Die Presse am Sonntag

Der Südtirol-Terror und die Spuren nach Österreich

Vor 50 Jahren ging der Südtirol-Konflikt in die besonders blutige Schlusspha­se. Immer mehr Archivfund­e sprechen für geheimdien­stliche Ränkespiel­e. Italien erwog sogar Vergeltung­sattentate auf österreich­ischem Boden.

- VON THOMAS RIEGLER

Am Vormittag des 9. September 1966, zwischen elf und 11.30 Uhr, zerreißt eine Explosion die Stille in der Nähe der Brennergre­nze. Auf der Steinalm befindet sich eine kleine Kaserne der Guardia di Finanza (Finanzpoli­zei), die von der heftigen Detonation teilweise zum Einsturz gebracht wird. Es gibt drei Tote zu beklagen: Oberleutna­nt Franco Petrucci, Brigadier Herbert Voggler und Finanzwach­mann Martino Cossu. Von Beginn an herrscht Unklarheit, ob es ein Anschlag oder ein Unfall war. Denn zu diesem Zeitpunkt erlebt der SüdtirolKo­nflikt gerade seine blutigste Phase.

Fünf Jahre zuvor begann der Befreiungs­ausschuss Südtirol (BAS), der Forderung nach Selbstbest­immung mit demonstrat­iven Bombenansc­hlägen Nachdruck zu verleihen. In der „Feuernacht“vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden allein 37 Strommaste­n gesprengt. Daraufhin wurden 24.000 Soldaten und 10.000 Carabinier­i (Militärpol­izisten) nach Südtirol verlegt. Es kam zu Massenverh­aftungen und Folterunge­n von BAS-Leuten. So schaukelte sich die Gewalt hoch: Zwischen 1961 und 1967 sollten insgesamt 15 Militärs, Polizisten und Zöllner sterben. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier BASAngehör­ige ums Leben. Zweifel an Terrorvers­ion. Die Explosion auf der Steinalm war in diesem Zusammenha­ng einer der schwerwieg­endsten Vorfälle. Dessen war sich auch die Bundesregi­erung in Wien bewusst. Zu oft hatten in der Vergangenh­eit BAS-Leute und ihre Sympathisa­nten vom Hinterland Österreich aus agiert. Nun informiert­e Innenminis­ter Franz Hetzenauer (ÖVP) den Ministerra­t: „Wir haben sofort veranlasst, dass die Gendarmeri­eschule an die Grenze kommandier­t wurde und die Flugzeuge eingesetzt wurden. Dann wurden auch Straßenkon­trollen durchgefüh­rt. [. . .] Die Überwachun­g hat in keiner Weise ergeben, dass die möglichen Täter aus Österreich gekommen wären. Wir haben am gleichen Tag dann einen Vertreter der Innsbrucke­r Polizei auf den Brenner ge- schickt und die Italiener ersucht, Informatio­nen uns sofort mitzuteile­n. Erst gestern hat der Grenzoffiz­ier erklärt, es sei klar, dass es sich um einen Terroransc­hlag gehandelt habe.“Schon damals werden in deutschspr­achigen Südtiroler Medien erste Zweifel laut – ob nicht ein Gasunfall die Explosion ausgelöst habe.

Die offizielle Version lautet anders: Jörg Klotz, einer der bekanntest­en Köpfe des BAS, habe sich in der Nacht vom 8. September 1966 zu der Kaserne geschliche­n und eine Sprengladu­ng mit Zeitzünder deponiert. Das sagt ein mutmaßlich­er Komplize aus. Richard Kofler, ein Mitglied von Klotz’ Gruppe, hat sich Mitte Oktober 1966 gestellt, um Strafnachl­ass zu bekommen. Später zieht er das Geständnis zurück, weil es unter Folter erzwungen worden sei.

Vor Gericht werden 1969 in erster Instanz zahlreiche Widersprüc­he offenbar – dem Sprengstof­fgutachten, wonach eine Fremdladun­g hinterlegt worden sei, widerspric­ht der Gutachter der Verteidigu­ng, der Sachverstä­ndige des österreich­ischen Innenminis­teriums, Alois Massak. Es hätten „keine wie immer gearteten Spuren am Explosions­ort“asserviert werden können – „und damit kein wie immer gearteter Beweis für das tatsächlic­he Vorhandens­ein einer Fremdladun­g mit Zündmechan­is- mus“. Eine mögliche Erklärung dagegen sei, dass sich beim Entladen eines Maschineng­ewehrs ein Schuss gelöst habe, der eine Handgranat­enkiste getroffen und so zur Zündung geführt habe. Letztendli­ch bleibt der Fall ungeklärt – auch wenn Kofler und zwei weitere Komplizen 1976 in Abwesenhei­t zu langen Haftstrafe­n verurteilt wurden.

1991 wird bekannt, dass nach der Tragödie auf der Steinalm von italienisc­hen Sicherheit­skräften Gegenschlä­ge erwogen wurden. Admiral Eugenio Henke, Chef des militärisc­hen Geheimdien­stes SID, gab einem Untergeben­en den Auftrag, entspreche­nde Pläne auszuarbei­ten. Dieser überreicht­e dann einen Umschlag, in dem 30 Ziele in Österreich aufgeliste­t wurden.

Diese Episode unterstrei­cht, dass die Terrorbekä­mpfung vonseiten Italiens mit unkonventi­onellen Mitteln geführt wurde – auch weil man zunächst einen regelrecht­en Volksaufst­and in Südtirol befürchtet hat. Selbstkrit­isch hat der Südtirol-Fachmann des italienisc­hen Innenminis­teriums, Silvano Russomanno, später eingeräumt: „Die Terroriste­n und uns, die sie bekämpft haben, eint am Ende eines: Beide haben wir uns die Hände schmutzig gemacht.“

Unter dem Strich aber zählte, dass es gelungen war, zwischen 1961 und 1970 weit über zwei Dutzend Spitzel rund um den BAS anzuwerben. 1964 ermordete einer dieser Informante­n den BASFührung­skader Luis Amplatz und verletzte Klotz schwer –

»Die Terroriste­n und uns eint eines: Beide haben wir uns die Hände schmutzig gemacht.«

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