Der Südtirol-Terror und die Spuren nach Österreich
Vor 50 Jahren ging der Südtirol-Konflikt in die besonders blutige Schlussphase. Immer mehr Archivfunde sprechen für geheimdienstliche Ränkespiele. Italien erwog sogar Vergeltungsattentate auf österreichischem Boden.
Am Vormittag des 9. September 1966, zwischen elf und 11.30 Uhr, zerreißt eine Explosion die Stille in der Nähe der Brennergrenze. Auf der Steinalm befindet sich eine kleine Kaserne der Guardia di Finanza (Finanzpolizei), die von der heftigen Detonation teilweise zum Einsturz gebracht wird. Es gibt drei Tote zu beklagen: Oberleutnant Franco Petrucci, Brigadier Herbert Voggler und Finanzwachmann Martino Cossu. Von Beginn an herrscht Unklarheit, ob es ein Anschlag oder ein Unfall war. Denn zu diesem Zeitpunkt erlebt der SüdtirolKonflikt gerade seine blutigste Phase.
Fünf Jahre zuvor begann der Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), der Forderung nach Selbstbestimmung mit demonstrativen Bombenanschlägen Nachdruck zu verleihen. In der „Feuernacht“vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden allein 37 Strommasten gesprengt. Daraufhin wurden 24.000 Soldaten und 10.000 Carabinieri (Militärpolizisten) nach Südtirol verlegt. Es kam zu Massenverhaftungen und Folterungen von BAS-Leuten. So schaukelte sich die Gewalt hoch: Zwischen 1961 und 1967 sollten insgesamt 15 Militärs, Polizisten und Zöllner sterben. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier BASAngehörige ums Leben. Zweifel an Terrorversion. Die Explosion auf der Steinalm war in diesem Zusammenhang einer der schwerwiegendsten Vorfälle. Dessen war sich auch die Bundesregierung in Wien bewusst. Zu oft hatten in der Vergangenheit BAS-Leute und ihre Sympathisanten vom Hinterland Österreich aus agiert. Nun informierte Innenminister Franz Hetzenauer (ÖVP) den Ministerrat: „Wir haben sofort veranlasst, dass die Gendarmerieschule an die Grenze kommandiert wurde und die Flugzeuge eingesetzt wurden. Dann wurden auch Straßenkontrollen durchgeführt. [. . .] Die Überwachung hat in keiner Weise ergeben, dass die möglichen Täter aus Österreich gekommen wären. Wir haben am gleichen Tag dann einen Vertreter der Innsbrucker Polizei auf den Brenner ge- schickt und die Italiener ersucht, Informationen uns sofort mitzuteilen. Erst gestern hat der Grenzoffizier erklärt, es sei klar, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt habe.“Schon damals werden in deutschsprachigen Südtiroler Medien erste Zweifel laut – ob nicht ein Gasunfall die Explosion ausgelöst habe.
Die offizielle Version lautet anders: Jörg Klotz, einer der bekanntesten Köpfe des BAS, habe sich in der Nacht vom 8. September 1966 zu der Kaserne geschlichen und eine Sprengladung mit Zeitzünder deponiert. Das sagt ein mutmaßlicher Komplize aus. Richard Kofler, ein Mitglied von Klotz’ Gruppe, hat sich Mitte Oktober 1966 gestellt, um Strafnachlass zu bekommen. Später zieht er das Geständnis zurück, weil es unter Folter erzwungen worden sei.
Vor Gericht werden 1969 in erster Instanz zahlreiche Widersprüche offenbar – dem Sprengstoffgutachten, wonach eine Fremdladung hinterlegt worden sei, widerspricht der Gutachter der Verteidigung, der Sachverständige des österreichischen Innenministeriums, Alois Massak. Es hätten „keine wie immer gearteten Spuren am Explosionsort“asserviert werden können – „und damit kein wie immer gearteter Beweis für das tatsächliche Vorhandensein einer Fremdladung mit Zündmechanis- mus“. Eine mögliche Erklärung dagegen sei, dass sich beim Entladen eines Maschinengewehrs ein Schuss gelöst habe, der eine Handgranatenkiste getroffen und so zur Zündung geführt habe. Letztendlich bleibt der Fall ungeklärt – auch wenn Kofler und zwei weitere Komplizen 1976 in Abwesenheit zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.
1991 wird bekannt, dass nach der Tragödie auf der Steinalm von italienischen Sicherheitskräften Gegenschläge erwogen wurden. Admiral Eugenio Henke, Chef des militärischen Geheimdienstes SID, gab einem Untergebenen den Auftrag, entsprechende Pläne auszuarbeiten. Dieser überreichte dann einen Umschlag, in dem 30 Ziele in Österreich aufgelistet wurden.
Diese Episode unterstreicht, dass die Terrorbekämpfung vonseiten Italiens mit unkonventionellen Mitteln geführt wurde – auch weil man zunächst einen regelrechten Volksaufstand in Südtirol befürchtet hat. Selbstkritisch hat der Südtirol-Fachmann des italienischen Innenministeriums, Silvano Russomanno, später eingeräumt: „Die Terroristen und uns, die sie bekämpft haben, eint am Ende eines: Beide haben wir uns die Hände schmutzig gemacht.“
Unter dem Strich aber zählte, dass es gelungen war, zwischen 1961 und 1970 weit über zwei Dutzend Spitzel rund um den BAS anzuwerben. 1964 ermordete einer dieser Informanten den BASFührungskader Luis Amplatz und verletzte Klotz schwer –
»Die Terroristen und uns eint eines: Beide haben wir uns die Hände schmutzig gemacht.«