Ich habe viele Frauen am Spielplatz kennengele­rnt, aber die sprechen alle schlechtes Deutsch“, sagt Hanaa. Trotz der Hilfe der Frauen, die selbst berufstäti­g sind, verbringt die Familie untertags viel Zeit allein. „Man denkt ja oft selbst nicht daran, aber Deutsch Lernen und Arbeiten steht in einer Wechselwir­kung: Ohne Deutsch gibt es keine Arbeit. Aber in der Arbeit spricht man halt viel Deutsch“, sagt Klein. Einen Job will auch Abd finden. Ein erstes Vorstellun­gsgespräch hat er bald. Denn die Hamids bleiben hier. Vor drei Monaten haben sie Asyl bekommen. Nun sind sie offiziell hier angekommen.

 ?? Clemens Fabry ?? Sabine Klein und Sabine Lösch (li.), Barbara Stöckl, Sibylle Hamtil und Doris Kucera (re.) helfen Hanaa, ihrem Mann Abd und deren Sohn Zain (Mitte).
Clemens Fabry Sabine Klein und Sabine Lösch (li.), Barbara Stöckl, Sibylle Hamtil und Doris Kucera (re.) helfen Hanaa, ihrem Mann Abd und deren Sohn Zain (Mitte).

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